Für die Credit Suisse ist es nach dem zweiten Verlustquartal infolge fünf vor zwölf. Gerade wegen der Notlage kann die Grossbank gemäss Recherchen von finews.ch nicht ohne Weiteres auf CEO Thomas Gottstein verzichten.
Der deutschsprachige Volksmund spricht Katzen sieben Leben zu. Wäre Bankchef Thomas Gottstein ein Kater, sagt ein guter Kenner der Credit Suisse (CS), dann wären inzwischen sechseinhalb seiner Leben verwirkt. Dies, nachdem die zweitgrösste Schweizer Bank am (heutigen) Mittwoch eine Gewinnwarnung für das zweite Jahresviertel ausgegen hat.
Der neuerliche Rückschlag folgt auf einen Verlust im Jahr 2021 und rote Zahlen im ersten Quartal. Wie auch finews.ch berichtete, zeigt die Grossbank nun offensichtlich operative Schwächen, wird also nicht nur durch Sonderbelastungen wie Abschreiber oder Prozesskosten nach unten gedrückt. Und dies gleich auch noch auf den beiden wichtigsten Standbeinen, also im Kerngeschäft mit der Vermögensverwaltung wie auch dem Investmentbanking.
Kernkapital erodiert
In einer ersten Reaktion brach der Aktienkurs nach der Gewinnwarnung an der Schweizer Börse zeitweilig um fast 5 Prozent ein; das Tagestief der CS-Aktie liegt mit 6.20 Franken nun sehr nahe dem Allzeittief von 6.10 Franken.
Zugespitzt hat sich die Situation auch bei der Kapitalisierung, einer der wichtigsten Währungen für das Vertrauen in eine Bank. Wie das Institut bekanntgab, beabsichtigt es auf kurze Sicht, mit einer Quote des harten Kernkapitals (CET1) von rund 13,5 Prozent zu arbeiten. Dies, nachdem die CET1 im ersten Quartal bereits auf 13,8 Prozent erodiert ist.
Dieser Wert liegt zwar über dem regulatorischen Minimum, ist aber gleichzeitig tiefer als der Zielwert der Bank. Die CS strebt im Rahmen ihrer neuen Strategie bis ins Jahr 2024 eine Eigenkapital-Quote von 14 Prozent an.
Was tut die Finma?
Am Kapitalisierungs-Ziel hielt die CS am Mittwoch nun fest. Allerdings dürfte deutlich sein, dass die Grossbank nicht mehr so viel Zeit bleibt, selbiges zu erreichen. Wenn das Geldhaus bis Ende Jahr keinen Turnaround schafft, rechnen Beobachter mit einem erneuten Eingreifen der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) – oder gar mit weit tiefgreiferenden Veränderungen.
Die Finma äussert sich grundsätzlich nicht zu einzelnen Banken. Die Behörde hat der CS aber im Mai 2021 nach dem Doppel-Debakel um die New Yorker Finanzfirma Archegos und um die geschlossenen Greensill-Fonds massive Einschränkungen im operativen Geschäft auferlegt. Insbesondere im Investmentbanking darf die CS seither und auf unbestimmte Zeit hinaus eingeschränkt Risiken nehmen. Die Folgen jener Weisung dürften sich auch im zweiten Quartal 2022 bemerkbar machen.
Gemischte Erfahrungen mit Stars
Die Aufsichtsbehörde muss auch die Folgen der bankinternen Krise für den Finanzplatz im Auge behalten; separat davon untersucht die Finma das Greensill-Archegos-Debakel und führt ein Enforcement-Verfahren im «Spygate»-Skandal um bespitzelte Mitarbeitende bei der CS durch.
Pikanterweise macht der nochmals gestiegenen Druck CEO Gottstein in den Augen mancher Beobachter zum Mann der Stunde. Seit Anfang 2020 im Amt, wird dem zuletzt glücklosen Schweizer zugebilligt, die CS in- und auswending zu kennen. Dies im Gegensatz zum Rest der Geschäftsleitung, der erst in den vergangenen Monaten und Wochen neu zur Bank gestossen ist. Diesen Kräften ist der globale Blick auf die Bank nach so kurzer Zeit kaum zuzutrauen.
Nicht zuletzt hat das Unternehmen in seiner Geschichte mit ausländischen Starmanagern wie John Mack, Tidjane Thiam und António Horta-Osório nicht die besten Erfahrungen gemacht.
Die Mitarbeitenden gewinnen
Obwohl an seinem Chefstuhl jüngst kräftig gesägt wurde, gebe es deshalb keine schnellen Alternativen zu Gottstein, heisst es weiter. So oder so müsse er aber bis Ende 2022 Wege aus der Misere bei der Grossbank aufzeigen. Ansonsten würde der Stuhl des CEO definitiv wackeln.
Der Investorentag vom 28. Juni bietet sich für Gottstein nun als erstes Fenster an, um Fortschritte bei der CS aufzuzeigen. Hier müsse die CS wieder Perspektiven liefern, mahnen Beobachter: Dies weniger für die dort anwesenden Investoren und Analysten, sondern für die Mitarbeitenden. Denn nur sie können Kundinnen und Kunden halten und neu hinzugewinnen – und die Bank aus der operativen Schwäche hinausführen.