Nicht erst seit der COP-26-Klimakonferenz suchen Finanzinstitute händeringend nach ESG-Talenten. Um die Nachhaltigkeit voranzubringen, könnten ausgerechnet die schärfsten Bankenkritiker der Schlüssel sein, wie finews.ch aufzeigt.
Um die zunehmenden Nachhaltigkeits-Anforderungen von Investoren und Aufsichtsbehörden zu erfüllen, sind die Banken und Versicherer auf Personaljagd. Ein Stellentrend, der von der globalen Gesundheitskrise sowie der Bewegung für soziale Gerechtigkeit und gegen den Klimawandel befeuert wird. Mit der zurzeit tagenden 26. Uno-Klimakonferenz im schottischen Glasgow (COP 26) hat sich die Aktualität der Thematik auch für die Finanzbranche nochmals erhöht.
Das Gewicht von Umwelt-, Gesellschafts- und Governance-Themen (ESG) in der Wirtschaft ist so gross, dass «einige Chefs nicht mehr zu einem Investorentreffen gehen, ohne ihren Chef-Nachhaltigkeits-Experten mitzunehmen», sagt Natalia Olynec, Leiterin des Bereichs Nachhaltigkeit an der privaten Wirtschaftshochschule IMD Business School in Lausanne zu finews.ch.
Von der Bedrohung zur Strategie
Der Wandel lässt sich auch an den Organisations-Strukturen ablesen. Früher waren die Nachhaltigkeits-Experten der Banken vor allem in den Rechts- und Compliance-Abteilungen angesiedelt. ESG wurde als Risiko gesehen, also etwas, vor dem man sich schützen musste. Von dort aus wurde das Fachwissen in die Bereiche der Finanz-Berichterstattung integriert.
«Inzwischen wird Nachhaltigkeit als Business case gesehen», sagt Daniela Haze Stoeckli, Partnerin bei Mind Your Step, einer Karriereberatungs-Firma. Die Unternehmen haben erkannt, dass sie sich damit gegenüber Kunden und bei der Talent-Akquise positionieren können. «Das Thema wurde auf die Geschäftsleitungs-Ebene katapultiert und ist zu einem festen Bestandteil der Unternehmens-Strategie geworden», fügt sie hinzu.
Noch mehr liegt drin für die Nachhaltigkeits-Profis. Wenn die Entwicklungen in anderen Branchen die Richtung vorgibt, könnte die Rolle des Nachhaltigkeits-Leiters zum Sprungbrett für den Chefposten werden, so Olynec. Als Beispiel verweist sie dabei auf den schwedischen Modekonzern H&M, wo Helena Hamerson von der Nachhaltigkeits-Chefin zur CEO aufgestiegen ist.
Allianzen schmieden
Doch die Schweizer Banken hüten sich bislang davor, Finanzfachleute einzustellen, die sich allzu weit vom Bankgeschäft entfernt haben. Das zeigt der Blick auf führende Nachhaltigkeits-Posten der Branche. Sie bevorzugen in diese Schlüsselpositionen weiterhin Mitarbeiter mit geradlinigen Karrieren. Wie etwa bei der Credit Suisse Marissa Drew, die vom Investmentbanking direkt in die Rolle der Nachhaltigkeits-Chefin der Schweizer Bank wechselte.
Doch für einen tiefergehenden Umschwung beim Thema Nachhaltigkeit braucht es wohl mehr. «Es ist wichtig, dass die Banken lernen, dass sie für diesen radikalen Wandel vielfältigere Fähigkeiten brauchen», sagt Thomas Vellacott, Geschäftsführer der Umweltschutz-Organisation WWF Schweiz, der seine Karriere als Private Banker begann.
Wenn sich das Thema von der Peripherie der Organisationen in deren Zentrum bewegen soll, müsse man auch in der Lage sein, Kritiker einzubinden, die bisher auf der anderen Seite des Tisches gesessen haben. «Bei NGO lernt man, dass man Probleme nicht allein angehen und Allianzen bilden muss», fügt Vellacott hinzu.
Moralischer Imperativ
«Der Hauptunterschied zwischen Mainstream-Banken und Nichtregierungsorganisationen besteht darin, dass NGOs zweckorientiert sind, während Banken geschäftsorientiert sind», sagt auch der Ex-Banker Martin Rohner, Geschäftsleiter der Global Alliance for Banking on Values.
Mainstream-Banken könnten von unabhängigen Banken wie der Alternativen Bank Schweiz lernen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Finanzmittel für eine nachhaltige wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung einzusetzen. Rohner leitete einst die Alternative Bank mit Sitz in Olten.
«Nachhaltigkeit muss ein moralischer Imperativ sein, um wirklich einen Wandel herbeizuführen», sagt Rohner. «Solange die Banken das Thema Nachhaltigkeit nur aus strategischen Gründen aufgreifen, um Kunden mit einer Affinität zu diesen Themen zufrieden zu stellen, wird es keinen Unterschied machen. Nicht in der Realwirtschaft».