Die Kritik an der boomenden ESG-Finanz wird immer lauter. Jetzt warnt gar die Zentralbank der Zentralbanken – und das in überraschender Form.
Ihren traditionellen Quartalsbericht widmeten die Experten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) heuer der Inflation. Im Report kamen sie dann aber noch auf eine weitere Preishausse zu sprechen: Bei der «Bank der Zentralbanken» warnte Departements-Vorsteher Claudio Borio vom Risiko einer «grünen Blase» im boomenden Segment der Nachhaltigen Anlagen. «Es gibt Anzeichen dafür, dass die Bewertungen überdehnt sind», sagte er zur Agentur «Reuters».
Ein Zielkonflikt
Dies sind deutliche Worte von einer Organisation, die den Kurs der weltweiten Geldpolitik und damit der Finanzmärkte entscheidend beeinflusst. Dies umso mehr, als auch in der Schweiz die Behörden den Klimawandel als systemisches Risiko erkennen und inzwischen mit Offenlegungs-Pflichten den Wandel zu einer Nachhaltigen Finanz voranzutreiben suchen. Doch die BIZ in Basel sieht einen Zielkonflikt, wie sie in einem Zusatzreport zum Quartalsbericht ausführte.
Sie fragt: «Kann eine Entwicklung, die grundsätzlich zu begrüssen ist wie der Wandel zu einer emissionsarme Wirtschaft, zu Ungleichgewichten im Finanzsystem führen?»
Ungebremstes Wachstum
Die Befürchtung der BIZ: sie kann. Dies insbesondere, weil der Markt für Nachhaltige Investments praktisch ungebremst wachse, und es gleichzeitig an Standards und Transparenz fehle. Anlagen, die nach weiten Kriterien den Bereichen ESG (Umwelt, Gesellschaft und gute Geschäftsführung) oder Impact (Wirkung) zugeschlagen werden, hätten seit 2016 um ein Drittel auf 35'000 Milliarden Dollar zugenommen. Investments, die im engeren Sinn in ESG-Fonds verwaltete werden, haben sich in fünf Jahren auf 2'000 Milliarden Dollar verzehnfacht.
Dies, während einzelne Firmen galaktische Bewertungen erreicht haben – der Wert des US-Elektroautobauers Tesla kletterte in der letzten Dekade um 16’000 Prozent. Ist es da verwunderlich, dass die obersten Hüter des Finanzsystems Notiz nehmen?
Parallelen zu Subprime
Anders als viele Börsianer, die für die Zukunft und höchstens noch im Moment leben, zieht die BIZ dabei Parallelen zur Vergangenheit. Sie erkennt ein wiederkehrendes Muster: Investments, die mit Wirtschaftsbereichen verbunden sind, die einen radikalen Wandel durchlaufen, erleiden nach einem ersten Boom oftmals schwere Preiskorrekturen. Das war bei Eisenbahn-Aktien Mitte des 19. Jahrhundert so, bei den Techaktien während der Dotcom-Blase rund um die Jahrtausendwende ebenfalls – und erneut bei den Derivaten in der Finanzkrise von 2008.
Die damals toxisch gewordenen verbrieften US-Hypotheken zeigten vor Ausbruch der Krise ein ähnlich steiles Volumenwachstum wie nun die unter ESG- und SRI-Etikett vertriebenen Fonds, findet die BIZ (siehe Grafik unten).
Längere Hebel
Dass es sich bei Nachhaltigen Anlagen noch um relativ kleine Anteile am ganzen Finanzmarkt handelt – «grüne» Bonds machen bei europäischen Banken und US-Versicherern nur 1 Prozent der gehaltenen Investments aus – lässt man in Basel nur bedingt gelten. Wenn erstmals in grossem Stil Derivate auf das Thema ausgeben würden, können die Hebelkräfte rasch zunehmen.
Diese systemische und historische Kritik am Nachhaltigkeit-Boom ist neu. Bisher wurden der Finanzbranche vor allem Etikettenschwindel und «Greenwashing» in Zusammenhang mit Nachhaltigen Investments vorgeworfen. Dies zuletzt auch aus den eigenen Reihen: der ehemalige Nachhaltigkeit-Chef beim weltgrössten Vermögensverwalter Blackrock, bezeichnet Nachhaltige Anlagen als ein «gefährliches Placebo».
«Hört auf mit der Propaganda»
Desirée Fixler, die frühere Nachhaltigkeit-Leiterin bei der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS, hat mit ihrer Kritik gar die Aufsichtsbehörden auf den Plan gerufen. Gegenüber dem britischen Finanzportal «Financial News» (Artikel bezahlpflichtig) wandte sich Fixler nochmals mit Nachdruck an die Branche: «Hört auf mit der ESG-Propaganda», forderte sie ihre Ex-Kollegen auf.
Die mit dem Etikettenschwindel verbundenen Gefahren nimmt nun auch die BIZ wieder auf, auf ihre Weise. So erkennt sie bei Nachhaltigen Anlagen ein Definitions-Risiko: Wenn diese als etwas verkauft würden, das sie gar nicht seien, könne der Wert hinterher umso tiefer stürzen. Das diese Gefahrenquelle auch am Schweizer Finanzplatz besteht, bestätigten unlängst die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) gegenüber finews.ch. So sind laut der Aufsicht Angaben und Berechnungen zu angeblichen CO2-Ersparnissen bei Produkten «häufig» nicht nachvollziehbar.
Mehr als ein Reflex
Die Aufseher wie Beaufsichtigte sind dabei vor die Problematik gestellt, dass klare Standards und Vergleichsgrössen fehlen. Die Experten der BIZ fordern nun mit Nachdruck mehr Transparenz. Dies ist wohl einerseits ein Reflex der professionellen Warner gegenüber Neuem. Höchst kritisch sind die Baseler Aufseher auch gegenüber den aufkommenden Digitalwährungen eingestellt, wenn diese nicht von Notebanken ausgegeben werden.
Anderseits würde wohl jeder Fondsmanager unterschreiben, dass wenn sich das Profil eines Investoren-Portefeuilles massgeblich verändert, nicht nur die Renditechancen, sondern auch die Risiken betrachtet werden müssen. Larry Fink, als Gründer des weltgrössten Fondshauses Blackrock ein eminente Stimme in der Branche, wird gerne mit den Worten zitiert: «Am gefährlichsten sind jene Risiken, über die wir nicht reden.»
Nach den Voten von Whistleblowern wie Fixler und Fancy und nun der BIZ wird niemand behaupten können, dass zu wenig über die Risiken der Nachhaltigen Finanz geredet wurde.