Neobanken gelten auch bei Schweizer Instituten als gefährliche Gegner. Die Chefin der britischen Challenger-Bank Anne Boden schildert nun auf packende Weise, wie sich die Disruptoren oft selber die schlimmsten Feinde sind.
Im Jahr 2015 stand Anne Boden mit ihrer Starling Bank am Abgrund. Der damalige Technologiechef und Mitgründer Tom Blomfield (Bild unten) wollte sie vom Chefsessel drängen, sie drohte das Startup zu verlieren und erst noch für dessen gesamte Schulden aufkommen zu müssen.
Dorthin hatte sie eine Abwärtsspirale aus fehlenden Investorengeldern und einem offenen Streit mit ihrem engsten Verbündeten Blomfield geführt. Den Zwist und ihre Erlebnisse als Neobank-Gründerin hat die 50-jährige, gebürtige Waliserin nun in Buch «Banking On It: How I Disrupted An Industry» niedergeschrieben – auf lesenswerte und sehr persönliche Weise.
Der Band erscheint am 5. November, die britische Zeitung «Times» (Artikel bezahlpflichtig) veröffentlichte bereits einen Vorabdruck.
Die perfekte Bank
Heute, fünf Jahre nach den im Buch beschriebenen Ereignissen, ist Boden eine gemachte Frau. Das britische Branchenportal «Financial News» zählt die ehemalige Beraterin und Bankerin zu den 100 einflussreichsten Finanzfrauen Europas.
Bodens Starling wird in einem Atemzug mit Challenger-Banken wie Revolut, N26 und Monzo genannt – jenem britischen Institut, dass ihr Ex-Geschäftspartner Blomfield nach seinem Weggang gründete.
Der Ursprung von alledem lag in der Finanzkrise, die Boden als operationelle Chefin der Allied Irish Banks (AIB) in Dublin hautnah miterlebte. Nach dem beinahe-Untergang ihres Metiers entschied sie sich jedoch, nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen. 2012 begann sie sich fürs aufstrebende Feld der Fintechs zu interessieren. 2013 kündigte sie bei AIB, um ihre eigene, «perfekte» Bank zu gründen.
Stets im T-Shirt
Mit einigen ehemaligen Bankkollegen und mit Blomfield, der als Technologiechef 2014 hinzustiess, machte Boden sich an den Aufbau der Bank Possible, der späteren Starling. Die beiden kannten sich von früher, und die Bankerin schreibt, sie habe Blomfield blind vertraut. Allerdings sei er ihr von Anfang als «speziell» erschienen: Immer locker in T-Shirt und Turnschuhen unterwegs, sei er extrem ernsthaft bei der Arbeit gewesen. Ein Konzentrierer, der andere Dinge als die jeweilige Aufgabestellung kaum wahrnahm.
So wie es die Bankerin beschreibt, gefiel sich Blomfield zudem als Verkünder der Silicon-Valley-Kultur – flache Hierarchien, Sendungsbewusstsein und wenig Verständnis für etablierte Akteure. Boden berichtet von einem Team-Essen beim Tech-Chef zuhause, bei dem sie den Einkauf erledigte und Blomfield kochte: allerdings viel zu wenig, was die Festivität zu einem denkwürdigen Flop geraten liess.
Dem Ex-Bankpräsidenten eine Lektion erteilt
Keinen Hehl aus seiner Verachtung gegenüber Bankern machte Blomfield offenbar auch gegenüber dem früheren Merrill-Lynch-Präsidenten John Thain. Die beiden Starling-Gründer durften bei Thain in New York vorsprechen, um frisches Kapital zu gewinnen. Laut Boden entschied sich dann aber ihr Partner, dem gestandenen Wall-Street-Banker eine Lektion zum Verschulden der Banken in der Finanzkrise zu halten. «Das Meeting war so peinlich, dass sich einem die Zehen krümmten», erinnert sich die Starling-Chefin.
Selbstredend gingen die beiden Neobanker ohne Geld nach Hause. Die Saat des Misstrauens war gelegt. Ex-Bankerin und «Techie» begannen sich zu bekriegen, die Schulden der Neobank kletterten – bis Blomfield überraschend kündigte. Boden drohte plötzlich ohne Tech-Knowhow dazustehen. Dies hätte noch die letzten willigen Wagniskapitalgeber abgeschreckt. Mehr denn je ging es ums nackte Überleben von Starling.
Gescheiterter Coup
Doch die angedrohte Kündigung, schreibt Boden, stellte sich als Manöver heraus. Blomfield hatte offenbar Kapitalgeber aufgetrieben, die sich aber nur engagieren wollten, wenn Boden selber das Startup verlassen würde. Noch mehr, die Gründerin sollte auch gleich noch alle Schulden der Firma durch den Ausgang tragen.
Nur: Boden ging nicht, und baute Starling ein zweites Mal auf. Heute hält sie 24 Prozent an der Neobank und sammelte dieses Jahr trotz Coronakrise zweimal Geld bei Investoren ein. Blomfield nahm einen Grossteil des Starling-Teams mit sich und gründete die Rivalin Monzo – wie Starling heute eine Neobank mit Klang und zählt zu den am schnellsten wachsenden Fintechs in Grossbritannien.
Wobei Starling 2019 «nur» einen Vorsteuerverlust von umgerechnet 61 Millionen Franken verbuchte, während es bei Monzo 135 Millionen Franken waren. Letzten Mai zog sich dort Blomfield als CEO zurück und amtet mit 35 Jahren nun noch als Präsident.