Im Gegensatz zu vielen europäischen Finanzhäusern haben sich die grösseren Schweizer Banken entgegen allen Befürchtungen im ersten Halbjahr 2020 wacker geschlagen. Warum ist das so? Und bleibt es so?
Credit-Suisse-Chef Thomas Gottstein sprach am (gestrigen) Donnerstag von einem «starken» Halbjahresresultat, das weit über den Erwartungen der Fachleute ausfiel. Aber auch die UBS, die Bank Julius Bär oder Vontobel meldeten in den vergangenen zwei Wochen verblüffend gute Semesterergebnisse, was angesichts der grassierenden Corona-Pandemie nicht ganz selbstverständlich ist.
Noch weniger, wenn man sich vergegenwärtigt, wie einige europäische Finanzhäuser die ersten sechs Monate des laufenden Jahres hinter sich gebracht haben. Allen voran, die sonst als Vorzeigeinstitut geltende Banco Santander; der spanische Finanzkonzern erlitt – erstmals in seiner Geschichte – einen (Semester-)Verlust und zwar einen happigen von nicht weniger als 11,1 Milliarden Euro. Der Löwenanteil davon entfiel auf Firmen- sowie auf Kreditabschreibungen – massgeblich der Coronakrise geschuldet.
Viele müssen Federn lassen
Aber auch andere europäische Finanzhäuser mussten nach den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres bluten: Die britische Grossbank Lloyds sah sich genötigt im zweiten Quartal 2020 ihre Rückstellungen für Kreditausfälle stark zu erhöhen, was zu einem massiven Drei-Monats-Verlust führte und der Semestergewinn gerade noch 19 Millionen Pfund betrug. Auch die grösste europäische Bank HSBC bekam die Corona-Krise voll zu spüren. Und selbst die sonst stabile französische BNP Paribas musste im zweiten Quartal einen unerwartet hohen Gewinnrückgang verzeichnen – der britische Barclays-Konzern gar einen Gewinneinbruch.
Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage: Was haben die Schweizer Institute besser oder zumindest anders gemacht? Hier ist ein Deutungsversuch:
1. Vorsichtigere Kreditvergabe
Einiges deutet darauf hin, dass die Schweizer Banken ihre Kreditvergabe relativ gewissenhaft vorgenommen haben; ausserdem profitierten sie davon, dass viele Schweizer Unternehmen generell krisenresistenter sind als europäische. Allein schon der Umstand, dass die Schweizer Wirtschaft nach der Aufhebung der Euro-Untergrenze im Januar 2015 die damit verbundenen Herausforderungen so gut meisterte, zeigt, wozu Schweizer Unternehmen fähig sind.
2. Wealth-Management-Fokus hilft
Bankgeheimnis hin oder her. Die klare Ausrichtung der meisten im Ausland tätigen Schweizer Banken auf die risikoarme Vermögensverwaltung war in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres Gold wert. Denn zum einen war das Wealth Management wie ein Fels in der Brandung, zum andern waren die Schweizer Institute nicht übermässig in anderen, riskanteren Geschäftsbereichen engagiert.
3. Pragmatismus mit Homeoffice
So schnell wie kaum in einem anderen Land wechselten die Schweizer Banken ins Homeoffice. Gemeint war damit nicht bloss, die Mitarbeitenden nach Hause zu schicken. Sondern die Banken sorgten auch gleich dafür, dass zu Hause auch die Infrastruktur so rasch wie möglich verfügbar war – um den Normalbetrieb aufrecht zu halten. Mit anderen Worten: Die Reibungsverluste hielten sich in einem vertretbaren Rahmen. In anderen Ländern verlief diese Übung harziger.
4. Digitalangebot im richtigen Moment
Von der Digitalisierung ist im Banking schon lange die Rede. Doch im Verlauf der Coronakrise konnten die Schweizer Finanzhäuser endlich zeigen, dass sie tatsächlich über die entsprechenden Tools verfügen, um das Banking der Zukunft in vielen Geschäftsfeldern anzubieten. Und die Nachfrage der Kunden gab ihnen recht. Die weltweit viel zitierte grosse Beschleunigung der ganzen Digitalisierung spielte sich in der Schweiz enorm erfolgreich ab.
5. Komplexe Dienstleistungen für Superreiche
Ob das integrierte Geschäftsmodell mancher Banken wirklich das Gelbe von Ei ist, darüber lässt sich streiten. In der Coronakrise hat sich jedoch gezeigt, dass sehr vermögende Privatkunden angesichts der Unsicherheit und der grossen Verwerfungen an den Märkten ganz spezifische, sprich hoch komplexe Bedürfnisse in ihren finanziellen Belangen hatten. Damit waren die beiden Schweizer Grossbanken im Vorteil, verfügen sie doch schon seit Jahren über diese Schnittstelle zwischen Wealth Management und Investmentbanking (IB), wonach für sehr reiche Privatkunden gewisse Dienstleistungen aus dem IB individuell strukturiert werden können. Weltweit gibt es nur eine Handvoll, vorwiegend amerikanische Geldhäuser, die ebenfalls in der Lage sind, solche Services zu bieten.
6. Vorreiter der Filialschliessungen
Selbst wenn es immer noch zu viele Bankfilialen hierzulande gibt, verfügt die Schweiz im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern über ein schon recht effizientes Angebot an physischen «Verkaufspunkten». Insofern haben die Schweizer Banken in den vergangenen Jahren bereits unbewusst Prävention betrieben und konnten mit dem Beginn des Lockdowns umso schneller weitere Geschäftsstellen schliessen – die sie möglicherweise gar nie mehr wieder öffnen werden.
7. Schweiz als Dividendeninsel
Die jüngst von der Europäischen Zentralbank (EZB) verlängerten Restriktionen in Sachen Dividendenauszahlungen der europäischen Banken erfreut die Investoren nicht, wie auch finews.ch berichtete. Anders die Schweizer Banken, die aufgrund der guten Semesterergebnisse ihre Eigentümer mit einer Ausschüttung beglücken werden. Das bringt ihnen weiteren Goodwill ein.
8. Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit
Auch in der schwierigen Zeit des Lockdowns ist es den Schweizer Banken im In- und Ausland gelungen, als Hort der Sicherheit dazustehen; sei es mit den pragmatisch gewährten KMU-Krediten, aber auch für ausländische Kunden, die angesichts der drohenden Rezession in ihren Ländern möglicherweise «Reichensteuern» oder andere fiskalische Belastungen zu befürchten haben. Besonders sichere Schweizer Geldhäuser profitierten so im ersten Semester 2020 von einem signifikanten Neugeldzufluss.
Und die Kehrseite?
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