Im spektakulären Prozess um verschollene DDR-Millionen wird Julius Bär wohl zahlen müssen. Die ohnehin schon horrende Summe wird noch ansteigen – das wird der UBS nicht schmecken.

153 Millionen Franken hat Julius Bär zurückgestellt, nachdem das Zürcher Obergericht die Forderungen Deutschlands gutgeheissen hat. Vorsorglich, hatte die Privatbank in ihrer Mitteilung hinzugefügt, denn sie zieht das Urteil erneut an das Bundesgericht weiter.

Eine Niederlage von Julius Bär in diesem Prozess-Krimi ist aber wahrscheinlich. Rückstellungen tätigt eine Bank in der Regel erst dann, wenn eine Zahlung absehbar wird und wenn die Höhe der Zahlung in etwa abschätzbar ist. Zweitens hat das Bundesgericht in diesem Fall bereits einmal gegen die Bank entschieden. Und drittens hat es Julius Bär mit einem Gegner zu tun, der alles tut, was rechtlich machbar ist, um an die Millionen zu kommen.

Seit 30 Jahren am Klagen

Die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, kurz BvS, hat vom deutschen Finanzministerium den Auftrag, das Volksvermögen der ehemaligen DDR sicherzustellen. Die BvS ist ein harter Gegner und verfügt über praktisch unbeschränkte Mittel. Seit ihrem knapp 30-jährigen Bestehen überzieht die BvS all jene mit Klagen, bei denen sie versteckte DDR-Gelder vermutet.

Und sie hat bislang immer gewonnen. Die härteste Gegnerin der BvS war bis zu ihrem Tod im Jahr 2012 die Wienerin Rudolfine Steindling (Bild unten) gewesen, eine Dame mit Beziehungen zu den höchsten politischen Kreisen in der ehemaligen DDR, in Österreich und in Israel, und mit einem ausgesprochenen Talent, mit Geld umzugehen.

Die Spuren verloren sich in Zürich

Steindling war vor dem Zusammenbruch der DDR alleinige Treuhänderin der Novum gewesen, eines Aussenhandelsbetriebs der Einheitspartei SED, der aber von der kommunistischen Partei Österreich (KPÖ) gegründet worden war. In den Wirren des Mauerfalls liess die «rote Fini», wie Steindling genannt wurde, rund eine halbe Milliarde D-Mark von Novum-Konten verschwinden.

Rote Fini

(Bild: Keystone)

Die Spuren verloren sich in Zürich auf den Konten der AKB, einer damaligen Tochter der Bank Austria und der Cantrade. Nach jahrelangen Prozessen gegen die BvS gab Steindling vor einem Zürcher Gericht im Jahr 2009 klein bei. Sie zahlte in einem Vergleich über 100 Millionen Euro – doch den Rest hatte sie mit geschickten Transaktionen unauffindbar verschwinden lassen.

Das Vergehen: Eine Übernahme 

Die BvS änderte nun ihre Strategie und klagte gegen die Banken. Julius Bär kam im Jahr 2014 an die Reihe, wie finews.ch damals exklusiv berichtet hatte. Die Klagesumme belief sich damals «erst» auf 135 Millionen Euro. Julius Bär habe nicht verhindert, dass Unbefugte – also Steindling – Gelder von Konten abgezogen haben.

Nun ist Julius Bär an sich unschuldig. Ihr einziges Vergehen besteht darin, im Jahr 2005 die Cantrade von der UBS übernommen zu haben. Als Rechtsfolgerin soll sie nun für Verfehlungen von damaligen Cantrade-Angestellten gerade stehen, die heute ganz anders beurteilt werden als vor dreissig Jahren, als eine Weltordnung zusammenbrach und es nichts Ungewöhnliches war, dass Kunden ihre Millionen in Plastiktüten an der Zürcher Bahnhofstrasse von einer Bank zur anderen brachten.

Geld von der UBS holen

Aber Julius Bär hatte sich beim Kauf der Cantrade abgesichert. Darum heisst es in der Mitteilung erneut, die Bank habe «die Forderungen der BvS unter der Transaktionsvereinbarung (...) im Rahmen der mit Bezug auf die erworbenen Gesellschaften abgegebenen Zusicherungen gegenüber der damaligen Verkäuferin angemeldet». Mit anderen Worten: Sollte Julius Bär zahlen müssen, was immer wahrscheinlicher scheint, wird sie das Geld von der UBS zurückfordern.

Wie finews.ch erfahren hat, ist die UBS im laufenden Prozess nicht nur «interessierte» Beobachterin. Sie und Julius Bär stehen im engen Kontakt bezüglich der weiteren Prozessstrategie. Weder Julius Bär noch UBS wollten dies kommentieren.

Die beiden Schweizer Banken – sie zahlten schon einmal an Deutschland mehrere hundert Millionen Euro Strafe wegen Steuervergehen – gegen die BvS: Die Streitsumme ist inzwischen auf über 150 Millionen Franken gestiegen. Und mit fortlaufender Dauer wird sie noch höher.

Von Partnern zu Gegnern

Dem Zinseszins ist es zu verdanken, dass die ursprüngliche Streitsumme von 97 Millionen Franken um über die Hälfte angestiegen ist. Die Bank Austria kann ein Lied davon singen. Sie lieferte sich ebenfalls einen jahrelangen Kampf gegen die BvS und verlor 254 Millionen Euro. Deutschland wäre zu Beginn der Prozesse mit der Hälfte zufrieden gewesen.

Der Ausgang des Bär-Verfahrens gegen die BvS ist absehbar: Die Privatbank wird das zu bezahlende Geld von der UBS zurückfordern. Und diese werde sich wehren, macht man sich bei Julius Bär offenbar keine Illusionen.

Mit jeder List vertraut

Sind Julius Bär und UBS zurzeit sozusagen noch eine gemeinsame Partei gegen das Bundesfinanzamt, dürften sie nach einer Niederlage im selben Fall zu Gegnern werden – eine weitere Drehung und Wendung in einem Wirtschaftskrimi, der es längst verdient hätte, mit der «roten Fini» in der Hauptrolle verfilmt zu werden.

Diese Dame der Wiener High-Society, von Gegnern «Chanel-Kommunistin» genannt, von Freunden Wohltäterin, verheiratet mit einem Überlebenden des Holocaust, führte während über 20 Jahren ein kleines Heer an deutschen Bundesfinanzbeamten an der Nase herum – bis auf die 100 Millionen Euro Vergleichszahlung bleiben die DDR-Millionen bis heute verschwunden.

Den damaligen Finanzminister Theo Waigel brachte sie an den Rand der Verweiflung und doch sprach dieser mit einer gewissen Hochachtung über sie. «Wir haben Fini Steindling auch im hohen Alter nicht in Ruhe gelassen», sagte Waigel nach ihrem Tod. «Aber sie war mit jeder List vertraut.»