Der Kursboom des Bitcoin ist das Sommergespräch unter Bankern. Die Kryptowährung offenbart Widersprüche, die sie nicht auflösen kann. Die finews.ch-Redaktion zeigt die Ungereimtheiten.
1. Banken verehren die Blockchain, verschmähen aber Bitcoin
Kaum eine Grossbank oder ein Versicherungskonzern, der sich von der Blockchain nicht weniger als die Veränderung der Welt verspricht. Entsprechend pumpen Finanzinstiute Milliarden in die Entwicklung der Technologie und ihrer Anwendungen. Bitcoin hingegen, das erste marktfähige Produkt der Blockchain überhaupt, verschmäht die Hochfinanz: Es sei Hokuspokus-Geld, ohne zugrundeliegenden Wert. Ein Widerspruch, der sich aus der Produkteperspektive der Grossbanken erklären lässt. Gut ist, was innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette produziert und verkauft werden kann.
2. Die Mär vom sicheren Hafen
Eine gängige Erklärung für den Preisanstieg des Bitcoin jenseits der 4'000-Franken-Marke ist die Flucht in Sicherheit. Angesichts des Säbelrasselns rund um Nordkorea seien die Anleger auf der Suche nach einem sicheren Hafen: Gold, Franken – oder eben Bitcoin. Ein sicherer Hafen also? Die Realität könnte nicht ferner liegen. Bitcoin-Anleger mussten schon Kursschwankungen um über 50 Prozent durchstehen, und angesichts der kriminellen Verwendung in Darknet-Kreisen ist die Kryptowährung gefährdet, sich ihren eigenen Ruf zu zerstören.
3. Wealth Manager verstehen (einmal mehr) ihre Kunden nicht
Bitcoin ist nicht eine Spekulation armer Leute. Die Kryptowährung ist längst in den Fokus der UHNWI-Klientel geraten, vornehmlich im Nahen Osten und in Asien. Derweil klagen die Schweizer Wealth Manager über die Passivität und Risikoaversion ihrer Kunden. Viel eher ist es so, dass die vornehmen Privatbanken einmal mehr die Bedürfnisse ihrer Kunden nicht verstehen. Kryptowährungs-Knowhow und -Angebote sollten längst zum Repertoire der Privatbanken gehören.
4. Banken – etwas Scheinheiligkeit ist auch dabei
Banken würden ihren Kunden eine Anlage in Bitcoin nie empfehlen, klingt es praktisch unisono aus den Anlagekomitees: Zu unsicher, zu volatil, zu wenig ausgereift sei das Bitcoin-Währungssystem. Es gab Zeiten in den 1990-er Jahren und nochmals in den Nullerjahren, da hatten Banken weniger Hemmungen, ihren Kunden bedeutend schlechtere Tech-Ideen oder Produkte als nächstes Börsenwunder zu verkaufen. Der böse Schock von damals wirkt nun auf den Bitcoin nach: Obwohl dieser auf einer erprobten Technologie beruht und rege gehandelt wird, mögen ihn die Geldhäuser nicht mal mit der Feuerzange anfassen.
5. Von den hehren Anfangsideen inzwischen weit entfernt
Unmittelbar nach der Finanzkrise startete Bitcoin als Anarcho-Währung. Als ungebundenes, transparentes, anonymes Gegenstück zum belasteten Papiergeld, das ohne Finanzinstitute auskomme. Das gefiel Libertären, Occupy-Autonomen und schrulligen Milliardären gleichermassen. Dass die Geldmenge auf 21 Millionen Bitcoin begrenzt ist, nahm man in Kauf. Von der Uridee scheint nichts mehr übrig: Banken, Konzerne und Staaten vereinnahmen die Technologie hinter der Kryptowährung. Und der Bitcoin ist mit dem jüngsten Preisanstieg zum Spielball des von den Gründern geschmähten «Kasinokapitalismus» geworden.
6. Hypermoderne Technologie? Ein Witz!
Der Bitcoin zugrunde liegende Blockchain-Technologie wird zwar revolutionäres Potenzial zugesprochen. Doch verläuft der Handel mit Bitcoin im steinzeitlichen Tempo. In Zeiten des Echtzeit- und Hochfrequenzhandels ist es eigentlich ein Witz, dass das Bitcoin-Netzwerk maximal sieben Zahlungen pro Sekunde schafft. Trotz enormer Rechenleistungen und dezentralen Systemen kommt die Blockchain-Technologie angesichts des Bitcoin-Booms sehr rasch an ihre Grenzen. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Sieht so eine Währung der Zukunft aus?
7. Und wenn Bitcoin crasht? So what!
Der wahrhaftig rasante Kursanstieg des Bitcoin auf nun über 4'000 Franken hat eine neue Welle von Crash-Warnungen ausgelöst. In den Medien überschlagen sich die Prognosen, Kommentatoren zeigen sich besorgt über die Auswirkungen eines möglichen Crashs. Angesichts einer Marktkapitalisierung von derzeit rund 66 Milliarden Franken, könnte man sich fragen: «So what?» Jedes Blue-Chip-Unternehmen der Welt hat eine Marktkapitalisierung in dieser Grössenordnung. Allein Nestlé bringt 222 Milliarden Franken auf die Waage. Ein Bitcoin-Crash würde in keiner Weisen die Schockwellen aussenden, die Schwarzmaler prophezeien.
8. Stromfresser: Grüne werden keine Bitcoin-Fans
Der Bitcoin mag für systemkritische Geister eine besondere Anziehungskraft haben. Doch für Umweltschützer ist er des Teufels. Berechnungen zufolge verbraucht eine einzige Bitcoin-Transaktion so viel Strom wie 1,57 US-Haushalte einen ganzen Tag lang. Das gesamte Bitcoin-Netzwerk stösst jährlich etwa 7,6 Millionen Tonnen CO2 aus. Mit der Expansion der Kryptowährung steigt zwangsläufig auch der Stromverbrauch. Die Bitcoin-Schürfer reagieren darauf wie es Globalisierungs-Profis tun: Sie schürfen ihre die Bitcoins vorwiegend in Ländern mit tiefen Energiepreisen, vorzugsweise in China.
9. Die Währung des 21. Jahrhunderts? Das hatten wir doch schon mal!
Längst ist Bitcoin im allgemeinen Hype zur Währung des 21. Jahrhunderts erhoben worden. Sie wird Zahlungs- und Währungssysteme revolutionieren, so der Glaube. Einen ähnlichen Hype gab es zu Beginn dieses Jahrtausends schon einmal: CO2 – Kohlendioxid – war im Hinblick auf Klimarettungspläne ein Wert zugesprochen, handelbar geworden und galt plötzlich als Währung des 21. Jahrhunderts. Milliarden flossen in den CO2-Markt, eine CO2-Finanzindustrie entstand in Windeseile. Davon ist nichts übriggeblieben, die Träume eines globalen Handelssystems sind geplatzt. Droht dem Bitcoin ein ähnliches Schicksal? Kann sein – oder auch nicht.