Der Wahlausgang in Grossbritannien hat für eine dicke Überraschung gesorgt. Die Brexit-Verhandlungen erscheinen nun in einem ganz neuen Licht – nicht unbedingt zum Vorteil der Schweizer Banken.
Die amtierende britische Premierministerin Theresa May hat ein Eigentor geschossen. Sie wollte mit den vorgezogenen Wahlen vor dem Hintergrund der Brexit-Verhandlungen innenpolitisch ihr Position stärken. Herausgekommen ist nun eine Patt-Situation, in der weder die Konservativen unter der Führung von May noch die oppositionelle Labour-Partei die Mehrheit erreichten.
May wird nun nicht gestärkt die Brexit-Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) ausfechten können. Doch was heisst dies für die Banken in der Themsestadt?
1. Unsicherheit nimmt zu
Der Geduldsfaden der Banken in der «City» steht schon seit längerem unter Spannung. Mit dem jüngsten Wahlausgang droht er nun, zu zerreissen. Denn ohne klare Regierungsmehrheit wird sich der Start des Brexit-Prozesses am 19. Juni weiter hinauszögern, befürchten Politkenner.
Die Credit Suisse (CS) hat bereits Tausende von Jobs an ihrem Standort in London abgebaut. Der jüngsten Welle sollen nun gar 1'500 Arbeitsplätze bis Ende 2018 zum Opfer fallen. Zwar begründet die CS ihre Rückbaumassnahmen primär mit der hohen Kostenbasis in London. Der ungewisse Ausgang der Brexit-Verhandlungen spiele aber auch eine Rolle, heisst es.
Auch die UBS könnte nun bestrebt sein, eine rasche Lösung für ihr London-Office zu finden. Die Schweizer Grossbank hat ihre Strategie an den Ausgang der Brexit-Verhandlungen geknüpft.
2. Personenfreizügigkeit: Wachsende Unklarheiten
Ein Zankapfel im Brexit-Prozess ist die Personenfreizügigkeit. May will die Personenfreizügigkeit für andere EU-Bürger beenden. Unklar ist auch, wie die britische Regierung den Zugang von Nicht-EU-Bürgern regeln will. Für die Finanzinstitute ist dies eine ganz entscheidende Frage: Denn sie fürchten hohe bürokratische Hürden, um Talente aus dem EU-Raum und ausserhalb anzuheuern.
Womöglich gibt May in diesem für die Finanzindustrie kritischen Punkt nach. Denn es ist wahrscheinlich, dass sie – eingebunden in eine Regierungs-Koalition – in dieser Frage Zugeständnisse machen muss, damit es nicht zu einer «schmutzigen Scheidung» mit der EU kommt. Die Börsen scheinen die Aussicht auf einen Soft-Brexit höher zu gewichten als die neu aufgeflammte Unsicherheit. So liegt der wichtigste Index in Grossbritannien und der Leitindex der London Stock Exchange, der FTSE 100, am Freitag deutlich im Plus.
3. Die Gefahr eines Altlinken
Die komplexe Situation in Westminster und die Wahrscheinlichkeit, dass May schon bald nicht mehr an der Spitze der Tories stehen wird, deuten auf Neuwahlen schon im Herbst hin.
Dies wiederum bringt eine Zeit der Ungewissheit für die Wirtschaft und die Banken mit sich. Sollten sich die Tories nämlich einen harten innerparteilichen Kampf um die Macht liefern – was sie schon immer mit viel Engagement getan haben – dürfte sich Labour gute Chancen ausrechnen, zur stärksten Kraft im Parlament aufzusteigen.
Das wird aber die City wenig freuen: Eine Regierung mit dem «Altlinken» Labour-Chef Jeremy Corbyn an der Spitze würde vermutlich die Staatsausgaben massiv erhöhen, Verstaatlichungen von Schlüsselindustrien anstreben und der Bankenwelt weitere Steine in den Weg legen. Dies wäre der Preis für den leichteren Zugang zum EU-Binnenmarkt, den Corbyn verspricht – ein sehr hoher Preis für einen Finanzmarkt, der in einem globalen Wettbewerb steht.
4. Bruch mit der EU
Wenn die britische Regierung trotz der Wahlniederlage den Bruch mit Brüssel sucht, also einen harten Brexit anpeilt, verliert die britische Wirtschaft und verlieren damit auch die Banken den Zugang zum EU-Binnenmarkt. Vor allem amerikanische Banken kämen dann unter «Zügeldruck». Denn viele wählten London als Vetriebsstandort für ihre Anlageprodukte in die EU. Sie müssten sich nach neuen Standorten in Kontinentaleuropa umschauen – ganz zur Freude von Frankfurt, Dublin, Luxemburg oder Paris.
Auch die Schweizer Grossbanken sähen sich dann wohl gezwungen, den Produktvertrieb verstärkt von einem Standort innerhalb der EU zu organisieren. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat die UBS in Frankfurt eine «Europa-Bank» gegründet.
5. Schnäppchen für Schweizer Finanzinstitute?
Auch wenn Banken Unsicherheit scheuen wie der Teufel das Weihwasser, bietet die aktuelle Situation auch eine seltene Gelegenheit, in London stärker Fuss zu fassen. Denn das britische Pfund verlor gegenüber Euro und Dollar deutlich an Wert. Ausländische Investoren kommen so zu einem Rabatt.
Dies könnte auch das eine oder andere Schweizer Finanzinstitut motivieren, einen britischen Asset Manager zu übernehmen – vorausgesetzt man rechnet nicht mit dem Schlimmsten im Vereinigten Königreich.