Top-Banker sehen sich heutzutage gerne als Opfer. Dabei hätten manche von ihnen gar keinen Grund dazu. Und der Branche täte es auch gut, etwas anderes zu tun, als ständig ihre Wunden zu lecken.
Weihnachtszeit, Lesezeit? Mit der Publikation seines Erfahrungsberichts kommt Raoul Weil in mehrfacher Hinsicht gerade richtig. Denn vor den Feiertagen kaufen die Leute vermehrt Bücher, die sie dann entweder verschenken oder möglicherweise gleich selber lesen.
Die Frage bleibt nur, will man sich wirklich mit der Läuterungs-Beichte eines Bankers auseinandersetzen?
Eine schweizerische Eigenart
Denn eins fällt auf, bei all diesen Banker-Büchern der letzten Jahre: Die Autoren, ehemals gestandene Banker, schlüpfen als Literaten liebend gerne in die Rolle des Opfers – so auch der frühere UBS-Top-Manager Raoul Weil, der sich als «Bauernopfer» sieht, nachdem er auf Geheiss der US-Behörden in Italien festgenommen worden war und ihm in Amerika der Prozess gemacht wurde.
Natürlich liest sich der Erfahrungsbericht eines Opfers immer gut. Das dürfte vermutlich eine der Überlegungen gewesen sein, als sich Weil ans Schreiben machte. Die Opferrolle scheint aber generell eine höchst schweizerische Eigenart zu sein, die sich in den vergangenen Jahren besonders in der Finanzbranche manifestiert hat, namentlich im Verkehr mit den USA.
Ins Opfer-Schema gefügt
Zur Erinnerung: Unter dem Druck der amerikanischen Behörden hat sich die Schweiz relativ rasch in diese Rolle gefügt und bloss noch reaktiv und aus der Defensive heraus agiert – mit allen Konsequenzen, die damit verbunden waren. Und so fügt sich auch Raoul Weil in dieses Opfer-Schema und beklagt literarisch seine leidvollen Erfahrungen. Der Grundtenor ist somit gegeben.
Natürlich war diese Zeit für Weil gewiss kein Sonntagsspaziergang. Doch am Ende hat ihn das US-Gericht freigesprochen. Damit gehört er im Prinzip zu den wenigen Vertretern der Schweizer Finanzbranche, die als Gewinner aus den Turbulenzen mit der US-Justiz hervorgegangen sind. Trotzdem gefällt sich der frühere UBS-Manager in der Opferrolle.
Den Leuten Mut machen
Würde ein Amerikaner einen solchen Erfahrungsbericht verfassen, käme er garantiert anders heraus. Konkret: Der Protagonist würde sich als Held feiern – solche Zeugnisse gibt es in den USA zuhauf.
Sie dokumentieren ein völlig anderes Selbstverständnis, nämlich ein offensives und konstruktives, das als Anschauungsunterricht und als Anleitung anderen Leuten Mut machen soll.
Das geht Weil ab, aber auch der ganzen Schweizer Finanzbranche in ihrem Umgang mit den USA. Das war früher nicht so. Bis in die 1960er-Jahre hinein begegneten die Schweizer Banker den Amerikanern auf Augenhöhe und liessen sich wenig einschüchtern.
Auf Augenhöhe mit den Amerikanern
Zwei Beispiele: Im Nachgang zum Zweiten Weltkrieg musste die Schweiz im Washingtoner Abkommen von 1946 zwar weitreichende Zugeständnisse machen und den Alliierten 250 Millionen Franken Busse bezahlen.
Gleichzeitig aber handelte sie sich den Zugriff auf die in den USA blockierten Schweizer Vermögenswerte aus und wurde von der Schwarzen Liste der Amerikaner gestrichen, die es ungefähr 2’000 Unternehmen verbot, auf dem US-Markt tätig zu sein.
Und in den 1960er-Jahren gelang es dem damaligen SBG-Chef und späteren Präsidenten Alfred Schaefer, die Kontroverse in der Interhandel-Affäre so lösen, dass sich die damalige Schweizerische Bankgesellschaft erhebliche Vermögenswerte sichern konnte, mit denen sie schliesslich zur definitiv grössten Bank der Schweiz avancierte.
Nach vorne schauen
Etwas mehr Selbstbewusstsein täte den Schweizer Bankern nach den traumatischen Ereignissen der vergangenen Jahre gut, denn die Branche will wieder nach vorne schauen können.