Die Giganten der Schweizer Hochfinanz waren sich einst sehr ähnlich. Das werden sie in der Zukunft nicht mehr sein. Während die UBS nur noch Retouchen an ihrem Erfolgsmodell vornimmt, steht die Credit Suisse vor einem epochalen Neubeginn.
Axel Weber (Bild unten) ist bekannt als brillanter Denker und eloquenter Redner. Doch was der Verwaltungsratspräsident der UBS unlängst sagte, liess selbst die grössten Kenner der Finanzwelt aufhorchen. «Wir», erklärte er und meinte damit das Top-Management der Bank, «führen keine Strategiediskussion mehr. Wir diskutieren nur noch, wie wir unsere Strategie umsetzen.» Viele Verbesserungen liessen sich in der Umsetzung realisieren.
Webers Erkenntnis illustriert gut, wo die UBS heute steht und ihre ewige Rivalin, die Credit Suisse (CS), eben nicht. Konkret: Während sich die UBS in den vergangenen vier Jahren strategisch neu erfunden hat und so auf die Strasse des Erfolgs zurückkehrte, steht die CS erst am Anfang dieses Prozesses. In der zweiten Oktoberhälfte wollen der neue Credit-Suisse-Chef Tidjane Thiam und CS-Präsident Urs Rohner darüber informieren, wohin die Reise gehen soll.
Ein neues Kapitel in der Schweizer Bankengeschichte
Obschon vieles noch vertraulich ist, lässt sich die angedachte CS-Strategie durchaus abschätzen. Eins wird dabei klar: Entwickelten sich die beiden Giganten der Schweizer Hochfinanz früher meist sehr ähnlich, so werden sie das kaum mehr tun. Künftig heisst es: Ein Finanzplatz – zwei Geschäftsmodelle – damit schlagen die UBS und CS ein neues Kapital in der Schweizer Bankengeschichte auf.
Seit der Finanzkrise reduzieren sich viele Branchen-Gespräche auf das Thema Investmentbanking – nämlich auf die Frage: Wie viel Investmentbanking sich ein globaler Finanzkonzern noch leisten will oder kann, angesichts der gestiegenen Eigenmittel-Anforderungen und der weltweit verschärften Gesetze?
Bloss noch Zulieferfunktion
Tatsächlich verlangen viele Geschäftsfelder im Investmentbanking heute enorm viel Kapital. Und die Antwort auf diese Frage besteht meist darin, auf die UBS zu verweisen, die im Zuge ihrer Restrukturierung grosse Teile ihrer Investmentbank verkauft oder geschlossen hat. Heute hat diese Sparte bloss noch eine Zulieferfunktion für die Vermögensverwaltung.
Kaum überraschend gehen die meisten Spekulationen rund um die CS dahin, dass sie es der UBS gleich tut. Doch diese Vermutungen greifen zu kurz. Denn sie passen nicht zum historischen Selbstverständnis der Bank, auf das sich selbst CEO Thiam regelmässig beruft.
Als Investmentbank gegründet
Ein Blick in die Geschichte zeigt auch, dass das Unternehmen als Investmentbank gegründet wurde, um die Industrialisierung in der Schweiz zu finanzieren, und auch später in den 1980er-Jahren, unter der Ägide ihres damaligen Chefs Rainer E. Gut (Bild oben mit Tidjane Thiam), an dieser Geschäftsdomäne festhielt. Daran wird sich auch unter Thiam kaum viel ändern.
Informell betont CS-Präsident Urs Rohner (Bild unten) denn auch, dass keine Absicht bestünde, die Investmentbank so substanziell wie bei der UBS herunterzufahren; das Investmentbanking sei ein Bestandteil des Konzerns.
Der Markt der Zukunft
Statt nach Geschäftsfeldern zu urteilen, ist es sinnvoller, das Ertragspotenzial nach geographischen Kriterien zu beurteilen – also nach den Regionen, in denen die UBS und die CS tätig sind. Denn die Wünsche und Erwartungen der Kunden dort, entscheiden darüber, wie sich eine Bank zu positionieren hat. Unter diesem Gesichtspunkt richtet sich das Augenmerk eindeutig auf den asiatisch-pazifischen Raum. Denn nirgendwo anders auf der Welt, findet seit eine grössere Vermögensakkumulation statt als zwischen Hongkong, Singapur und Schanghai.
Auch das bringt UBS-Präsident Weber auf den Punkt, wenn er feststellt: «Asien ist der Markt der Zukunft. Jene Bank, die 2050 kein signifikantes Asien-Exposure hat, wird es schwer haben, zu bestehen. Von den neun Milliarden Menschen, die 2050 die Erde bevölkern, werden fünf Milliarden in Asien leben.»
Asien als Blaupause
Das weiss Tidjane Thiam (Bild unten) auch, zumal er Mitte der 1980er-Jahre als Stipendiat mehrere Monate in China weilte, und diese Zeit als eine seiner prägendsten Erfahrungen bezeichnet. Zudem gewann der gebürtige Ivorer später weitere Einsichten in Asien, als er für den britischen Versicherungskonzern Prudential tätig war, der in dieser Region höchst erfolgreich ist.
Insofern lässt sich die Präsenz der Credit Suisse in Asien durchaus als Blaupause für die weitere Strategie nehmen. Ohnehin demonstriert die CS in dieser Region schon jetzt ein grosses Selbstverständnis. Sie tritt als «Unternehmerbank» auf, die Firmengründer und -besitzer in finanziellen Belangen sowohl geschäftlich als auch privat betreut. So gesehen spricht wenig dafür, dass die CS ihr Investmentbanking in den nächsten Monaten drastisch stutzt.
Eine Unternehmerbank
Im Gegenteil: Die grossen asiatischen (Privat-)Kunden, deren Vermögen vielfach in ihren Unternehmen stecken, sind auf Finanzdienstleistungen angewiesen, die nur Investmentbanker konzipieren können. Welches strategische Gewicht der asiatische Markt für die CS hat, unterstreicht auch die Tatsache, dass sie ihre digitale Banking-Plattform für reiche Privatkunden in Singapur lancierte und erst danach in der Schweiz einführte.
Natürlich umwirbt auch die UBS die superreiche Klientel Asiens. Doch im Gegensatz zur Credit Suisse positioniert sie sich als (die grösste) «Vermögensverwalterin» (der Welt) und nicht als «Unternehmerbank». Zudem baut sie ihre Präsenz vor allem geographisch, aus, namentlich in Grosschina, wie das Einzugsgebiet Chinas, Hongkongs und Taiwans heisst.
Mit Fintech die Nase vorn
Dass sich die beiden Grossbanken zunehmend voneinander unterscheiden, zeigt sich auch in der Schweiz, in einem Markt, der schon recht gesättigt ist. So hat die UBS auf dem Gebiet Fintech eindeutig die Nase vorn, während die CS dieses Feld bislang stiefmütterlich behandelt hat. Auch die Absicht, die Beratung der Kunden in Rechnung zu stellen, und nicht wie bisher Gebühren für die Transaktionen zu erheben, ist bei der UBS weiter gediehen als bei der CS. Und mit Lukas Gähwiler (Bild oben) hat die grösste Bank der Schweiz hierzulande eine Identifikationsfigur. Das geht der CS ab.
Die Schweizer Einheit der CS musste in den vergangenen zwei Jahren stattdessen einen enormen personellen Aderlass verkraften und verfügt auf Grund der Doppelfunktion von Hans-Ulrich Meister (Bild unten) – als Schweiz-Chef sowie Co-Chef der Vermögensverwaltung – über ein wenig ausgeprägtes Standing.
Vier wichtige Themen
Wie aus Bankenkreisen zu vernehmen ist, dürfte Thiam neue Leute auf der Führunsetage installieren und sich von einigen US-Topmanagern verabschieden. Die Ernennung eines Schweiz-Chefs wird, gerade vor dem Hintergrund, dass beide Grossbanken nun auch eine Schweizer Rechtseinheit gebildet haben, eine zentrale Rolle spielen.
Fintech, Asien, Kosten und Kapital – das sind die vier wichtigsten Themen, mit denen sich die grossen Institute in den nächsten Jahren befassen müssen. Fintech, weil von da die meisten Innovationen kommen, Asien, weil das der grösste Markt ist, Kosten angesichts der verschärften Gesetze sowie Kapital, um die Sicherheit und Solidität einer Bank zu bewahren und mit einer Übernahme zu wachsen.
Einmaliges Momentum
Wie in der Branche zu hören ist, will CS-Cjhef Thiam mit seiner Strategie-Ankündigung am 21. Oktober das (einmalige) Momentum nutzen, um den Kurs der Credit-Suisse-Aktie auf einen Schlag markant zu steigern. Schliesslich ist Thiam bei der Schweizer Grossbank auch mit dem Image angetreten, den Aktienkurs seines früheren Arbeitgebers Prudential über die Zeit verdreichfacht zu haben.
In der Vergangenheit lösten sich die Schweizer Grossbanken in ihrer Führungsrolle alle fünf Jahre etwa ab. Mal ging die Credit Suisse voran, dann wieder die UBS. An den Finanzmärkten spricht man von der «Great Rotation», wenn eine fundamentale Umlagerung stattfindet. Dieser Prozess scheint nun bei beiden Schweizer Grossbanken eingesetzt zu haben – die Credit Suisse hat dabei weniger zu verlieren als die UBS.