Burkhard Varnholt ist der Meinung, der Umgang mit Kunden im Private Banking sollte unkonventioneller sein. Der CIO von Julius Bär erklärt so auch die Kooperation mit dem Think Tank W.I.R.E.
Die Bank Julius Bär arbeitet seit Kurzem mit dem Think Tank W.I.R.E zusammen, der 2008 von Burkard Varnholt mitgegründet worden war. W.I.R.E. steht für «Web for Interdisciplinary Research & Expertise». Varnholt ist seit März Anlagechef der Bank Julius Bär und Leiter der Investment Solutions Group. Zuvor war der 46-Jährige in ähnlicher Position bei der Bank Sarasin. W.I.R.E. war zuvor der Think Tank von Sarasin gewesen.
Herr Varnholt der von ihnen mitgegründete Think Tank W.I.R.E. ist nun Kooperationspartner von Julius Bär. Erklären Sie uns den Zweck dieser Kooperation.
W.I.R.E. betätigt sich als Think Tank in einem interdisziplinären Gebiet. Er beschäftigt sich mit Trends in Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie oder Life Sciences – Themen von gesellschaftlicher Relevanz. Als Bank haben wir auf mehreren Ebenen ein Interesse daran, im Dialog mit der Öffentlichkeit einen Beitrag für die Entwicklung origineller und in die Zukunft gerichteter Ideen zu leisten. Das sehen wir als Teil unserer gesellschaftlichen Verpflichtung. Wir wollen unserem Heimmarkt, von dem wir profitieren, etwas zurückgeben.
Das könnte Julius Bär auch mit einem gemeinnützigen Sponsoring …
… Stimmt, wir könnten auch das neue Elefantenhaus im Zürcher Zoo finanzieren. Aber Julius Bär hat auch als Privatbank ein Interesse an W.I.R.E. Denn wir müssen uns tagtäglich mit der Zukunft befassen.
«Es geht um Themen, die sich nicht mit einer kurzfristigen Anlagestrategie beantworten lassen»
Nicht nur in den Überlegungen zu Anlagestrategien, sondern auch in unserer Ausrichtung als global tätige Bank. Unsere Kunden sind unterschiedlichster Herkunft und laufend mit Fragen konfrontiert, wie technologische und gesellschaftliche Entwicklungen ihre Unternehmungen und Vermögen beeinflusst. Diese Fragen lassen sich nicht mit einer kurzfristig angelegten Anlagestrategie beantworten, denn es geht um Themen, die sich mit Entwicklungen über die kommenden Jahrzehnte befassen.
Zuvor war W.I.R.E. Kooperationspartner der Bank Sarasin gewesen, wo Sie ebenfalls Anlagechef waren. Ist W.I.R.E. immer da, wo Sie sind?
Ich bin im Verwaltungsrat von W.I.R.E. und ich habe der Geschäftsleitung von Julius Bär die Kooperation vorgeschlagen. Diese war von dem Vorschlag rasch überzeugt, und auch der Verwaltungsrat hat dem zugestimmt.
Was ist die Grundidee von W.I.R.E.?
Bei der Gründung von W.I.R.E. hatten Stephan Sigrist, ein Biochemiker, und ich die Überlegung gemacht, dass es ein zunehmendes Bedürfnis gibt, interdisziplinäre Zusammenhänge zu verstehen. Wir leben in einer Welt, in der die Spezialisierung in allen Bereichen vorwärts schreitet. Das führt manchmal zu Situationen, welche die Briten «confused at a higher level» nennen.
«Die Unabhängigkeit einer solchen Einheit ist wichtig»
Wir müssen beispielsweise Informationen aus der Nano- oder Biotechnologie wie auch aus der Finanzmarktstruktur verarbeiten und verstehen, teilweise sogar Zusammenhänge herstellen können. Mit W.I.R.E und dem Collegium Helveticum als Partnerin hatten wir die Absicht, das Verständnis zu dieser Interdisziplinarität von unabhängiger Seite zu fördern und zu vermitteln.
Die Analyse solcher Fragen könnte doch auch von einem spezialisierten Team innerhalb der Bank erarbeitet werden. Warum braucht es dafür den Think Tank W.I.R.E.?
Möglicherweise, ja. Aber ich glaube, es ist wichtig, die Unabhängigkeit einer solchen Einheit zu gewährleisten. Also macht man es am besten ausserhalb der Bank. W.I.R.E. macht ja gerade nicht Investment-Research. Was der Think Tank macht und was ein Analyst bei Julius Bär macht, hat absolut nichts miteinander zu tun.
W.I.R.E. definiert Zukunftsthemen. Bezweckt Julius Bär damit nicht, dass solche Themen in Anlagen nachgebildet werden?
Ausschliessen möchte ich das nicht. Aber dafür sind wir die Kooperation mit W.I.R.E. nicht eingegangen. In unserem Investment-Research haben wir seit mehreren Jahren den Themenschwerpunkt «Next Generation», welche mögliche zukünftige und nachhaltige Anlagethemen erforscht. Synergien mit W.I.R.E. sind da zwar möglich, aber die Kooperation verfolgt andere Zwecke, die ich genannt habe. Wir binden aber auch unsere Kunden mit ein.
Was ist der Kundennutzen?
Zunächst ist die Arbeit von W.I.R.E. für unsere Kunden einfach interessant. Sie stellt eine Bereicherung dar. Wir bieten ihnen etwas anderes als die Perspektiven unserer Finanzanalysten präsentieren können. Diese erwarten sie zu Recht ohnehin von uns.
Wie präsentieren Sie denn den Kunden die W.I.R.E.-Erkenntnisse?
In ganz unterschiedlicher Weise, an Foren oder unorthodoxen Events. Ein Beispiel: Einmal monatlich findet im Museum Bärengasse in Zürich ein so genanntes «Gasthaus zum Übermorgen» statt. Dort wird beispielsweise über die Ernährung der Zukunft geredet und ein entsprechend zukünftiges Essen aufgetischt.
«Wir bieten Kunden ein Erlebnis, das nichts mit einem Verkaufsanlass gemein hat»
Wir laden dazu Wissenschafter ein, Akademiker, Politiker, Freunde und eben auch unsere Kunden. Das Ganze ist ungezwungen und überraschend. Damit rechnet ein Bankkunde nicht. Daran lässt sich auch illustrieren, wie wichtig die Unabhängigkeit eines Think Tanks ist. Eine Analyse-Abteilung einer Bank könnte eine solche Atmosphäre nicht schaffen.
Wie reagieren ihre Kunden darauf?
Sehr gut. Ich höre regelmässig: Wow, so etwas hätte ich von einer Bank nicht erwartet. Sie schätzen die Durchmischung des Publikums. Sie erhalten Zugang in ungewohnte Kreise. So hat W.I.R.E. beispielsweise in mehreren Schweizer Botschaften Anlässe zu Zukunftsthemen in einem unorthodoxen Konferenzformat durchgeführt. Als Kooperationspartner haben wir unsere Kunden eingeladen. Und sie finden solche Anlässe toll.
Fehlt im feinen und formellen Private Banking insgesamt die unkonventionelle Note?
Ja, natürlich. Ein origineller Gedanke oder eine gute Idee hat doch auch ihren Wert. Die Kunden schätzen die Authentizität dahinter. Eine Bank würde für solche Anlässe wohl eine Agentur engagieren, was nicht dasselbe wäre. Wir bieten den Kunden dagegen eine Begegnung oder ein Erlebnis, das nichts mit einem Verkaufsanlass gemein hat.
Hängt W.I.R.E. voll am Tropf der Sponsor-Gelder von Julius Bär?
Nein. W.I.R.E. hat auch andere Auftraggeber, die dafür bezahlen.
Sie sind jetzt gut 100 Tage bei Julius Bär als CIO und Chef Investment Solutions. Wie erlebten Sie diese erste Zeit bei der Bank Julius Bär?
Ich sehe es als Privileg, mit diesem Team für diese Bank und für ihre Kundschaft zu arbeiten. Das kann ich nicht anders sagen. Julius Bär widmet sich mit grosser Professionalität und hohem Engagement dem Wohlergehen des Kunden. Die Bank ist eine globale Grösse im Private Banking. Aber sie ist so organisiert, dass sie jeden ihrer Kunden ins Zentrum der Aktivitäten stellen kann. Darauf kommt es an.
Sie haben eine Anpassung in der Investment Solutions Group vorgenommen und Andreas Feller neben der Anlageberatung auch das Investment Advisory und das Mandate Consulting unterstellt. Was waren die Gründe dafür?
Die war einfach ein Schritt zu einer noch einheitlicheren Ausrichtung der ganzen Division. Es ging auch darum, mögliche Doppelspurigkeiten zu vermeiden. Es ist für die Beratungseinheiten wie auch für unsere Kunden wichtig, dass die Division mit einer Stimme auftritt und spricht.
«Es gibt eine einheitliche Meinung, aber kein einheitliches Produktportfolio»
Eine Division – eine Stimme: Heisst dies, dass alle ihre Kunden dieselben Anlageempfehlungen und Produkte erhalten?
Ja und Nein: Die Kunden erhalten über ihre Berater Zugang zu unserem Research und den Empfehlungen. Das ist jedoch kein Präjudiz, allen Kunden dieselbe Empfehlung auch zu geben. Jeder Berater kann den Kunden individuell beraten und im Dialog entscheiden. Insofern gibt es eine einheitliche Meinung, aber kein einheitliches Produktportfolio. Julius Bär hat ja eine offene Plattform, ohne eigene Produkte.
Arbeitet die Investment Solutions Group in einer Konfliktzone, in der beispielsweise Kundenberater versuchen, Einfluss auf die Anlagemeinung zu nehmen?
Davon habe ich bislang nichts gespürt und das würde ich auch nicht zulassen.
Ist ihre Einheit von der Integration von Merrill Lynch betroffen?
Nur am Rande. Sie löst jedenfalls keine Veränderungen in der Investment Solutions Group aus.
Wie gross ist die Investment Solutions Group?
Einige hundert Mitarbeiter, die stark vernetzt, aber sehr dezentral gemäss der globalen Aufstellung von Julius Bär organisiert sind. So können wir sicherstellen, dass wir am Puls der Märkte sind.