Es geht um Milliarden: Die Banken müssten die Retrozessionen an ihre Kunden zurückzahlen. Der Prozess harzt. Eine Analyse der Spezialistin Monika Roth.
Frau Roth, «Forderungen von Kunden könnten einzelne Institute unter finanziellen Druck setzen», schreiben Sie in Ihrem Kommentar in der «Luzerner Zeitung» vom Samstag zu einem für die UBS erstellten wissenschaftlichen Gutachten über die Verjährungsproblematik bei Retrozessionen. Man munkelt, dass da und dort die Hälfte des Eigenkapitals dahin wäre. Von welchen Dimensionen gehen Sie aus?
Ich gehe bei meinen Einschätzungen von den Zahlen aus, die ich in vertaulichen Gesprächen mit Banken und Wirtschaftsprüfern erfahren habe und die zeigen, dass für einzelne Banken bei einer Verjährungsfrist von zehn Jahren (und hier ist zu bemerken: bei einem Verzugszins von 5 Prozent) Rückzahlungen ein massives Problem bedeuten könnten.
Die Finma hat bei den Finanzintermediären die Zahlen erhoben, hält Sie aber unter Verschluss. Weshalb wohl?
So weit mir bekannt ist, hat die Finma nicht nur das getan , sondern die von den Banken erhaltenen Angaben durch KPMG analysieren lassen. Aus dieser Analyse würde sich wohl ein klares Bild darüber ergeben, wieviel auf dem Spiel steht. Hier sind allerdings nur der Finma unterstellte Institute erfasst – die unabhängigen Vermögensverwalter sind genauso betroffen, aber in der Analyse nicht enthalten.
«Die Aufsicht hat die Problematik vernachlässigt»
Könnten Sie angesichts der heiklen Situation, in die diverse Banken wegen des Steuerarrangements mit den USA geraten werden, akzeptieren, dass die Retrozessionsproblematik so lang verschleppt wird, bis sie entschärft ist?
Nein. Die Retrozessionesproblematik ist alt: sie hat ja auch nicht erst mit dem ersten diesbezüglichen Bundesgerichtsentscheid 2006 begonnen. Die Aufsicht hat sie vernachlässigt, die Banken ebenfalls, weil sie sich auf Gutachten abstützten, die natürlich die Wunschphantasien der Branche bestätigten.
Müsste man der Finma, die ja zum Wohle der Schweiz tätig zu sein hat, geradezu dankbar sein, wenn sie die Retrozessionsproblematik herabspielt.
Die Finma ist keine «Finanzplatz-Förderungsagentur» und auch nicht mit Schweiz Tourismus zu vergleichen. Art. 5 FINMAG definiert die Ziele der Finma folgendermassen: «Die Finanzmarktaufsicht bezweckt nach Massgabe der Finanzmarktgesetze den Schutz der Gläubigerinnen und Gläubiger, der Anlegerinnen und Anleger, der Versicherten sowie den Schutz der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte. Sie trägt damit zur Stärkung des Ansehens und der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz bei.»
Aus der Optik des Anlegerschutzes ist ein «Herunterspielen» inaktzeptabel – im übrigen auch sonst: Es untergräbt das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Finma.
Die Frage der Interessenkonflikte wird verdrängt»
Wie sieht Ihr Szenario für die Entwicklung der Retrozessionsproblematik aus?
In der Schweiz wird sich erst etwas wirklich bewegen, wenn auf europäischer Ebene mehr Druck da ist. Was auffällt: Die Frage der Interessenkonflikte wird offenbar verdrängt – daran ändern nämlich auch Verzichtserklärungen von Kunden rein gar nichts.
Wie müssten die Publikumsgesellschaften unter den betroffenen Finanzintermediären über die Retrozessionsverpflichtungen rapportieren?
Als rechtliche Risiken.
Monika Roth, Advokatin, ist Dozentin an der Hochschule Luzern – Wirtschaft und Studienleiterin des Diploma of Advanced Studies Compliance Management am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ. Sie ist Partnerin der Kanzlei roth schwarz roth in Binningen (BL) und von fintegrity gmbh in Bern, Vizepräsidentin des Strafgerichts Basel-Landschaft sowie unabhängiges Mitglied des Verwaltungsrates von Ethos Services, Genf, und von kmuOnline, Oberwil (BL). Sie hat mehrere Bücher und zahlreiche Artikel zu Compliance, zu Corporate Governance und zum Finanzmarktrecht verfasst.
Einen lesenswerten Beitrag von Monika Roth zum Thema Retrozessionen finden Sie unter diesem Link:
Monika Roth, «Retrozessionen – no sense of timing and reasoning?», in: «Jusletter», 11. Februar 2013