Vor zehn Jahren ging True Wealth an den Start. Seither hat sich die Firma zu einem führenden Anbieter digitaler Vermögensverwaltung entwickelt. Mit 1,6 Milliarden Franken an verwalteten Vermögen hat das Unternehmen die Finanzbranche aufgemischt. Gegenüber finews.ch gibt Mitgründer und CEO Felix Niederer Einblicke in die bisherige Entwicklung und seine Zukunftspläne.


Herr Niederer, mit 1,6 Milliarden an Assets under Management hat True Wealth gerade einen wichtigen Meilenstein erreicht. Aber lassen Sie uns auf die Anfangsjahre zurückblicken: In den ersten Jahren hinkten Sie Ihren Businessplan-Zielen hinterher. Was war der Grund?

Unser Businessplan war ambitioniert, und ohne historische Daten war es schwer, die Marktentwicklung realistisch einzuschätzen. Rückblickend waren wir der Zeit vielleicht etwas voraus. Als wir 2013 starteten, war digitale Vermögensverwaltung ein neues Konzept in der Schweiz, das vielen Kunden suspekt war.

Unsere ersten Kunden waren technikaffine Early Adopters, meist IT-Experten oder Fachleute aus der Finanzbranche, die ETFs bereits kannten. Aber das breite Publikum war skeptisch gegenüber dem Gedanken, dass man sein Vermögen digital verwalten lassen könnte. Es hat Jahre gedauert, dieses Vertrauen aufzubauen.

Ausserdem mussten wir unsere Plattform von Grund auf entwickeln. Das hat Zeit und Ressourcen gebunden. Im Vergleich dazu starten traditionelle Banken oder Vermögensverwalter oft mit bestehenden Kundenbüchern und Vertriebsnetzen. Wir starteten auf der grünen Wiese, nur mit unserer Vision und der Überzeugung, dass der Markt irgendwann reif werden würde. Mittlerweile verwalten wir 1,6 Milliarden Franken.

Ihr Mitgründer Oliver Herren, der einige Jahre zuvor einen Teil von Digitec-Galaxus an Migros verkauft hatte, brachte seine individuelle Perspektive in die Firmengründung ein.

Ja. Er suchte nach dem Teilverkauf von Digitec eine Lösung, um sein Vermögen sinnvoll und effizient anzulegen. Als durch und durch digital orientierter Mensch war er frustriert darüber, dass es keine Finanzinstitution oder Vermögensverwaltung gab, die seinen Erwartungen entsprach. Die Angebote waren entweder zu teuer, zu kompliziert oder beides.

Diese Lücke inspirierte ihn, gemeinsam mit mir True Wealth zu gründen – eine Plattform, die genau diese Probleme löst: effizient, transparent und vollständig digital.

«Die Säule 3a macht inzwischen über 10 Prozent unseres verwalteten Vermögens aus»

Wann kam der Durchbruch, und welche Faktoren haben dazu beigetragen?

Ein wichtiger Wendepunkt kam etwa ab 2020, als digitale Anlagelösungen zunehmend akzeptiert wurden. Kunden erwarten heute intuitive digitale Plattformen. Diese Entwicklung hat uns geholfen, denn wir waren vorbereitet: Unsere Prozesse sind vollständig automatisiert – von der Risikoanalyse über die Portfoliokonstruktion bis hin zum Rebalancing.

Ein weiterer Faktor war unsere B2B-Strategie. Wir arbeiten mit Partnerbanken wie der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB), Regiobank Solothurn und Erste Bank in Österreich zusammen, die unsere Plattform für ihre eigenen Kunden nutzen.

Zudem hat sich unser Fokus auf das Direktkundengeschäft ausgezahlt. Allein in den letzten zwei Jahren haben wir das von uns verwaltete Vermögen verdoppelt – ein Beweis für die zunehmende Akzeptanz unseres Modells.

Auch die Säule 3a ist ein wichtiger Teil Ihres Angebots. Wie wird diese genutzt?

Die Säule 3a macht inzwischen über 10 Prozent unseres verwalteten Vermögens aus. Sie ist nahtlos in unsere Plattform integriert, was Kunden den Zugang enorm erleichtert.

Technisch ist es bei uns ganz einfach: Die jährlichen Einzahlungen können automatisch gesteuert werden, so dass keine separate Verwaltung erforderlich ist. Wir sehen hier noch grosses Potenzial, auch durch die nachträgliche Einkaufsmöglichkeit in die Säule 3a, die der Bundesrat ab 2025 einführt.

Aus dem Grund sind bei uns die 3a-Bestandteile eines Kundenportfolios gebührenfrei.

Die BLKB hat sich 2016 im Rahmen einer Minderheitsbeteiligung an True Wealth beteiligt. Hätten Sie es ohne diese zusätzlichen finanziellen Muskeln über die Durststrecke hinweg geschafft?

Ohne die Beteiligung hätten wir strategisch anders vorgehen müssen und hätten weniger in Personal und Marketing investieren können. Und wir hätten wohl kein B2B-Angebot für Banken entwickelt.

Die BLKB hat mit Radicant mittlerweile ihr eigenes «Kind» in der digitalen Vermögensverwaltung. Beisst sich das nicht mit der Zusammenarbeit mit True Wealth?

Wir zielen auf eine andere Zielgruppe ab und adressieren unterschiedliche Bedürfnisse. Wir machen Vermögensverwaltung – und nur das. Wir sind ein klarer Pure-Player.

Was können Sie über Ihre Kundenstruktur sagen?

Unsere Kernkundengruppe sind Anleger mit 100’000 bis 1 Millionen Franken investierbarem Vermögen. Diese Kunden werden von traditionellen Banken oft vernachlässigt, da personalisierte Beratung für sie nicht rentabel ist. Aber mit unserer digitalen Plattform können wir dieser Gruppe kosteneffizient hochwertige Lösungen bieten.

«Unsere Kunden sind dank unserer Vermögensverwaltung um 180 Millionen Franken wohlhabender geworden»

Im klassischen Banking würde man das wohl als Affluent-Segment bezeichnen. Wie sieht es in höheren Sphären aus, also bei den «High Net Worth Individuals»?

Kunden, die eine Million Franken oder mehr investieren können, führen oft mehrere Vermögensverwaltungsmandate und vergleichen dann. Offenbar schneiden wir dabei nicht schlecht ab. Mittlerweile macht auch dieses Segment über 20 Prozent unserer Kundengelder aus.

Kam das jüngste Wachstum vor allem von Neukunden oder durch Aufstockungen bestehender Portfolios?

In etwa 50:50.

Das zeigt unsere Kohortenanalyse. Wir analysieren, wie sich Kapitalzuflüsse und Abflüsse verschiedener Kundengruppen über die Zeit entwickeln. Dabei sehen wir, dass die Kunden, die wir in einem bestimmten Quartal gewonnen haben, Jahr für Jahr mehr einzahlen, als sie auszahlen. Und das auch, wenn wir Kundenabgänge mit einrechnen. Das freut uns natürlich, denn es zeigt, dass unsere Kunden mit unserer Dienstleistung zufrieden sind.

Man muss sich aber noch einen dritten Wachstumsfaktor vor Augen führen: Neben den Ersteinzahlungen von Neukunden und den Folgeeinzahlungen von Bestandeskunden führt auch ein positives Anlageresultat zu einem Wachstum der Kundenvermögen, wenn die Rendite grösser ist als die Kosten.

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True-Wealth-Gründer Felix Niederer und Oliver Herren. (von links, Bild: zVg)

Das kann man in einer Zahl ausdrücken: Wir verwalten 180 Millionen Franken mehr, als uns unsere Kunden netto – Einzahlungen minus Auszahlungen – bisher anvertraut haben. Sprich unsere Kunden sind dank unserer Vermögensverwaltung um 180 Millionen Franken wohlhabender geworden, nach allen Kosten.

Das unterscheidet uns stark von vielen Banken. Banken haben oft wenig Transparenz, was die tatsächliche Rendite ihrer Kunden betrifft. Viele Kunden zahlen hohe Gebühren für Produkte, die ihren Wert nicht rechtfertigen. Unser Fokus liegt auf Effizienz: niedrige Gebühren und langfristig optimierte Anlagestrategien. Das ist nicht nur nachhaltig, sondern auch für unsere Kunden messbar erfolgreich.

Neben Ihren Schweizer Partnern arbeiten Sie auch mit der Erste Bank in Österreich zusammen. Wie hat sich diese Kooperation entwickelt?

Die Zusammenarbeit mit der Erste Bank war ein wichtiger Schritt für uns, um unsere Technologie auch im europäischen Markt zu etablieren. Die Erste Bank nutzt unsere Plattform, um ihren Kunden eine digitale Vermögensverwaltungslösung anzubieten. Diese Kooperation zeigt, dass unser Modell auch international funktioniert.

Wir profitieren von der Reichweite und dem Vertrauen, das eine etablierte Bank wie die Erste Bank im österreichischen Markt geniesst, während wir ihnen helfen, ein modernes, digitales Angebot zu schaffen.

Planen Sie, weitere internationale Märkte zu erschliessen?

Internationale Expansion ist für uns momentan kein vorrangiges Ziel. Unser Fokus liegt auf der Schweiz, wo es noch viel Potenzial gibt. Eine Ausnahme ist vielleicht der britische Markt: Das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich könnte für uns interessant sein, da es uns ermöglichen würde, vermögende britische Kunden aus der Schweiz heraus zu betreuen.

Dennoch: Der regulatorische Aufwand für internationales Geschäft ist erheblich. Daher priorisieren wir aktuell Innovationen im Heimatmarkt.

Digitale Vermögensverwaltung ist in der Schweiz kein Selbstläufer. Coop Finance Plus scheiterte trotz grosser Ressourcen und eines breiten Kundenstamms, worüber finews.ch berichtete. Warum hat Coop versagt, wo True Wealth erfolgreich ist?

Coop hat Vermögensverwaltung wie ein zusätzliches Produkt im Warenregal behandelt. Aber in der Finanzbranche, besonders bei der Vermögensverwaltung, geht es um Vertrauen und Spezialisierung. Der eher vorsichtige Schweizer Kunde sucht einen Anbieter, der sich ausschliesslich auf die Mehrung des Vermögens konzentriert. Bei Coop fehlte diese Fokussierung.

«In der Schweiz wollen wir der Standard für digitale Vermögensverwaltung werden»

Dazu kommt die technische Dimension: Unsere Prozesse sind hochgradig automatisiert und auf Effizienz ausgelegt. Solche Systeme aufzubauen, erfordert nicht nur Kapital, sondern auch technologische Expertise. Bei True Wealth macht die Hälfte unseres Teams Produktentwicklung und Engineering. Diese DNA ist schwer zu replizieren.

ESG galt lange als Megatrend, ist aber mittlerweile auch ein kontroverses Thema. Wie positioniert sich True Wealth diesbezüglich?

ESG ist für uns eine optionale Ergänzung, keine Pflicht. Wir scheuen uns auch nicht, das Thema kritisch zu beleuchten und unseren Kunden reinen Wein einzuschenken, was ESG kann und was nicht.

Unsere Kunden können ESG-Portfolios wählen, ohne höhere Gebühren zu zahlen. Unsere Verwaltungsgebühren bleiben bei maximal 0,5 Prozent, unabhängig davon, ob es sich um ESG-Produkte handelt oder nicht. Wir möchten keine Interessenkonflikte schaffen, wie es in der Branche häufig der Fall ist, wenn ESG als Premiumprodukt vermarktet wird.

Der Markt für ESG-ETFs hat sich stark weiterentwickelt, und wir können diese Fonds ohne nennenswerte Zusatzkosten integrieren. Für uns steht die Optimierung von Risiko und Rendite im Vordergrund, egal ob mit oder ohne ESG.

Vergangenes Jahr haben Sie Kinderportfolios eingeführt. Was war die Idee dahinter?

Unser Ziel war, Vermögensaufbau und Finanzbildung zu fördern. Eltern können für Kinder ab 1’000 Franken ein Portfolio eröffnen. Diese Depots laufen rechtlich auf den Namen des Kindes, und die Verfügungsberechtigung geht bei Volljährigkeit automatisch über.

Dieses Modell hat sich als äusserst erfolgreich erwiesen – 50 Prozent der Depots wurden für Kinder unter sechs Jahren eröffnet.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Wir konzentrieren uns darauf, unsere Plattform kontinuierlich zu verbessern und neue Features zu integrieren. Ein kürzliches Beispiel war der sogenannte ETF Lookthrough, mit dem unsere Kunden genau sehen, in welche Firmen sie investiert sind.

Der Vorsorgebereich bietet grosses Potenzial, insbesondere bei Freizügigkeitskonten. Ausserdem planen wir, zusätzliche Dienstleistungen im Bereich automatisierter Anlagestrategien einzuführen, die noch stärker auf die individuellen Bedürfnisse unserer Kunden eingehen.

Obwohl eine internationale Expansion weiterhin ein Thema ist, liegt unser Schwerpunkt auf der Schweiz. Hier möchten wir den Standard für digitale Vermögensverwaltung werden.


Felix Niederer ist Mitgründer und CEO von True Wealth, einer Schweizer Online-Vermögensverwaltung, die 2013 gegründet wurde. Er hat einen Masterabschluss in Physik von der ETH Zürich. Danach arbeitete Niederer vor allem in der Finanzindustrie. Vier Jahre lang war er bei Swiss Re tätig, wo er sich auf Portfoliomanagement und Risikomodellierung spezialisierte. Später wirkte er als Portfolio Manager Quantitative Strategies bei LGT Capital Management.