Sekt und Champagner stehen seit Jahrhunderten für Feierlichkeit, Genuss und Exklusivität. Aus diesem Grund knallen die Korken gerade zu den Festtagen besonders häufig. finews.ch hat sich mit Philipp Schwander, dem ersten Schweizer Master of Wine, zusammengesetzt, um der Faszination Schaumwein auf den Grund zu gehen. Schwander ist ein anerkannter Experte, der sich abseits des Mainstreams bewegt und immer wieder Überraschendes entdeckt – etwa herausragende Schaumweine aus Ländern, die man nicht auf dem Radar hat. 

Herr Schwander, woher kommt unsere Begeisterung für den Schaumwein?

Eine wichtige Rolle spielt sicherlich das Äussere: Das Spiel der Perlen und das Moussieren verbreiten etwas Festliches. Es hat sich eingebürgert, dass beim Feiern die Korken knallen. Zudem war Schaumwein schon immer teuer und früher nur etwas für die ganz Reichen, the Happy Few. Im 19. Jahrhundert hatte man die zweite Gärung zwar ab 1837 besser im Griff (Methode François), aber die Glasqualität war mitunter schlecht. So sind bei einem Druck von rund 5 bar teilweise 20 bis 50 Prozent der Flaschen kaputtgegangen.

Es war also immer teuer und exklusiv?

Ja, genau.

Dementsprechend konzentriert sich auch die Nachfrage vor allem auf die Feierlichkeiten des Jahresendes?

Richtig, das ist praktisch bei allen Händlern der Fall. An Ostern gibt es auch noch einen kleinen Ausschlag bei der Nachfrage. Wobei man durchaus sagen darf, dass es heute über das ganze Jahr betrachtet eine höhere Nachfrage nach Schaumweinen gibt als noch vor 20 Jahren. Schaumweine sind weltweit beliebt und im Trend. So gibt es Untersuchungen, die davon ausgehen, dass in den letzten 15 Jahren die weltweite Schaumweinproduktion um 60 Prozent gestiegen ist.

«Julian Gout, Kellermeister bei Ayala, ist derzeit einer der besten in der ganzen Champagne, ein echter Shooting Star!»

Die Hersteller versuchen intensiv, den Schaumwein als Begleiter für ganze Menüfolgen zu etablieren.

Davon bin ich kein grosser Freund. Ich trinke ihn lieber, und auch sehr oft, nur zum Aperitif.

Weswegen?

Die Grundweine für Schaumweine müssen zwingend eine deutlich höhere Säure haben, sonst schmeckt dieser pampig und abgestanden. Die Säure liegt teilweise doppelt so hoch wie bei normalen Weissweinen. Das verträgt nicht jeder Magen. Wäre ich allerdings ein Champagnerproduzent, würde ich wohl auch versuchen, den Schaumwein als Essensbegleiter zu platzieren. Gleich wie die Hersteller von Weingläsern, die suggerieren, es brauche für jede Traubensorte eine andere Glasform.


Terra Incognita auf der Isle of Wight: Philipp Schwander (links) mit Nicholas Coates und Christian Seely (rechts) im neuen Weinberg. (Bild: zVg)

Stimmt das denn nicht?

Es gibt beim Glas gewisse Grundformen, die vorteilhaft sind, aber deswegen braucht es nicht gleich zahlreiche verschiedene Rotweingläsertypen. Eine tulpenähnliche Form, gerne etwas bauchig, mit einem gewissen Volumen, funktioniert meist sehr gut. Es kommt ausserdem darauf an, ob das Glas daheim eingesetzt wird oder in der Gastronomie. Daheim dürfen es durchaus filigrane Kristallgläser sein. In der Gastronomie sollte ein Glas robuster sein, sonst wird es richtig teuer.

Gibt es bei den Gläsern für Schaumweine etwas Spezielles zu beachten?

Kleinste Waschmittel- oder Fettrückstände können bewirken, dass sich keine oder nur eine sehr schwache Perlage bildet. Also aufpassen beim Gläserwaschen! Sehr hilfreich ist zudem ein sogenannter Moussierpunkt, das ist ein aufgerauter Punkt am Glasboden. Das führt zu einem steten Perlenfluss, der optisch sehr reizvoll ist.

«Kosten Sie doch einmal zum Vergleich den Moët & Chandon ‹Grand Vintage›, der stammt aus dem gleichen Haus und ist viel preiswerter.»

Trägt der Champagner zurecht den Titel als König der Schaumweine?

Die besten Schaumweine kommen eindeutig aus der Champagne. Dort finden wir die längste Tradition, das umfassendste Knowhow und das beste Klima. In der Champagne kann man aufgrund der Kreideböden und des besonderen Klimas reife Trauben mit viel Säure ernten. In den meisten anderen Gegenden liegt die Säure bei reifen Trauben zu tief, und beim richtigen Säuregrad sind die Trauben noch unreif. Bei der Champagne handelt es sich um ein umgrenztes, recht einheitliches Gebiet. Die Rechtsabteilung der Champagne ist gefürchtet auf der ganzen Welt, die den missbräuchlichen Begriff «Champagne» weltweit verfolgt. Sie kennen sicherlich das Beispiel des Dorfes Champagne im Kanton Waadt, das seine Weine nicht mehr als Vin de Champagne verkaufen kann, obwohl es den Namen Champagne seit mehr als 800 Jahren trägt. Mittlerweile darf man ausserhalb der Champagne ja nicht einmal mehr den Begriff «méthode champenoise» für die Flaschengärung verwenden.

Worin liegt das Besondere der Flaschengärung, wie sie in der Champagne kultiviert wird?

Im Unterschied zur Tankgärung, für die beispielsweise der Prosecco bekannt ist, wird bei der Flaschengärung der Wein zusätzlich relativ lange auf der Hefe gereift (Autolyse). Dies führt zu einem komplexeren, reichhaltigeren Geschmack und einer ganz besonderen Aromatik.

«Wenn man von Massenware wie Henkell Trocken, Rotkäppchen-Sekt und anderen Produkten absieht, kann man in Deutschland teils erstaunlich gute Schaumweine zu attraktiven Preisen entdecken.»

Ist demnach der Champagner per se höherwertig als der Prosecco?

Das ist schwierig zu sagen. Ein guter Champagner ist sicherlich viel finessenreicher und nobler. Allerdings muss ich gestehen, dass ich einen erstklassigen Prosecco einem schlechten Champagner mit roher Säure und unharmonischer Dosage vorziehen würde.


Kernzone der Prosecco-Herstellung in Italien. (Bild: zVg)

Man kann es vielleicht mit Rindsfilet und Wurstplatte vergleichen: Beides kann man sehr gut machen – oder auch nicht. Der Prosecco ist fruchtiger, zugänglicher, auch harmloser und preislich viel tiefer.


Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Philipp Schwander von den grössten Champagner-Marken hält und was er selber zu Weihnachten und Silvester trinkt.