Der Exodus der noblen Geldhäuser aus der Genfer Innenstadt ist symptomatisch für den tiefgreifenden Wandel im Schweizer Bankwesen. Selbst die Linken und Grünen erhoffen sich von den epochalen Veränderungen einige Vorteile.

Für viele Deutschschweizer Banker glich eine Geschäftsreise nach Genf bislang einem Ausflug nach «Klein-Paris». In der Calvinstadt herrschte stets eine andere Atmosphäre: gelassener, pathetischer, mit einem Hauch von Noblesse und üppigen Mittagessen, begleitet von einer guten Flasche Wein.

Ein Spaziergang durch das historische Quartier des Banques mit seinen imposanten, geschichtsträchtigen Häuserreihen, das sich vom linken Rhoneufer zwischen der Rue de la Corraterie und der Rue du Stand bis zum Parc des Bastions erstreckt, war immer auch ein Gang durch die goldenen Zeiten des Swiss Private Banking. Bald wird das nur noch Vergangenheit sein.

Aushängeschilder machten den Anfang

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Geplanter Geschäftssitz von Lombard Odier in Bellevue (Bild: LO)

Seit rund vier Jahren vollzieht sich ein Exodus namhafter Geldhäuser weg vom Quartier des Banques in die Peripherie. Diesen Paradigmenwechsel läuteten ausgerechnet die beiden Aushängeschilder des Genfer Finanzplatzes ein: Pictet und Lombard Odier. Die beiden letzten, wirklich bedeutenden Privatbanken auf dem Platz bauen sich neue, imposante Geschäftspaläste weit ausserhalb des Stadtzentrums.

So lässt Lombard Odier in der Gemeinde Bellevue am rechten Genferseeufer von den Stararchitekten Herzog & de Meuron einen neuen Hauptsitz für 2'600 Arbeitsplätze entstehen. Ungefähr gleich viele Mitarbeitende will Pictet in seinem geplanten Campus de Richmont in der Gemeinde Carouge einquartieren; 2025 soll der Einzug erfolgen. Überragt wird der Komplex mit Restaurants, Läden und Grünflächen von einem 90-Meter-hohen Turm – dem höchsten im Kanton.

In guter Gesellschaft

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Geplanter Turm auf dem Campus Pictet de Richmont (Bild: Pictet)

Mittlerweile haben noch andere Finanzinstitute ihren Abschied aus dem Herzen der Rhonestadt eingeläutet. Bereits im kommenden Herbst wird der Schweizer Ableger des französischen Bankkonzerns BNP Paribas vom Zentrum ins futuristische Gebäude «Alto Pont-Rouge» im aufstrebenden Einzugsgebiet Praille-Acacias-Vernets (PAV) umziehen. Dort werden die Franzosen in guter Gesellschaft sein, haben doch weitere Firmen wie KPMG, EY, Swisscom oder die Crédit Agricole Next Bank ihre Büros.

Die noble Banque Edmond de Rothschild, die rund um die Rue Hesse in einem halben Dutzend Liegenschaften logiert, wird alle ihre Geschäftstätigkeiten nördlich der Rhône im neuen Öko-Quartier Étang in Vernier zusammenziehen, wie sie diese Woche präzisierte und auch finews.ch darüber berichtete. Der künftige Hauptsitz Belvédère wird alle 800 beschäftigten Mitarbeitenden unter einem Dach vereinen; heute ist Edmond de Rothschild auf sechs verschiedene Standorte verteilt.

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Geplanter Hauptsitz von Edmond de Rothschild in Vernier (Bild. EdR)

Vieles deutet darauf hin, dass weitere Geldhäuser diesem Trend in Genf noch folgen und der Wiege der Schweizer Vermögensverwaltung den Rücken kehren werden.

Symptomatisch für das Private Banking

Der Exodus ist symptomatisch für den Wandel im Swiss Private Banking und illustriert, wie sich diese einst verschwiegene Branche einer neuen Zeit stellt, um überleben zu können. Denn Genf ist bei weitem nicht mehr der Nabel der Welt, wenn es um die Verwaltung grosser privater Vermögen aus aller Welt geht.

Zürich, aber vor allem auch ausländische Finanzplätze wie Dubai und Singapur, laufen dem beschaulichen Genf den Rang ab. Eine Zukunft haben vor diesem Hintergrund nur noch Finanzinstitute, die den Ansprüchen zeitgemässer Geschäftsmodelle und Arbeitswelten gerecht werden.

Mit Kinderkrippen und Fitnesseinrichtungen

Konkret heisst das: Der Exodus an die Peripherie Genfs geschieht in erster Linie aus Kostenüberlegungen. Die Bodenpreise ausserhalb der Stadt sind günstiger als im Zentrum. Dort können die Banken ihre Standorte zusammenziehen und gleichzeitig Platz einsparen, weil heute – Stichwort Homeoffice und Teilzeitarbeit – weniger Büroraum erforderlich ist.

Die neuen Gebäude sind in mehrfacher Hinsicht nachhaltig, insbesondere energieeffizient, was für das Image einer Bank heute relevant ist. Ebenso wichtig ist es, dass diese Unternehmen ihren Beschäftigten eine moderne Arbeitsinfrastruktur bieten – mit gesunden Verpflegungsmöglichkeiten (Stichwort: vegan), Kinderkrippen und Fitnesseinrichtungen.

Drohende Umsatzeinbussen in der Innenstadt

Darüber hinaus ist die Verkehrsanbindung gegeben: Die neuen Geschäftszonen sind aufgrund eigener Bahnhöfe und Autobahn-Zubringern sowohl mit öffentlichen Verkehrsmitteln als auch mit dem Auto erreichbar, letzteres im Gegensatz zur notorisch verstopften Innenstadt. Last but not least ist die Steuerbelastung in den Gemeinden ausserhalb Genfs geringer – womit wir wieder bei den Kostenüberlegungen wären.

Aus Sicht der Banken mag der Initialaufwand enorm sein, auf lange Sicht dürfte sich die Verlagerung in die Agglomeration aber rechnen. Dies im Gegensatz zu den Restaurants, Geschäften und Galerien in der Innenstadt Genfs, denen mit dem Weggang der gutverdienenden und konsumfreudigen Bankangestellten enorme Umsatzeinbussen drohen, die sich kaum durch andere Einnahmen kompensieren lassen.

Nachtleben im verwaisten Bankenviertel

Jubel löst der Exodus der Banken aus dem Herzen der Calvinstadt hingegen bei den Linken und Grünen aus. Sie liebäugeln mit der Idee, das dereinst «verwaiste» Quartier des Banques in eine permanente Festmeile umzuwandeln, um so die Partygänger von der nahgelegenen Plaine de Plainpalais wegzubringen. 

Angesichts der ständigen Probleme mit Lärm-Belästigungen schlägt eine Motion der Grünen der Stadt Genf vor, das sich leerende Bankenviertel künftig für das Nachtleben zu nutzen. Sie stellen sich eine Zone vor, die abends und am Wochenende für den Verkehr gesperrt ist und stattdessen mit Bänken, Tischen und Bühnen ausgestattet ist, und wo man sich abseits der werktätigen Bevölkerung den vergnüglichen Seiten des Lebens widmen kann.