Im Januar setzte sich ein Gastbeitrag auf finews.ch kritisch mit dem Thema Longevity auseinander, also mit Investitionen in die Verlängerung der gesunden Lebensspanne der Menschen. Die gegenteilige Position nimmt jetzt Tobias Reichmuth, Partner beim Zuger Longevity-Investor Maximon, ein. Seines Erachtens handelt es sich medizinisch und finanziell um eine der grössten Chancen.
Es ist erfreulich, dass das Thema Longevity immer mehr Menschen erreicht und interessiert. So offenbar auch der CIO der MBaer Bank. «Die trügerische Verehrung der Langlebigkeit», so lautete der Titel eines Artikels auf finews.ch publizierten Artikels, dem aus unserer Sicht ein Missverständnis zugrunde liegt.
Bei Longevity geht es immer um die Verlängerung der gesunden Lebensspanne, also der Zeit, wo wir ohne altersbedingte Krankheiten leben können. Es ist richtig, dass ein längeres Leben, das nicht mit besserer Gesundheit und länger anhaltender Jugend einhergeht, ziemlich sinnlos ist. Das ist aber nicht das, was wir unter Longevity verstehen.
Der Beitrag argumentiert richtig mit der Aussage, dass sich die meisten Kulturen seit Urzeiten mit der Idee des ewigen Lebens und der ewigen Jugend beschäftigen. Neu ist allerdings, dass wir seit rund 30 Jahren die Ursachen des Alterns verstehen.
«Kann man Fehler in der Zellteilung unterbinden, altern wir nicht»
Mit der Publikation des Papers «Hallmarks of Aging» im «Cell Magazin» im November 2013 hat Professor Carlos Lopez-Otin neun Gründe aufgeführt, weshalb wir altern. Im Jahr 2023 hat dieselbe Forschergruppe die Ursachen des Alterns um drei zusätzliche «Hallmarks of Aging» ergänzt; somit spricht man heute von zwölf Ursachen des Alterns auf der zellulären Ebene.
Vereinfacht gesagt: Bei der Zellteilung geschehen vermehrt Fehler, die zu nicht exakten Zellkopien führen. Kann man diese Fehler unterbinden, altern wir nicht.
Wenn man erst einmal die Ursachen eines Problems kennt – hier: das Altern –, kann man Lösungen dafür entwickeln. Im Forschungsgebiet der Longevity geschieht das seit 2013 atemberaubend schnell. Rund um die Welt sind Forschungsgruppen, Labore und Institute entstanden, die sich der Longevity-Forschung widmen.
«Zellverjüngung bei vielen ‹Hallmarks-Problemen› ist heute möglich»
So auch in der Schweiz (ETH und Uni Zürich), aber auch am Weizman Institut in Israel, der Harvard Medical School, der National University of Singapore und vielen mehr.
Erfreulich ist: Wir sind nicht mehr in der Phase der Grundlagenforschung, sondern können mit klinischen Studien aufzeigen, dass Zellverjüngung bei einigen und die Verlangsamung des Alterungsprozesses bei vielen der «Hallmarks»-Problemen heute möglich ist – und das nicht nur für «Superreiche», wie die Boulevard-Presse gerne suggeriert.
Ziel ist dabei immer die Verlängerung der gesunden Lebensspanne, der Zeit also, in der wir ohne altersbedingte Krankheiten (etwa Krebs, Alzheimer, Parkinson, Diabetes Typ 2, kardiovaskuläre Erkrankungen) leben können. Das ewige Leben ist nicht das Ziel.
«Mit erschwinglichen Gentestes die Langlebigkeitsspanne bei jedem Menschen identifizieren»
Der Autor des eingangs erwähnten Beitrags hat Recht, wenn er darlegt, dass weniger und gesundes Essen, genügend Schlaf und Sport die gesunde Langlebigkeit fördern. Er verweist auch auf die Glücklichen, die über Langlebigkeits-Gene verfügen.
Hier wird es nun spannend: Wir können heute mit erschwinglichen Gentests eben diese Langlebigkeitsgene bei jedem Menschen identifizieren – die guten Neuigkeiten sind, dass wir alle einige diese «Super-Gene» haben. Es gilt, sie zu aktivieren und die negativen Gene inaktiv zu belassen.
Heute wissen wir recht gut, wie man einzelne Gene aktiviert und ebenso wie man negative Gene unterdrückt. Dies ist das Forschungsgebiet der Epigenetik.
«Was passiert nun, wenn wir länger gesund leben?»
Wenn sich der Autor des angesprochenen Beitrags in der ab Juni neu eröffneten Longevity-Klinik AYUN an der Uraniastrasse in Zürich einem Gen- und idealerweise auch gleich einem Bluttest unterziehen möchte (dazu lade ich ihn hier herzlich und auf meine Kosten ein), werden die Ärzte und Genetiker in der Lage sein, ihm recht genau darzulegen, was für Longevity-Interventionen für ihn spezifisch sinnvoll sind. Umsetzen kann er das dann auch gleich vor Ort bei AYUN. Das nennt man dann datenbasierte, persönliche Prävention.
Was passiert nun, wenn wir länger gesund leben? Manche Leute vermuten, dass wir vermehrt mit neurodegenerativen Krankheiten konfrontiert werden. Dabei werden Dinge vermischt: Würden wir nur länger leben und mit immer neuen und mehr Medikamenten am Leben erhalten, so hätte der Autor Recht.
Neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson sind altersinduziert, das heisst, sie treten in hohem Alter häufiger auf. Bei Longevity geht es aber darum, unsere Körper (und unser Gehirn) jung zu halten – so werden neurodegenerative Krankheiten genauso wie Krebs oder Diabetes Typ 2 weniger häufig auftreten, da sie als Symptome der ursächlichen Krankheit, nämlich des Alterns, qualifiziert werden können.
«Übergang von unserer Sick-Care Gesellschaft hin zu einer Health-Care Gesellschaft»
Dieses Gedankenexperiment erklärt übrigens auch den Übergang von unserer Sick-Care Gesellschaft hin zu einer Health-Care Gesellschaft: Wir werden uns zukünftig mit personalisierte Prävention jung und gesund halten, und nicht mehr zwölf Jahre unserer Seniorenzeit mit altersbedingten Krankheiten zu kämpfen haben. Oder wie Ashley Montagu es formuliert hat: «Die Idee ist es, so jung und so spät wie möglich zu sterben.»
In der Schweiz wird man heute im Durchschnitt 83,4 Jahre alte (Durchschnitt beider Geschlechter), davon leben wir zwölf Jahre mit mindestens einer altersbedingten Krankheit.
Kommen wir jetzt zum Kern, nämlich zu den wirtschaftlichen Implikationen: Laut einer Untersuchung, die im Rahmen eines OECD Working Papers publiziert wurde, fallen 80 Prozent der Gesundheitskosten für die Pflege chronischer, altersbedingter Krankheiten in den letzten Lebensjahren an.
«Todesursache ‹High Age›, wie bei Queen Elizabeth»
Mit Longevity können wir diese Kosten massiv verkleinern: Wir müssen künftig nicht mit teuren Medikamenten und Maschinen am Leben erhalten werden (eben: Sickcare), sondern werden nach einem gesunden Leben an der Todesursache «hohes Alter» sanft entschlafen. Ganz so wie Queen Elisabeth II, in deren Sterbeurkunde «High Age» als Todesursache festgestellt wurde.
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang eine Studie, die in der Fachzeitschrift «Nature Aging» publiziert wurde und aufzeigt, dass jedes zusätzliche Jahr an gesunder Lebenserwartung einen volkswirtschaftlichen Nutzen von 38 Billionen Dollar zur Folge hat.
Wie aber sollen die Pensionskassen mit Longevity umgehen? Primär geht es bei Longevity nicht darum, länger zu leben, sondern länger gesund zu bleiben.
«Hier können Sie als Banker ansetzen»
Natürlich wird eine längere Gesundheits-Zeitspanne auch zu einigen Jahren mehr Lebenszeit führen. Nun frage ich aber: Wenn ich im gesunden Körper eines 45-Jährigen stecke, will ich dann nicht mehr arbeiten? Oder möchte ich nicht viel mehr etwas anderes arbeiten, mehr Abwechslung haben?
Ich vertrete die Meinung, dass wir als Gesellschaft Menschen jedes Alters bei ständiger Fort- und Weiter-, ja sogar Neubildung unterstützen müssen. Lebenslanges Lernen ist das Stichwort! Und dass Menschen beim Vermögensaufbau so unterstützt werden, dass sie im senioren Alter nicht mehr 100 Prozent arbeiten müssen, macht sicherlich auch viel Sinn. Hier können die Banker ansetzen.
Gar nicht zu arbeiten – vorausgesetzt man ist fit – wäre falsch: Es gibt eine Vielzahl von Studien, die belegen, dass die soziale Integration, die eine Arbeit mit sich bringt, sich positiv auf die Gesundheit und das Glücksempfinden gerade von älteren Menschen auswirkt. Die Pensionskassen werden es danken.
«Beginnen Sie mit gesundem und weniger Essen, da sparen Sie sogar noch etwas»
Zu guter Letzt sei darauf hingewiesen, dass Longevity nicht nur eine Forschungsrichtung sondern auch eine Investitionsopportunität darstellt: Neben KI die sogar grösste und potenzialreichste Anlageopportunität des 21. Jahrhunderts. Man überlege: Wer möchte nicht jung und gesund bleiben, wenn die Alternative «alt und krank» ist?
Die Zahlungsbereitschaft ist denn auch hoch: Eine Studie der UBS aus dem Jahr 2020 bei ihren sehr vermögenden Kunden über 60 hat ergeben, dass die Ultra-High-Net-Worth-Individuals (UHNWI) sich von rund 50 Prozent ihres gesamten Vermögens (!) trennen würden, wenn damit zehn Jahre zusätzliches gesundes Leben erkauft werden könnten.
Die guten Neuigkeiten: Sie müssten nicht zu den UNHWIs der UBS gehören: Ab einigen 1'000 Franken pro Jahr haben Sie Zugang zu sinnvollen Massnahmen, die als Longevity-Interventionen funktionieren. Und natürlich: Beginnen Sie mit gesundem und weniger Essen, da sparen Sie sogar noch etwas.
Tobias Reichmuth ist seit jungen Jahren Unternehmer und hat in mehr als 20 Startups investiert. Das erste von ihnen hat er 2003 verkauft. Danach hat er Europas führenden Klimawandel-Infrastrukturfonds SUSI Partners gegründet. Er ist Mitgründer der Crypto Finance Group und The Singularity Group. Im Jahr 2020 hat er mit Marc P. Bernegger die Longevity Investors Conference und Maximon ins Leben gerufen. Er ist ein Angel Investor in der Schweizer TV-Investorenshow «Höhle der Löwen».