Das Übernahme-Gerangel um das Schweizer Fondshaus GAM zeigt eindrücklich, wie beharrlich aktivistische Investoren heute auf Firmen einwirken, um einen finanziellen Mehrwert zu erzielen. Doch lohnt sich der ganze Aufwand? finews.ch spricht darüber mit Massimo Pedrazzini, Präsident der ST Group, deren Gründung auf den Tessiner Financier Tito Tettamanti zurückgeht.
Die Investmentberater des Sterling Active Fund sind zwar in Monaco domiziliert. Doch die Fäden laufen in Lugano zusammen, wo der Fonds vor rund 25 Jahren vom Tessiner Financier Tito Tettamanti initiiert wurde. Seither investiert der Fonds unter der Ägide eines zehnköpfigen Teams in kleine und mittelgrosse Unternehmen (Small- und Midcaps), die an europäischen Börsen kotiert sind.
Herr Pedrazzini, wie würden sie Ihre Tätigkeit in wenigen Sätzen beschreiben?
Wir verfolgen mit verschiedenen Strategien das Ziel, den Wert von Firmen, die uns an der Börse unterbewertet scheinen, durch aktives Einwirken als Investor zu steigern. Dies, indem wir die Interessen von Aktionären und Management (wieder) in Einklang bringen.
Was sind dabei die grössten Herausforderungen?
Kleine und mittelgrosse Unternehmen sind den Konjunkturzyklen stärker ausgeliefert als grosse Firmen, sofern sie kein Produkt oder keine Dienstleistung besitzen, mit dem oder mit der sie eine marktbeherrschende Stellung oder eine Nische einnehmen können.
«Diese Firmen bieten enorm viel Gestaltungsfreiraum für strategische Veränderungen»
Kommt hinzu, dass viele KMU eine schwache Corporate Governance haben, so dass Investorinnen und Investoren die Strategie und deren Umsetzung viel häufiger und genauer überwachen müssen. Das gilt vor allem dann, wenn das Management und der Verwaltungsrat auf sich allein gestellt sind und nicht auf die Unterstützung einer institutionellen und aktiven Aktionärsbasis zählen können.
Lässt sich das noch etwas genauer erklären?
Diese Unternehmen unterhalten im Vergleich zu grossen Firmen zumeist nicht so intensive Beziehungen zu ihren Aktionärinnen und Aktionären. Das kommt daher, dass sie diesen Aspekten einfacher weniger Aufmerksamkeit schenken. Sie kommunizieren zu wenig mit dem Marktteilnehmern – oftmals, weil sie ihre Botschaften nicht genügend ausgearbeitet haben.
Trotzdem plädieren Sie seit Jahrzehnten für aktivistische Investments in ebensolche Unternehmen. Warum?
Diese Firmen bieten enorm viel Gestaltungsfreiraum für strategische Veränderungen und Verbesserungen. Vor diesem Hintergrund können Aktivisten solche Firmen darin unterstützen, die anstehenden Probleme anzugehen und zu lösen, so dass ein Mehrwert für alle Beteiligung resultiert.
In der Theorie klingt das überzeugend. Doch wie sieht das in der Praxis aus?
Sterling hat in den vergangenen 24 Jahren im Segment der Small- und Midcaps einen erheblichen Mehrwert für die Unternehmen und deren Investoren erzielt; die durchschnittliche Nettorendite über die vergangenen 24 Jahre belief sich auf 9,6 Prozent pro Jahr.
«Viele dieser Anlässe sind seit der Pandemie allerdings zu reinen Alibiübung verkommen»
Das haben wir erreicht, indem wir einen konstruktiven und industriellen Aktivismus verfolgten und nicht einem kurzfristigen und lärmigen Finanz-Aktivismus frönten, wie er heute so oft an der Tagesordnung ist.
Warum hat sich die Corporate Governance in europäischen Small- und Midcaps in den vergangenen Jahren kaum verbessert?
Ausserhalb von Einzelgesprächen mit dem Management und dem Verwaltungsrat können sich Aktionäre nur an den Generalversammlung Gehör verschaffen – viele dieser Anlässe sind seit der Pandemie allerdings zu reinen Alibiübung verkommen.
Warum?
Viele Unternehmen sind zwar zu physischen Versammlungen zurückgekehrt. Doch die Anlegerinnen und Anleger haben sich daran gewöhnt, nicht mehr physisch anwesend zu sein und sich zunehmend auf die Stimmabgabe durch Bevollmächtigte zu beschränken. In vielen Fällen prüfen sie nicht einmal mehr die Vorschläge sorgfältig, oder sie können sich nicht ausreichend Zeit dafür nehmen, da die Fristen für die Einberufung von Versammlungen in manchen Ländern erheblich verkürzt worden sind.
Was heisst das konkret?
Bei vielen britischen Unternehmen sprechen wir in einzelnen Fällen von einer Frist von 14 Tagen oder in anderen Ländern von bestenfalls 20 Tagen, je nach geltendem Recht. Dies hindert viele Aktionärinnen und Aktionäre daran, vor und während der Versammlung sich mit den zuständigen Stellen auszutauschen.
«Das sind Unternehmen, die an der Börse als wenig attraktiv gelten und gleichzeitig unterbewertet sind»
Selbst Unternehmen, die Vorschläge im Interesse einer soliden Unternehmensführung prüfen sollen, wie ISS und Glass Lewis, schaffen es oftmals kaum, ihre Empfehlungen rechtzeitig abzugeben.
Wie machen Sie es besser?
Wir investieren in Firmen, bei denen ein oder mehrere «Stress-Symptome» vorliegen. Das sind Unternehmen, die an der Börse als wenig attraktiv gelten und gleichzeitig unterbewertet sind. Unsere Tätigkeit zielt darauf ab, die notwendigen Veränderungen anzustossen und umzusetzen, so dass die Bewertung wieder steigt.
Unser Vorgehen ist demjenigen von Private-Equity-Gesellschaften ähnlich, beruht aber nur auf öffentlich zugänglichen Informationen. Dies erklärt auch die beschränkte Anzahl an Beteiligungen – zwischen zehn und zwölf – in unserem Portfolio.
Nachhaltigkeits- oder sogenannte ESG-Aspekte sind derzeit das ganz grosse Thema in der Anlagewelt. Welche Rolle spielen diese Kriterien für einen aktivistischen Investor wie Sie?
Im Rahmen unserer Governance-Prozesse machen wir die Unternehmen auf die Notwendigkeit aufmerksam, Nachhaltigkeitskriterien konsequent zu berücksichtigen. Wir überwachen auch die entsprechenden Fortschritte oder greifen schlimmstenfalls auch ein.
Was sind im Grossen und Ganzen die Eckpfeiler ihrer aktivistischen Investitionsstrategie?
Wir müssen vor allem flexibel sein, sowohl was die Unternehmens-Strategie als auch das Management anbelangt. Liegt das Problem auf der Chefetage oder im Verwaltungsrat müssen die entsprechenden Leute ausgewechselt werden.
«Die Erfahrung zeigt, dass wir mit diesem Vorgehen in den allermeisten Fällen erfolgreich sind»
Ist die Strategie überholt, müssen wir die Gründe für eine Transformation herleiten, indem wir das Thema zunächst mit dem Verwaltungsrat und der operativen Führung erörtern und es dann gegebenenfalls auch mit anderen Aktionären adressieren. Die Erfahrung zeigt, dass wir mit diesem Vorgehen in den allermeisten Fällen erfolgreich sind – notabene ohne, dass ein «Gang an die Öffentlichkeit» respektive in die Medien nötig ist.
Jede geforderte Veränderung erfordert allerdings eine gründliche Kenntnis des Unternehmens, eine detaillierte Analyse der Konkurrenz, Geduld und die Fähigkeit, mit allen Beteiligten effektiv zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten.
Was sind weitere Punkte auf der «To-Do-Liste»?
Wenn das Problem in der Besitzstruktur liegt, muss das Unternehmen davon überzeugt werden, sich aktiv um die «besten Eigentümer» zu bemühen. Gegebenenfalls muss ein bedeutender Aktionär Gespräche mit möglichen Käufern einleiten.
Bei einer schwachen Kapitalstruktur, die häufig auf eine übermässige Verschuldung zurückzuführen ist, unterstützen wir die Ausgabe neuer Aktien. Und falls die Kommunikation mit den Investoren oder im ESG-Bereich ungenügend ist, bieten wir jenen Unternehmen, die nicht über die geeigneten internen Ressourcen verfügen, unsere direkte Unterstützung an.
Massimo Pedrazzini ist Präsident des von Tito Tettamanti gegründeten Sterling Strategic Value Fund, Luxemburg, und der Fidinam-Gruppe in Lugano. Darüber hinaus präsidiert er unter anderem die ST Group. Er begann seine berufliche Laufbahn 1985 bei der in Lugano ansässigen Anwaltskanzlei Tettamanti Spiess & Associati, wo er 1993 bis 2005 Partner war und sich auf Vertragsrecht, M&A, Gesellschaftsrecht sowie internationales Steuer- und Finanzrecht konzentrierte. Während dieser Zeit beriet er Industrie- und Finanzunternehmen bei grenzüberschreitenden Joint-Ventures und M&A-Transaktionen in Europa, Asien und Amerika. Er besitzt einen Abschluss in Rechtswissenschaften der Universität Genf.