In der übersteuerten Börsenwelt der vergangenen zehn Jahre galten die traditionellen Grundsätze für Anlegerinnen und Anleger kaum mehr. Es regierten nackte Gier und Euphorie. Der Kriegsbeginn in der Ukraine zeigt nicht nur, wie tief die Aktienkurse fallen können, sondern dass alte Börsenregeln doch nicht so unnütz sind. 

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sind die Börsenkurse weltweit abgestürzt. Angesichts der enormen Unsicherheit stellen sich Anlegerinnen und Anleger die Frage, wie sie sich für die nächsten Wochen positionieren sollten. Die starken Kurseinbussen bereits jetzt als Kaufgelegenheiten zu betrachten, scheint etwas risikant respektive allzu verfrüht, zumal die Kriegsentwicklung noch völlig unabsehbar ist.

Das könnte sich indessen sehr rasch ändern, sofern der Krieg nur von kurzer Dauer ist, selbst wenn die gravierenden Probleme dann noch überhaupt nicht gelöst sind. Viele Investment-Spezialisten sind sich auch erstaunlich einig, dass geopolitische «Stress-Events» in der Regel eher kurzfristiger Natur sind.

Konfuse Situation

Entscheidend für die weitere Entwicklung an den Finanzmärkten dürfte vielmehr sein, wie die westliche Welt und Russland bezüglich ihres Handels mit Rohstoffen und Energie verfahren werden. Welche Sanktionen kommen dabei zum Tragen, und wie wird sich die internationale Staatengemeinschaft in Sachen Energie-Importen aus Russland verhalten?

Denn soviel fest: Höhere Energiepreise werden die Inflation weiter befeuern und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum drosseln. Damit gerät die Weltwirtschaft in eine konfuse Situation. denn einerseits ruft eine wachsende Teuerung nach höheren Zinsen, während andererseits die Auswirkungen des Krieges manche Länder enorm belasten wird, so dass Zinserhöhungen dort kaum angebracht sind. 

Endlich Gold

In diesem Kontext gelangen einige Finanzfachleute zunehmend zur Erkenntnis, dass alte und oftmals auch vermeintlich langweilige Börsenregeln wieder zum Tragen kommen – nachdem die Welt in den vergangenen Jahren durch staatliche Interventionen regelrecht von der wirtschaftlichen Realität abgekoppelt worden war. In diese Richtung gehen auch die fünf Beobachtungen der UBS. Mark Haefele, Investment-Chef im Global Wealth Management der grössten Schweizer Bank plädiert vor diesem Hintergrund für mehr Diversifikation, die vor allem auch wieder vermehrt Obligationen im Portfolio vorsieht – dies, nachdem die Welt in den vergangenen gut zehn Jahren eine der grössten Aktienhaussen erlebt hatte.

Und plötzlich – manche Anlegerinnen und Anleger würden eher «endlich» sagen – gerät Gold wieder auf den Radar der Investorenschaft – Absicherung und Schutz im Portfolio. «Wir denken, dass eine langwierige Eskalation den Goldpreis über die Marke von 2'000 Dollar die Unze drücken könnte», schreibt Haefele in einer Einschätzung zu den jüngsten Geschehnissen.

Safe-Haven-Währung

Parallel dazu dürfte sich jedoch eine Entwicklung abzeichnen, die einmalig ist. Denn grundsätzlich entwickeln sich der Goldpreis und der Dollarkurs gegenläufig. Steigt der Greenback, fällt der Unzenpreis des gelben Edelmetalls – umgekehrt. Vor dem Hintergrund, dass die Kriegswirren in der einen oder anderen Weise die Weltwirtschaft noch lange belasten werden, spricht vieles dafür, dass der Dollar (wieder) «Safe-Haven»-Währung avancieren wird – sprich, damit auch gegenüber allen anderen Devisen an Wert gewinnen wird.

Die Investorenschaft kann sich somit in zwei Anlageklassen (Währungen/Dollar sowie Rohstoffe/Gold) gleichzeitig engagieren. Dieser Absicherungsgedanken lässt sich noch weiterführen, wie auch die UBS in ihrer Analyse zum Schluss kommt: Ein Umstieg auf defensive Aktien und insbesondere Sektoren ist angezeigt. Der nunmehr attraktivste davon ist die Healthcare-Branche, gefolgt von der Konsumgüterbranche., insbesondere in der Basisversorgung. 

Fast 10 Prozent an einem Tag verloren

Von einem geographischen Standpunkt aus gesehen sollten Anlegerinnen und Anleger keineswegs vergessen, dass sich die Weltwirtschaft nach wie vor über dem Trend entwickelt und die in jüngster Zeit stark aufgelockerten Covid-Vorschriften diese Entwicklung noch begünstigen dürften. Insbesondere die Eurozone dürfte weiter davon profitieren, vor allem in Energie- und Finanztiteln, selbst wenn sich dies derzeit überhaupt nicht manifestiert. Allein die UBS büsste am (heutigen) Dienstag zeitweilig fast 10 Prozent an Wert ein. 

Trotz der geografischen Nähe zum Kriegsgebiet sind aus Sicht Haefeles europäischen Aktien bis auf weiteres attraktiver als die in vielen Fällen überbewerteten US-Titel. Diese Annahme lässt sich den Schluss zu, dass eine neue Zeit der Value-Aktien nun definitiv begonnen hat – auf Kosten der Wachstumtitel (Growth).