Die Gefahr von Datenlecks ist grösser denn je: Was der US-Regierung mit Wikileaks passierte, droht bald manchem Finanzinstitut. Vier Thesen.
In wenigen Wochen ist eine Bank an der Reihe: Das sagte Julian Assange im letzten grossen Interview vor seiner Verhaftung in London. Wikileaks habe massenhaft Material über ein grosses Finanzinstitut, Anfang 2011 würden die Unterlagen veröffentlicht – und es sei denkbar, dass ein oder zwei Banken deshalb kollabieren werden.
Tatsächlich? Auf Assanges Bemerkung reagierten die Aktien der Bank of America mit einem Börsentaucher (denn die Grossbank scheint Leck-Kandidat Nummer 1), während man in der Schweiz noch recht gelassen blieb: Mit den Informationslecks, die sich in jüngster Zeit bei HSBC, Julius Bär, LGT, LLB, UBS sowie (vermutlich) Credit Suisse aufgetan hatten, spürte man hier der Gefahr bereits seit längerem anrollen.
Aber in den letzten Tagen tobte auch ein Kampf um die Hoheit auf den Websites von Postfinance, Mastercard, Visa, Paypal. Und erwähnt sei ein drittes Ereignis: Soeben entschied das deutsche Bundesverfassungsgericht, dass die Steuerfahnder illegal beschaffte Bankinterna verwenden dürfen.
Nach dieser Woche muss es auch hier den Letzten klar sein: Die Gefahr, dass interne Geheimnisse aus einer Bank ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden, urplötzlich und ohne Detailkontrolle, ist immer drängender geworden. Man muss sich darauf einstellen, dass peinliche Lecks beinahe zur Norm in der Branche gehören.
Die Kernfrage lautet also: Was bedeutet das konkret? Dazu einige Thesen:
1. Compliance: Richtlinien werden nochmals wichtiger
Eine neue Lektion, die aus den jüngsten Ereignissen zu ziehen ist, lautet: Die Wege, wie Informationen aus einer Bank sickern können, sind enorm vielfältig geworden. Dies hat zur Folge, dass wir nicht mehr darauf vertrauen dürfen, Diskretion durch Technologie, Organisation und Überwachung sicherzustellen. Das wiederum bedeutet: Das Problem muss an der Wurzel gepackt werden – eine Bank sollte möglichst wenig Informationen haben, die sie in Schwierigkeiten bringen können. Die Anforderungen an die Compliance steigen weiter.
2. Loyalität: Ein vernachlässigter Wert gewinnt wieder an Bedeutung
Früher gab es Bankbeamte, die ihr ganzes Arbeitsleben beim gleichen Institut verbrachten; dann folgte die Kultur des Söldnertums, wo das Salär zum Hauptkriterium zur Wahl des Arbeitgebers avancierte und rasche Wechsel selbstverständlich wurden. Die Häufung der Indiskretionen steht vermutlich in direktem Zusammenhang mit diesem Kulturwandel. Die Zeiten, wo höchstens ein einsamer Wachmann Meili (wie 1997 bei der UBS) einfach ein paar alte Ordner aus dem Altpapier fischt, sind vorbei.
Die Finanzinstitute, so der Umkehrschluss, können ihre Sicherheit erhöhen, indem sie einen Kulturwandel anstreben und neue Loyalität schaffen – mit neuen Anreizsystemen, die eine grundsätzlichere Bindung schaffen.
3. Management: Gut geführte Banken stehen am Ende sogar besser da
In der Theorie lobt jeder gern die Segnungen der Transparenz, jedes Haus rühmt seine Offenheit. Und tatsächlich gilt die Regel: Transparenz schafft mehr Markteffizienz.
Dies wiederum heisst auch: Geheime Informationen können nur gegen Institute verwendet werden, die wirklich etwas zu verstecken haben – zum Beispiel Korruption, Fehlinformationen, heikle Kundenbeziehungen, bewusste Täuschung der Klientel...
In einer Welt, in der sich die unfreiwilligen Enthüllungen häufen, dürften solche Institute noch häufiger durch den Markt bestraft werden – zum Beispiel via sinkende Aktienkurse.
Oder anders: Die Kosten für Fehlverhalten steigen. Am Ende profitieren die gut geführten Banken. Denn ein heikles Datenleck ist stets zuerst ein Managementproblem.
4. Bankgeheimnis: Der Druck bekommt eine neue Dimension
Immer noch horten die Schweizer Banken Gelder aus ungeklärter Herkunft. Und weiter stellt sich die Frage, wie lange ihnen noch bleibt, um diese heiklen Summen abzubauen. Eine Lektion dieser Tage lautet: Es wird immer enger.
Nicht nur, dass das Phänomen Wikileaks weiteren Anreiz zu Indiskretionen schafft. Sondern verstärkt beachtet werden muss jetzt auch, dass sich auf Kundenseite leichter Lecks auftun können. Wikileaks demonstrierte dies in den letzten Tagen anhand politischer Beispiele, etwa der Meldung, der türkische Premier Erdogan besitze acht Depots bei Schweizer Banken (was Erdogan inzwischen dementiert hat).
Gestützt auf Wikileaks kursierte in Hongkonger Medien auch die Behauptung, dass rund 5000 chinesische Behördenvertreter und Politiker Schweizer Bankverbindungen besässen.
Die Beispiele deuten zumindest eines an: Selbst wenn die Schweizer Finanzinstitute dicht wären – heikle Geschäftsbeziehungen kommen trotzdem leichter ans Licht.