In der Bankenwelt mit ihren hohen Löhnen und Boni sei die Gefahr gross, dass sich Führungskräfte auf die erhofften Vergütungen fokussierten, statt auf ihre Verantwortung für den eigenen Bereich. Dies zeige das Beispiel Credit Suisse, sagt Ulrich Zwygart im Interview mit finews.ch.
Die jüngsten Ereignisse bei der Credit Suisse offenbaren eine ernste Führungskrise im Top-Management. Wie kann es in einem Grossunternehmen so weit kommen?
Ulrich Zwygart: Führungsrollen beinhalten immer zwei Seiten: Verantwortung und Privilegien. In der Bankenwelt mit ihren im Vergleich zu den meisten anderen Branchen hohen Löhnen und Boni ist die Gefahr für Führungskräfte relativ gross, sich mehr auf die erhofften Vergütungen zu fokussieren als auf die Verantwortung für den eigenen Bereich.
Warum tendiert man eher zu den Privilegien?
Zwygart: Der Mensch strebt nach Anerkennung und Wertschätzung, und die Vergütung, hoffentlich jedes Jahr mehr, ist ein mächtiger Hebel. Unser Hirn will möglichst oft gelobt werden. Mit Kritik umzugehen, ist viel schwieriger, insbesondere wenn man lange Zeit Erfolg hatte und sich risikoreiches Verhalten in der Vergangenheit ausgezahlt hat. Sich dann Fehler einzugestehen und die Verantwortung dafür zu übernehmen, ist nicht einfach.
«Wer das nicht tut, hebt früher oder später ab»
Dabei ist dies die einzige Möglichkeit, sich als Senior Manager weiterzuentwickeln – zu reflektieren und Feedback zuzulassen. Wer das nicht tut, hebt früher oder später ab.
Im Top-Management der Grossbanken ist häufig von Meritokratie die Rede. Weshalb scheitern trotzdem so viele Führungsleute?
Meritokratie ist die Summe dessen, was jemand leistet. Wer mehr leistet als andere, soll besser belohnt werden. Leistung setzt sich aber zusammen aus Resultat und Verhalten. Es kommt also nicht nur auf das Ergebnis allein an, sondern auch auf wie es erreicht worden ist. In vielen Fällen, und so ist es vor allem bei den Banken, wird Meritokratie einzig mit dem erzielten Gewinn gleichgesetzt.
Die Frage, wie man zu eben diesem Gewinn kommt, rückt in den Hintergrund, gerade im Bankwesen, wie es das Beispiel der Credit Suisse zeigt. Risikoanalyse und Führungsverhalten werden häufig ausgeblendet. Bildlich gesprochen misst man nur, wer schneller rennt, aber nicht, ob jemand die Regeln einhält oder einem andern ein Bein stellt.
Können Sie das noch genauer erklären?
Ohne Werte und Vorbilder entsteht in einem Unternehmen eine kulturelle Leere. Dabei ist es eine Hauptaufgabe des Topmanagements, sich seiner Verantwortung bezüglich Führung bewusst zu sein und als Konsequenz Werte festzulegen und diese für die gesamte Unternehmung vorzuleben.
Gibt es in dieser Hinsicht Vorzeigepersönlichkeiten in der Schweizer Wirtschaft?
Reto Jauch: Natürlich, aber es wäre eher zufällig, hier einzelne Namen zu nennen. Interessant in diesem Zusammenhang ist vielmehr, was der US-Managementexperte Jim Collins in seinem Buch «From Good To Great» festgestellt hat: Von Firmen, die wirklich nachhaltig erfolgreich sind, kennt man oftmals nur deren Namen, weniger die Führungspersönlichkeiten – weil sie sich nicht in den Vordergrund drängen.
Warum ist das so?
Solche Manager beweisen Demut und lassen andere Leute zu. Über diese Personen schreiben die Medien weniger, weil sie kaum auffallen.
Womit sollte denn ein CEO in der Öffentlichkeit in Erinnerung bleiben?
Zwygart: Aus meiner Erfahrung und Forschung denke ich da an drei Aspekte: Erstens, der oder die CEO sollte die Unternehmung in der Gewinnzone verlassen. Eine Firma muss profitabel sein, um Arbeitsplätze zu erhalten bzw. zu schaffen und die eigene Zukunft zu sichern. Dafür braucht es Gewinne.
«Natürlich kann man es nicht allen recht machen»
Zweitens sollte man eine gute Gefolgschaft hinterlassen und Anerkennung geniessen. Natürlich kann man es nicht allen recht machen. Aber es sollte nicht so sein, dass die Leute die Strassenseite wechseln, wenn man daherkommt.
Und drittens muss er oder sie die Nachfolge mitgestaltet haben; das heisst es muss zwei bis drei potenzielle Kandidaten für die eigene Nachfolge geben, welche aus einem Talentprogramm kommen. Wer frühzeitig seinen Abgang plant, kann so auch gezielt darauf hinarbeiten, wie er oder sie in Erinnerung bleibt.
Jauch: Die erfolgreiche CEO Nachfolgeplanung ist eine der grössten Herausforderungen für den Verwaltungsrat; sie gelingt dann, wenn sie längerfristig vorbereitet, kontinuierlich und innerhalb des Gremiums transparent entwickelt und zeitgerecht umgesetzt wird.
«Alle reden von Kundenorientierung»
Zwygart: Ich bin überzeugt, dass es in der Schweiz unternehmerisch sehr viele «Hidden Champions», vor allem bei den KMUs, gibt, über die kaum jemand spricht.
Grossunternehmen schenken den Geschäftszahlen die meiste Bedeutung.
Alles, was messbar ist, ist wichtig in der Unternehmenswelt. Zahlen sind insofern von Belang, als sich der CEO darauf abstützen kann. Ich gebe Ihnen aber Recht, dass man die «weichen Komponenten» stärker gewichten, also stärker kultur- und impulsstiftend sein sollte – indem man auch die fähigsten Leute für die verschiedenen Führungsfunktionen auswählt.
Was heisst das in der Bankenwelt?
Jauch: Alle reden von Kundenorientierung. Das ist schön und gut, aber ohne zufriedene Mitarbeitende gibt es keine Kundenzufriedenheit. Mit anderen Worten, man muss die Mitarbeitenden verstehen und identitätsstiftend sein, besonders in grossen Unternehmen mit vielen verschiedenen Identitäten. Da ist es die Aufgabe des CEOs und der obersten Führung, Zugehörigkeit zum Unternehmen zu schaffen.
In den Banken ist die Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen relativ niedrig.
Richtig, weil es gerade im Banking so schwierig ist, einen Zweck, auf Englisch «purpose», in der Arbeit herzustellen. Man kann sich an nichts festhalten. Geld ist eine leere Materie und paradoxerweise die Hauptmotivation in diesem Gewerbe.
«Die Bankenwelt ist kurzfristig und transaktionell»
Die Wichtigkeit oder gar Notwendigkeit von «purpose» ist aber beobachtbar und ist auch im Banking erkannt worden. Moderne, zukunftsorientierte CEOs kümmern sich bewusster um diesen Aspekt und sind sich ihrer kulturstiftenden Rolle bewusst; was authentisch vorgelebt wird, wird respektiert und weitergelebt.
Was unterscheidet Banken von Versicherungen?
Zwygart: Es ist das Produkt, das die Unternehmenskultur in hohem Mass prägt. In diesem Sinn sind Versicherungen mit ihren Policen eher auf Jahrzehnte ausgerichtet, während sich das Bankgeschäft viel stärker im Hier und Heute ereignet und in einigen Sparten sehr viel Geld mit im Spiel ist. Die Bankenwelt ist kurzfristig und transaktionell.
Im Gegensatz dazu sind die Investmentzyklen in der Industrie länger; ein Produkt muss zuerst entwickelt werden und sich im Markt bewähren, sonst gibt es Probleme. Deshalb ist die Kultur in der Industrie anders und zieht andere Menschen an als die Bankbranche.
«Die Realität zeigt uns, dass die Menschen träge sind»
Jauch: Besonders ausgeprägt ist dies im Investmentbanking. Wenn die Leute dort sehen, dass sie morgen einen Riesengewinn erzielen können, wird heute noch investiert, egal, wie kompatibel, konsistent oder sinnvoll das Ganze ist. Und weil dermassen hohe Summen dabei im Spiel sind, lässt sich sehr vieles in kurzer Zeit maximieren. Das macht einen enormen Anreiz aus. Das ist in anderen Branchen nicht so.
Eine auf Prinzipien basierende Kultur und symmetrische Anreizsysteme sind eine notwendige Voraussetzung, um in diesem Umfeld systemische Risiken zu vermeiden.
Wird sich der Manager nach den Corona-Erfahrungen und der fortschreitenden Digitalisierung verändern?
Zwygart: Ein Blick in die Vergangenheit, zum Beispiel auf die diversen Pest- oder Cholera-Epidemien oder die Spanische Grippe vor 100 Jahren, zeigt, dass die Menschen sich zwar vieles vornehmen, aber nach überstandener Gefahr rasch zum «guten Leben davor» zurückkehren.
«Topmanager müssen heute viel stärker mit allfälligen Konsequenzen ihres Handelns rechnen»
Selbstverständlich könnte man aus Kriegen und Krisen vieles lernen, sofern man lernfähig ist und das systematisch macht. Aber die Realität zeigt uns, dass die Menschen träge sind. Sie machen bloss das, was sie zum «courant normal» zurückbringt.
Hingegen erzeugt die fortschreitende Digitalisierung einen hohen Anpassungsdruck für viele Unternehmungen und ihre Führungskräfte. Dieser Druck ist bereits da und wird sich nach Corona verstärken.
Ist der CEO heute absturzgefährdeter als früher?
Sicherlich ist die Transparenz heute grösser, weil die iPhones in Kombination mit den Sozialen Medien jede Abweichung von der Norm rasch in die Welt transportieren. Daher müssen Topmanager auch viel stärker mit allfälligen Konsequenzen ihres Handelns rechnen und ihre Verantwortung bewusster wahrnehmen.
«Diese alten Systeme implodieren nun, wie es etwa der Fall Vincenz zeigt»
Es ist deshalb von grosser Bedeutung, dass sich CEOs mit selbstbewussten und kompetenten GL-Mitgliedern umgeben, die sich in Diskussionen einmischen und mutig widersprechen, wenn sie es für richtig halten. Das wird eine Unternehmenskultur fördern, die Widerspruch zulässt, aus Fehlern lernt und so langfristigen Zielen der Firma dient.
Und früher?
Jauch: Viele CEOs waren besser geschützt. Sie konnten sich mehr erlauben, weil die Systeme stärker von Abhängigkeiten geprägt waren. Ich will das Gemeinschaftsdenken nicht verteufeln; gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen sind wertvoll und stärkend, um Ziele zu erreichen. Doch es darf dabei keine Abhängigkeiten geben. Diese alten Systeme implodieren nun, wie es etwa der Fall «Vincenz» zeigt.
Zentral ist sicherlich, dass mit der Ablösung der «Baby Boomer» eine neue Generation heranwächst: Die Millennials haben eine andere Sozialisierung erlebt. Entsprechend haben sie auch andere Wertvorstellungen und wollen mehr Verantwortung übernehmen, wie die Klimadebatte zeigt oder auch das Thema «Diversity». Da ändert sich schon einiges.
Ist es denn die Aufgabe eines Unternehmens, sich um gesellschaftlichen Fragen zu kümmern? Sollte es sich nicht eher auf sein Kerngeschäft konzentrieren?
Hauptaufgabe eines Unternehmens ist immer die «Excellence». Und da muss man heute gewisse Themen überdenken, Diversity ist ein solches, das vor dreissig Jahren nicht im Fokus stand. Heute ist das anders; weil erkannt wurde, dass Diversity eine notwendige Komponente zur Erreichung von Excellence ist.
«Diversity ist nicht bloss etwas Schönes»
Es verschafft mehr Glaubwürdigkeit, es wird teilweise durch das regulatorische Umfeld mitbestimmt und vor allem erhöht es den wirtschaftlichen Nutzen.
Inwiefern?
Die Einsicht wächst, dass Diversity nicht bloss etwas Schönes ist, sondern tatsächlich zu besseren Ereignissen führt. Natürlich sind die Spannungen diesbezüglich immer noch sehr gross. Umso mehr kommt es darauf an, wer diese Diversity innerhalb eines Unternehmens vorantreibt. Auch da wieder spielt die Rolle des CEOs eine zentrale Rolle.
Zwygart: Die kulturelle Atmosphäre muss stimmen, weg vom Führerkult um einzelne CEOs, hin zu einer Entscheidungsfindung, die mehr teamgestützt ist und nach dem Prinzip «Out of the Box» funktioniert, mit einer grösseren konstruktiven Auseinandersetzung, immer im Dienst der Unternehmung. Diversity kann diese Entwicklung unterstützen.
Ulrich Zwygart ist Jurist und Offizier (Divisionär aD) der Schweizer Armee. Er wirkt als Honorarprofessor für General Management an der Universität St. Gallen und als Berater. Er diente von 1985 bis 2007 als Berufssoldat bei den Panzergrenadieren; 1999 wurde er zum Brigadier und 2001 zum Divisionär befördert. Zuletzt war er von 2004 bis 2007 Kommandant der Höheren Kaderausbildung der Armee. Von 2008 bis 2012 war er Managing Director des Bereichs «Global Head Training and Communications» bei der Deutschen Bank und von 2013 bis 2014 war er Chief Learning Officer bei der Zurich.
Reto Jauch leitet die Industrie übergreifende Board & CEO Practice bei Schulthess Zimmermann & Jauch. Er moderiert regelmässig ein Diskussionsforum für Verwaltungsräte und Entscheidungsträger aus der Politik und Akademie zu Governance und Leadership Themen. Schulthess Zimmermann & Jauch ist eine Board Advisory und Executive Search Firma mit Büros in Zürich, London und München und New York. Vor seiner selbständigen Tätigkeit war Jauch Head Europe für A.T Kearney’s Board Advisory & Search Practice; von 1995 bis 2002 Partner bei A.T. Kearney.