Inga Beale, Geschäftsleitungsmitglied bei der «Zurich», über Führungsprinzipien, ihre Erfahrungen als CEO und Rugby-Spielerin sowie über Erfolg im Leben.
Interview: Claude Baumann, Redaktor bei finews.ch
Frau Beale, in fast jedem Artikel über Ihre Karriere liest man, dass Sie Rugby gespielt haben. Kokettieren Sie damit bewusst, oder was wollen Sie uns damit sagen?
Inga Beale: Meinen Sie, ob ich wirklich Rugby gespielt habe? Sicher. Erst als ich in die USA umzog, hörte ich damit auf. Das war 2001. Insgesamt habe ich elf Jahre bei den «London Wasps», gespielt, einem der besten Teams in Grossbritannien.
Was ist denn so spannend an diesem für Frauen doch eher rauen Sport?
Das Teamwork. Eine Mannschaft besteht aus ganz unterschiedlichen Spielern. Es braucht grosse, schnelle Leute, genauso wie grosse, bullige Spieler, aber auch kleine, schnelle und solche, die das Team anführen. Da kommt eine enorme Vielfalt zusammen. Ich habe früher auch gerudert – ebenfalls ein Mannschaftssport. Doch beim Rugby ist das noch mehr der Fall. Man muss sich auf seine Teamkollegen blindlings verlassen können. So arbeite ich auch.
Seit bald dreissig Jahren sind Sie in der Versicherungsbranche tätig. Ist das noch spannender als Rugby?
Ja. Und ich kriege dafür auch einen Lohn, was beim Rugby nie der Fall war. Selbst wenn sich dieser Sport in den letzten Jahren enorm professionalisiert hat, lässt sich damit für eine Frau nach wie vor kein Lebensunterhalt bestreiten. Warum ich seit 28 Jahren im Versicherungssektor arbeite, habe ich mich auch schon gefragt.
Und?
Kürzlich referierte ich an einer Jobmesse für Studenten. Zuerst fragte ich mich, was ich ihnen sagen sollte. Schliesslich entschied ich mich, aufzuzeigen, was die Versicherungswirtschaft für die Gesellschaft alles tut. Angefangen bei den Auto-Versicherungen, über Vorsorge-Lösungen bis hin zu Versicherungen in Katastrophenfällen, wo Leute zu Schaden kommen, manchmal ihr ganzes Hab und Gut verlieren. Bei Versicherungen denkt man primär an Zahlen und Finanzen. Doch genau besehen geht es immer auch um Menschen. Das ist es, was mich an diesem Job so fasziniert – den Menschen zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen.
Was hat sich in den letzten dreissig Jahren an Ihrem Beruf an meisten verändert?
Das Geschäft hat sich sehr stark weiterentwickelt und verfeinert. Als ich früher noch selber als Underwriterin Risiken geprüft, eingeschätzt und den Preis für die Versicherungsdeckung festgelegt habe, benützten wir zwar auch schon viele Zahlen und Statistiken. Aber am Ende beruhten unsere Entscheide auf simplen Tarifstrukturen und auf unserem Gespür. Heute stehen einem noch viel mehr Fakten und Modelle beim Umgang mit den Kunden zur Verfügung.
«Ich bin auch heute noch eine Leaderin»
Vor wenigen Jahren waren Sie noch CEO des Rückversicherungskonzerns Converium. Heute sind Sie «bloss» noch eine Angestellte in einem Finanzkonzern. Was war das für eine Umstellung für Sie – eine Abwertung?
Auf den ersten Blick könnte man das meinen. Ich bin tatsächlich nicht mehr CEO und damit letzte Entscheidungsträgerin im Management.
Doch in meiner heutigen Funktion als Global Chief Underwriting Officer trage ich die Verantwortung für 7000 Underwriter rund um den Globus. Das ist wesentlich mehr als früher bei Converium mit 700 Mitarbeitenden.
So besehen bin ich auch heute noch eine Leaderin und habe die Aufgabe, die Leute zu inspirieren, zu motivieren und ihnen Rückhalt zu geben.
Sie hatten also nie das Gefühl, gescheitert zu sein nach Ihrem Ausschied bei Converium?
Im Innersten fragt man sich natürlich schon, ob man stets die richtigen Entscheide gefällt hat. Es herrschte ja ein harter Übernahmekampf um Converium, und ich habe lange Zeit versucht, die Unabhängigkeit des Unternehmens zu wahren.
Inwiefern war der Übernahmekampf eine harte Zeit für Sie?
In einem solchen Fall geht es um die Existenz eines Unternehmens. Man tut alles für die Rettung der Firma und der Angestellten. Ich glaube wirklich, dass ich alles unternommen habe für Converium. Doch am Ende wurde die Firma auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Aktionariat doch von einem grösseren Konzern übernommen. Ich hatte danach das grosse Glück, ein tolles Jobangebot von Zurich zu kriegen.
In Managerkreisen wird eine berufliche Zurückstufung meist als Niederlage interpretiert. Konnten Sie damit besser umgehen, weil Sie eine Frau sind, oder weil Ihnen die Top-Position halt doch nicht so wichtig war?
Ich bin überzeugt, dass es gewisse unterschiedliche Denkweisen gibt zwischen den Geschlechtern. Aber ich möchte mir kein Urteil darüber anmassen, wie ein Manager in einer solchen Situation reagiert. Vielleicht haben berufstätige Frauen noch andere Werte, die sie zufrieden stellen, als nur die Führungsrolle.
«Versicherungen braucht es immer, ungeachtet der wirtschaftlichen Situation.»
Was lässt sich aus der Funktion eines «Global Chief Underwriting Officer» über die Stimmung in der Unternehmenswelt ableiten?
Die meisten Versicherungsabschlüsse in der Unternehmensversicherung beruhen auf den Umsatzerwartungen des Kunden. In Krisenzeiten fallen diese Prognosen zurückhaltend aus. Werden sie übertroffen, ist das für uns ein Indikator dafür, dass eine konjunkturelle Talsohle durchschritten ist und eine gewisse Erholung einsetzt. Und natürlich auch umgekehrt.
Es kommt noch etwas hinzu: Versicherungen braucht es immer, ungeachtet der wirtschaftlichen Situation. Es kommt zwar vor, dass manche Kunden sparen und vielleicht ein Zusatzangebot nicht wollen. Doch im Allgemeinen sparen die Leute nicht als erstes bei den Versicherungen. Im Gegenteil. Wenn sich die Konjunktur verschlechtert, sind einfach andere Versicherungen gefragt; solche, die etwa Lieferantenausfälle kompensieren. Am Ende bieten wir als Assekuranzunternehmen stets Sicherheit. Vor diesem Hintergrund stellen wir fest, dass die Leute einer soliden und starken Firma wie Zurich umso mehr vertrauen.
Wie kommt es, dass der Zurich vergleichsweise gut durch die Finanzkrise gekommen ist?
Das Unternehmen verfügt über eine starke finanzielle Disziplin. Dies ist sicher eine Konsequenz aus den Turbulenzen, welche der Konzern vor zehn Jahren erlebte. In der Folge kam es unter dem CEO James J. Schiro zum grossen Aufräumen und zu einer Rückbesinnung aufs Kerngeschäft – «back to basics» anstatt «fancy stuff». Verstehen, was das Versicherungsgeschäft ausmacht, Disziplin beim zeichnen von Versicherungsrisiken sowie klare und effiziente Prozesse bei der Schadensabwicklung; und gute, motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Warum verlieren manche Manager die Disziplin?
Vielleicht werden sie von übersteigerten Wachstumsambitionen getrieben. Dabei ist es im Versicherungswesen extrem schwierig, übermässig zu wachsen. Es gibt keine Zauberformel. Es ist ein überschaubares Geschäft, das auf langfristigen Trends beruht. Wenn man dieses Business seriös betreibt, kann man nicht mehr oder weniger Schadensfälle als die anderen haben. Man wächst mit dem Markt.
Ist die Versicherungswirtschaft deswegen weniger anfällig auf Krisen als die Bankbranche?
Im Banking geht es um andere Risiken. Ich habe allerdings nie bei einer Bank gearbeitet, so dass ich wenig dazu sagen kann. In der Bankbranche scheint vieles schneller zu gehen, und die Konsequenzen fallen dann auch härter aus. Im Extremfall wollen plötzlich alle Kunden ihr Geld zurück. Bei einer Versicherung ist das nicht möglich. Die Kunden bezahlen für die Versicherungsdeckung im Voraus eine Prämie und erhalten im Schadensfall die vereinbarte Leistung. Versicherungen sind wohl auch besser vorbereitet auf unvorhersehbare Ereignisse. Das gehört zum Geschäft. Eine Versicherung muss mit Eventualitäten umgehen können, mit Erdbeben, Katastrophen. Gleichzeitig sind die allgemeinen Schadensentwicklungstrends recht gut planbar. Da ändert sich nichts über Nacht. Bei den Banken ist alles viel abrupter, wie die Ausschläge an der Börse zeigen.
Was hat die Finanzkrise in Ihrem Business verändert?
Wir spüren, dass die Kunden kostenbewusster geworden sind. Was mich zusätzlich beunruhigt, ist der Kostendruck, dem manche Kunden ausgesetzt sind. Dadurch verzichten sie auf manche Versicherungen und tragen umso grössere Risiken, was gefährlich sein kann.
Wo liegen die Wachstumsmärkte für einen Versicherungskonzern wie Zurich?
Im Prinzip folgen die grossen Versicherungsunternehmen der globalen Wirtschaftsentwicklung. Da, wo der Wohlstand wächst und die Leute sich mehr leisten können, sind auch Versicherungen mit einem Mal gefragt. Wir können beobachten, wie manche Menschen heute eine Lebensversicherung abschliessen, die bis vor kurzem nicht einmal wussten, dass es so etwas gibt. Unlängst haben wir eine Akquisition in Brasilien getätigt, weil wir uns in dieser Region Wachstumschancen ausrechnen. Zudem sehen wir in Asien sehr viel Potenzial, wobei wir uns immer vor Augen halten müssen, dass wir aus gewissen Märkten kaum Erfahrungswerte haben, so dass es schwierig ist, Risikomodelle zu erstellen.
Wie sieht die Situation in der Schweiz aus?
Der Markt ist gesättigt. Wir haben bereits eine starke Durchdringung, und die Schweizerinnen und Schweizer geben viel Geld aus für Versicherungen. Da können wir uns nur fragen, wie wir noch besser auf unsere Kunden eingehen können.
Verhält es sich mit der Rekrutierung von guten Underwritern genauso wie mit der Anwerbung von Kundenberatern in der Bankbranche?
Wenn ein Underwriter die Firma wechselt, heisst das noch lange nicht, dass ihm seine Kunden folgen. Denn die Stabilität eines Unternehmens ist für viele Kunden erheblich wichtiger geworden. Darum sind sie auch nicht so rasch zu einem Wechsel zu bewegen. Fluktuationen wie im Bankwesen, wo manchmal ganze Teams wechseln, kennen wir deshalb eher nicht. Anders ist es bei den Versicherungsbrokern. Dort wird eher gewechselt.
Die hohen Saläre in der Bankbranche sorgen in breiten Kreisen der Bevölkerung für Empörung. Rechnen Sie mit einer Mässigung der Banker in dieser Frage?
Darüber möchte ich nicht spekulieren. Egal wo man arbeitet, es kann überall Leute geben, die durch Geld motiviert werden. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass die Leute, denen ein hohes Einkommen wichtig ist, eben auch in jenen Branchen arbeiten, wo man am meisten verdient. Daran wird sich wohl auch nichts ändern.
Als Sie bei Converium ausschieden, erhielten Sie eine sehr hohe Entschädigung. In den Medien war zu lesen, dass Sie bei Ihrem Abgang 4,2 Millionen Franken kassierten. Solche «Goldenen Fallschirme» sind umstritten. Wie stehen Sie dazu?
Das war ein Bestandteil meines Arbeitsvertrags, genauso wie der Bonus-Plan und andere Dinge. Sicherlich war in diesem Fall die ganze Situation etwas speziell.
«Ich habe gelernt, wie wichtig das Privatleben ist»
Was motiviert Sie heute noch, jeden Tag aufzustehen und zur Arbeit zu gehen?
Es mag abgedroschen klingen, aber es ist der Umgang mit meinen Arbeitskollegen. Ich führe gerne und beobachte mit Freude, wie sich meine Mitarbeitenden entwickeln und vorankommen.
Was mögen Sie an Ihrem Chef-Dasein nicht?
Schlechte Nachrichten verkünden zu müssen. Harte Entscheide zu fällen, besonders wenn es um Personalfragen geht.
Wie hat sich die Arbeitswelt in den letzten zehn Jahren verändert?
Der Druck auf die Beschäftigten ist heute enorm. Im elektronischen Zeitalter muss immer alles sofort geschehen. Das gibt den Leuten das Gefühl, pausenlos verfügbar sein zu müssen. Dabei sind viele Dinge gar nicht so dringend wie es den Anschein macht. Prioritäten zu setzen, ist darum enorm wichtig.
Schalten Sie Ihren Blackberry am Feierabend aus?
Ja, zu gewissen Zeiten mache ich das, weil ich gelernt habe, wie wichtig das Privatleben ist.
Wie meinen Sie das?
Es gab eine Phase in einem Leben, in der ich pausenlos gearbeitet habe.
Wann war das?
So Mitte dreissig, als ich in London und später in Kansas City gearbeitet habe. Erst als ich nach Europa zurückkehrte, realisierte ich, dass ich mein Leben ausbalancieren muss, und dass man genauso effizient sein kann, wenn man nicht dauernd arbeitet.
«Ich dachte, im Beruf ginge es nur um Performance.»
Wie kriegen Sie Ihre Work-Life-Balance konkret hin?
Ich pflege einen grossen Freundeskreis, zumal ich bereits an vielen Orten auf der Welt gearbeitet habe. Daneben halte ich mich körperlich fit und gehe gerne in die Berge wandern.
Was möchten Sie noch erreichen?
Schwierige Frage. Viele Leute fokussieren auf ihre Karriere. Ich gehöre nicht dazu. Ich frage mich nicht ständig, was ich nächstes Jahr oder in fünf Jahren tun werde. Da bin ich entspannter, zumal ich in meinem Leben immer wieder wunderbare Möglichkeiten hatte. Man muss einfach den Mut haben, die Chancen beim Schopf zu packen.
Letzte Frage: Was raten Sie Ihren Mitarbeitern, um im Beruf Erfolg zu haben?
Drei Dinge, die sich unter dem Kürzel «PIE» zusammenfassen lassen. «P» steht für Performance und bedeutet, dass man in allem, was man tut, eine Leistung erbringen muss. Es kann nicht sein, dass man einen schlechten Job macht und glaubt, karrieremässig trotzdem weiterzukommen.
«I» steht für Image. Man muss sich bewusst sein, was für ein Bild man nach aussen abgibt und was andere Leute in einem sehen. Darum ist es wichtig, dass man ein ehrliches und wahres Abbild von sich preisgibt und nicht versucht, etwas zu verkörpern, was man gar nicht ist. Denn auf die Dauer lässt sich das nicht aufrechterhalten.
Das «E» steht für Exposure und bedeutet, dass man sich aktiv einsetzt, weil man nur so Beachtung und Anerkennung findet. Man kann sich in Projekten engagieren, Ideen einbringen, an Events sprechen und an Veranstaltungen auf jene Leute zugehen, die man (noch) nicht kennt. So erweitert man sein Netzwerk, das ebenfalls wichtig ist für die berufliche Anerkennung.
Als ich jünger war, war mir mein Image ziemlich egal, und vom Exposure hatte ich nicht mal eine Ahnung. Ich dachte, im Beruf ginge es nur um Performance. Doch ich habe dazugelernt.
Inga Beale ist Mitglied der erweiterten Konzernleitung von Zurich Financial Services (ZFS) und Global Chief Underwriting Officer. Die Britin wurde 1963 geboren und stammt aus der englischen Kleinstadt Newbury.
Beale ist seit 28 Jahren im Versicherungswesen tätig. Sie begann ihre Karriere bei der Firma Prudential in London und spezialisierte sich später auf internationale Rückversicherungen. Viele Jahre arbeitete sie in verschiedenen Positionen im GE-Konzern, wo sie unter anderem in den USA, in Frankreich, England und Deutschland tätig war.
Im Februar 2006 wurde Inga Beale CEO des Rückersicherers Converium, der im Jahr darauf vom französischen Konzern SCOR übernommen wurde. Im Januar 2008 stiess Beale zur Zurich.
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