Private Banker rufen sie an, wenn die Welt der superreichen Klientel aus den Fugen gerät. Und wie die Finanzbranche hat diese Zürcher Top-Anwältin die Diskretion verinnerlicht.

In der Branche gilt sie als eine der Besten, um Ordnung in die Angelegenheiten schwerreicher Familien zu bringen. Doch mindestens so gekonnt bewegt sich Tina Wuestemann, Anwältin und Partnerin bei der renommierten Zürcher Wirtschaftskanzlei Bär & Karrer, unter dem Radar.

Das ist teils Kalkül, teils Notwendigkeit. Oft genug arbeitet die 53-jährige Wuestemann mit der ebenfalls höchst verschwiegenen Welt der Schweizer Privatbanken zusammen. In dieser Szene hat sie sich  in den vergangenen zwanzig Jahren den Ruf erarbeitet, gleichermassen diskret wie effizient selbst die komplexesten Fälle anzupacken.

«Bei der Beratung reicher Privatpersonen geht es oft um höchst persönliche Fragen wie Todesfälle, Erbschaften und Familienstreitigkeiten», sagt Felix Ehrat, ehemaliger Bär & Karrer-Partner, nun Chefjurist beim Basler Pharmakonzern Novartis, gegenüber finews.ch. Dazu brauche es einen «Erwachsenen» im Raum, der sowohl standfest wie erfahren sei. «In dieser Rolle ist Tina sehr gut», rühmt Ehrat.

«Powerwoman» mit einer Mission

Dass man sie weit weniger kennt als Kanzlei-Kollegen wie Rolf Watter, Präsident der Postbank Postfinance und Berater von Chemchina bei der 43-Milliarden-Dollar-Übernahme des Basler Agrochemiekonzerns Syngenta, ist für ihr Standing kein Hindernis. «Die Leute, die sie brauchen, wissen, wo sie Wuestemann finden können», berichtet ein Private Banker.

Und in der eigenen Branche kennt man sie sowieso: So wurde die Juristin im vergangenen Jahr von der Vereinigung «European Woman in Business Law» als beste Trust-Spezialistin ausgezeichnet. Vor zwei Jahren kürten sie die Zürcher Vermögensverwalter zur «Anwältin des Jahres». Für das Magazin «Citywealth» wiederum ist sie eine «Powerwoman» – ein Titel, der ihr am Herzen liegen dürfte, setzt sie sich doch selber für Frauenkarrieren ein.

«Meine Rolle besteht darin, junge weibliche Leader zu unterstützen», sagte sie zu dem Magazin. Gegenüber finews.ch wollte sich Wuestemann nicht äussern.

Unterwegs im alten Saab

Mit Koketterie hat das offenbar nichts zu tun, glaubt man Arbeitskollegen. Letztere beschreiben sie als sehr offene Person, die ungezwungen und gar nicht «Anwalts-ähnlich» auf Menschen zuzugehen verstehe. Vor allem aber sprudle sie vor Energie, schildert ein Kollege. «Sie ist nicht unterzukriegen.»

Diese Qualitäten hat sie offenbar aus ihren ersten beruflichen Schritten mitgenommen. Während der Studienzeit jobbte Wuestemann als Skilehrerin, im Service und als Verkäuferin. Anders als viele ihrer Mitstreiter hat sie trotz Karriere und steigendem Gehalt nicht abgehoben. So fuhr sie lange einen in die Jahre gekommenen Saab, den sie erst kürzlich gegen einen Porsche eingetauscht hat.

Besonders stolz ist sie jedoch nicht auf die PS unter der Haube. Sondern darauf, Familie und Beruf in Einklang gebracht zu haben, sagte sie gegenüber «Citywealth». Sie ist mit einem Schweizer Ingenieur und Unternehmer verheiratet. Gemeinsam hat das Ehepaar zwei Kinder.

Unter Wölfen

Was nicht heisst, dass sie dazu beruflich einen Gang runter geschaltet hätte. Die Kanzlei Bär & Karrer nahm sie 2004 in den Kreis der Partner auf – nach nur sechs Jahren bei der Firma und zu einer Zeit, da sich in den obersten Juristenzirkeln Zürichs kaum Frauen bewegten. Auch heute sind von den 44 Partnern bei Bär & Karrer nur sieben weiblich. Bei lokalen Konkurrenten wie Homburger oder Niederer Kraft Frey sind die Quoten noch tiefer.

Das Besondere an Wuestemanns Karriere ist vielleicht gerade das: Dass sie es in der Welt der Zürcher Kanzleien ganz nach oben brachte, ohne das Geknurre der Leitwölfe auf sich zu ziehen. Dennoch hat sie sich dabei einigen Respekt verschafft. Ausser dem Ex-Kollegen Ehrat wollte sich niemand zu Wuestemann zitieren lassen.