Fintech-Unternehmer Yannick Decaumont räumt mit dem Vorurteil auf, in der Schweiz seien die Hürden für Fintech besonders hoch. Deutsche Startup-Gründer hätten mehr Unternehmergeist, sagt der Ex-Credit-Suisse-Banker zu finews.ch.
Herr Decaumont, Sie kennen die Fintech-Branchen in der Schweiz wie in Deutschland: Nehmen Sie grosse Unterschiede wahr?
Die Fintech-Szenen beider Länder sind sich zwar ähnlich, schon allein wegen ihrer geografischen Lage und der kulturellen Verbindung. Was mich jedoch beeindruckt, ist die Dynamik und Energie, durch die sich die deutsche Fintech- und Startup-Szene auszeichnet. In Deutschland ist der Unternehmergeist sehr ausgeprägt. Ebenso ist ein starkes Bedürfnis vorhanden, den Finanzsektor zu disruptieren.
Und in der Schweiz?
In der Schweiz liegt ein grösserer Fokus auf Innovation, Forschung und Entwicklung. Dies liegt sicherlich auch daran, dass es in der Schweiz sehr schwierig ist, als Unternehmer erfolgreich zu sein. Interessant zu beobachten ist, dass die Schweiz, auch aufgrund ihrer Geschichte, dazu tendiert, in Nischenindustrien wie zum Beispiel in Blockchain-Technologie zu investieren. Deutschland verfolgt hingegen einen breiteren Ansatz.
Die Schweiz wäre aufgrund ihrer Bankendichte und Finanzplatzhistorie als Fintech-Hub prädestiniert. Doch es fehlt eine gesamtheitliche Strategie. Wird in Deutschland gezielter Standortförderung betrieben?
Die Schweiz ist immer schon ein starker Finanzmarkt gewesen, nach wie vor hält sie die grösseren Weltbanken. Dennoch haben die jüngsten Entwicklungen in der Bankenindustrie zu einer Verlangsamung geführt, wodurch Banken und auch Bankenregulierungsstellen gezwungen wurden, sich neu zu erfinden und einen neuen Rechtsrahmen zu stellen. Sicherlich rührt der Eindruck, dass es an einer ganzheitlichen Strategie mangelt, aus der Notwendigkeit, sich anzupassen.
«Der erste Faktor ist die Risikobereitschaft»
Dies führte aber auch zu starkem Interesse an Innovation und neuen Wegen des Bankings. Aber die Schweiz ist nicht Teil der Europäischen Union; deswegen bildet Deutschland hier eine fantastische Brücke. Nach dem kürzlichen Brexit-Fiasko will Deutschland sich als erste Adresse des europäischen Banken- und Finanzmarkts etablieren.
Was sind die relevanten Faktoren, die ein für Fintech-Startups förderliches Ökosystem ausmachen?
Der erste Faktor ist natürlich die Bereitschaft und Kapazität, Risiken einzugehen. Ausserdem wird es in Deutschland jungen Leuten leicht gemacht, ihre Träume und Ideen mit der Unterstützung durch Venture Capital oder Investoren zu verwirklichen. Dies ist der zweite kritische Faktor. Hinzu kommt die Dichte an gut ausgebildeten Fachkräften und bereits bestehenden Innovationen. Hilfreich ist sicherlich auch, die Vorschriften und Regulierungen für Fintechs klein zu halten, da sie sonst die Produktivität verlangsamen können. Ein strukturierter und dennoch flexibler rechtlicher Rahmen bietet daher die richtigen Bedingungen für ein erfolgreiches Ökosystem.
Wie unterscheiden sich die Regulierungen und Eintrittshürden in Deutschland und der Schweiz für Fintech-Startups?
In den letzten zehn Jahren wurde die Schweiz einer eingehenden Überprüfung hinsichtlich ihrer bankenrechtlichen Rahmenbedingungen unterzogen. Sie sah sich gezwungen, sich weiterzuentwickeln, um als wirtschaftlicher Partner den europäischen Standards zu entsprechen. So konnte die Schweiz als erstes Land ein spezifisches Regulierungsumfeld für Fintechs entwickeln und sich so als neuer Standort der Branche positionieren.
«Die Finma fördert Fintechs» beim Aufbau
Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma unterstützt und fördert Fintechs sehr bei dem Aufbau, indem sie rechtliche Strukturen bereitstellt, um Fintechs zu schützen. Dies ist in Deutschland, so mein Eindruck, nicht der Fall.
Das ist aus Schweizer Sicht etwas überraschend.
Die BaFin opereriert nach wie vor mit einem rigiden Set-up und unterstützt Fintechs im europäischen Wettbewerb kaum. Verglichen mit der Schweiz und Luxemburg stellen die deutsche Bürokratie und Regulierungsbehinderungen die grösste Hürde für Fintechs dar.
In der Schweiz fliesst vergleichsweise wenig Risikokapital in Fintech-Startups. Herrscht hier einfach ein Mangel an Risikobereitschaft?
Tatsächlich ist die Schweizer Mentalität nicht sehr risikobereit, sondern basiert vielmehr auf einem Fundament aus Analyse und Investitionsabwägungen. Banken und Versicherungen tätigen keine riskanten Investitionen und Venture Capital fliesst überwiegend in Naturwissenschaften.
Es fliessen global enorme Summen im dreistelligen Milliardenbereich in die Digitalisierung der Wirtschaft und in Fintech. Wie kann eine Schweiz da mithalten?
Die Schweiz wird sich auch weiterhin durch ihre ausgeprägte Wissensbasis und ihren Innovationsstrom behaupten. Das Land bleibt mit seiner stabilen Wirtschaft und Währung einer der sichersten Orte für Investitionen. Darüber hinaus stehen Banken und Versicherung noch nicht unter dem Druck, die Digitalisierung voranzutreiben.
«Wir hatten die Möglichkeit, Fehler zu machen»
Ich persönlich halte das für einen Fehler. Institutionen, die sich nicht mit Digitalisierung auseinandersetzen, werden ins Hintertreffen geraten. Trotzdem werden 'big players' wie UBS und Credit Suisse für die notwendige Cash-Zufuhr sorgen, unter anderem durch Firmenzukäufe, um Schritt halten zu können.
Das Schweizer Fintech Klik & Pay, wo Sie tätig waren, hat vergangenes Jahr das Deutsche Fintech Paymill übernommen. Etwas scheinen die Schweizer richtig zu machen. Was?
Dies ist ein interessanter Fall. An dieser Akquisition kann man beobachten, wie stark und wettbewerbsorientiert Schweizer Unternehmen bleiben. Bezogen auf uns bedeutet dies, dass wir einfach frühe Vögel in der Fintech-Szene gewesen sind. Wir hatten die Möglichkeit, Fehler zu machen und daraus zu lernen.
Erwarten Sie weitere solche länderübergreifende Übernahmen im Fintech-Sektor?
Ja, ich denke, es wird immer schwieriger für Fintechs 'alt zu werden' ohne akquiriert zu werden. Besonders im Hinblick auf die neue Payment Service Directive 2 werden die Margen knapper und Unternehmen müssen sich stärker abgrenzen, um Marktanteile zu gewinnen sowie ihren Umsatz zu stabilisieren.
Sie waren selbst Banker. Ist die relative Nähe der Schweizer Fintech-Szene zum Banking eher hinderlich?
Nein, eigentlich hat es mir eher dazu verholfen, schneller zu lernen und Branchen-Neulinge mit meiner Erfahrung zu unterstützen. Meine Vergangenheit als Banker ermöglicht es mir, die wunden Punkte im Voraus zu identifizieren, damit Fintechs das tun, was sie am besten können, nämlich die Finanzbranche disruptiv umzustrukturieren.
Sie arbeiten nun als Managing Director von Paymill in München. Können Sie sich eine Rückkehr in die Schweizer Fintech-Szene vorstellen?
Ich habe meine Mission bei Paymill gerade erst gestartet. Viele spannende Möglichkeiten liegen noch vor mir und ich freue mich, die deutsche Fintech-Szene in den nächsten Jahren weiterhin zu entdecken und eine gewisse 'Schweizer Note' mitzubringen. Nichtsdestotrotz würde ich mich auch freuen, nach vielen gewonnenen Erfahrungen in die Schweiz zurückzukehren und dort versuchen, das beste aus beiden Welten zusammen zu bringen.
Yannick Decaumont ist Paymill Managing Director mit mehr als zehn Jahren Erfahrung im Business Management. Decaumont war für die Grossbanken UBS und Credit Suisse tätigt und arbeitete in London, Zürich, Genf und München. Er hat das Schweizer Payment-Fintech Klik & Pay im Markt positioniert. Seine Kernkompetenz liegt in den Themen Fintech, Innovation, Digital Banking, International Finance und Business Strategy.