Über die Unternehmenskultur in Ray Dalios Hedgefonds Bridgewater sind schon einige Schauermärchen erzählt worden. Nun schafft der Star-Investor Transparenz.
Diesen Juli hat selbst die noble «New York Times» einen tiefen Blick in die vermeintliche Schauerarbeitswelt von Ray Dalios Hedgefonds Bridgewater gewagt. «Sex, Angst und Videoüberwachung» titelte die Zeitung und berichtete über den Fall eines ehemaligen Bridgewater-Mitarbeiters, der mit seinen Erfahrungen beim Hedgefonds vor die Menschenrechtskommission des Staates Connecticut ging.
Ray Dalio ist einer der absolut erfolgreichsten Hedgefondsmanager. Sein Bridgewater Pure Alpha Strategy Fonds hat seit 1991 nur ein Jahr mit einem Minus abgeschlossen. Das ist ein bemerkenswerter Leistungsausweis.
Geistige Parforce-Touren yogistyle
Zu Stande gekommen ist dieser in einer Unternehmenskultur und mit Mitarbeitern, die Dalio als «intellektuelle Navy Seals» in Kombination mit Dalai Lama beschreibt. Mit anderen Worten: Bridgewater verlangt von seinen Mitarbeitern geistige Parforce-Touren gepaart mit der selbstreflexiven Gelassenheit eines Yogis.
Prinzipien gelten bei Bridgewater – über 200 davon, die Dalio gerne auch Verfassung nennt. Sie stehen für eine Unternehmenskultur, die im Falle des ehemaligen Mitarbeiters zu einer öffentlichen Anklage führte.
Gnadenloses Überwachungsregime
Im Kern beschwerte sich der 34-jährige Anlageberater über das gnadenlose Überwachungsregime, das bei Bridgewater herrscht. Sexuelle Belästigung, Alkoholmissbrauch und Nacktbaden machten den nebensächlichen Teil der Beschwerde aus.
Nun hat Bridgewater auf den Artikel und die Affäre reagiert. Mit einer Serie von Videos auf der Unternehmenswebsite erklären Dalio und weitere Angestellte die Bridgewater-Welt und stellen die Frage: Ist Bridgewater der richtige Arbeitgeber für Dich?
Meritokratie und Transparenz
Unter all den Grundprinzipien, welche Bridgewater so erfolgreich gemacht haben, sind das die zwei wichtigsten. Erstens: Beim Hedgefondsmanager herrscht die Reinkultur der Meritokratie. Original-Ton: «Wer die besten Ideen auf den Tisch legt, erhält die höchste Belohnung.»
Zweitens: Bei Bridgewater ist jeder der radikalen Wahrheit und der radikalen Transparenz verpflichtet. Original-Ton: «Es kommt der Punkt, an dem Du mit all Deinen Schwächen konfrontiert bist. Damit umzugehen, ist die grösste Herausforderung.»
Vor laufender Kamera fertig gemacht
Es verwundert nicht, dass Bridgewater wegen des zweiten Prinzips Schlagzeilen macht. Jede Konversation, jedes Meeting wird gefilmt, alles wird aufgezeichnet. Radikale Wahrheit äussert sich dann oftmals so, dass Mitarbeiter vor laufender Kamera minutenlang fertig gemacht werden, bis sie in Tränen ausbrechen. Solche Videos zeigt Dalio auch Bewerbern, um ihre Reaktion zu testen.
Autorität wird bei Bridgewater gross geschrieben. Aber es ist offenbar nicht nur so, dass das Prinzip der radikalen Wahrheit die Hierarchiestufen herab nach unten vorexerziert wird. Im Video heisst es: «Autorität ist durch die Macht der Logik bestimmt.» Wer recht hat und die besseren Argumente, darf auch Dalio den Marsch blasen, lautet hier die Botschaft.
Ray hat es vergeigt
Eingeblendet wird eine Email mit der Unterzeile «Ray blew it» (Ray hat es vergeigt) eines Bridgewater-Mitarbeiters. Darin wird der Bridgewater-Gründer persönlich attackiert, er sei grob und ihm fehle der Respekt.
Dalio selber holt seine Inspiration für Mitarbeiterführung und Unternehmenskultur bei Ernest Shackleton, dem britischen Polarforscher. Dieser suchte Expeditionsmitglieder in Zeitungsannoncen, in denen vor allem die zu erwartenden Entbehrungen hervorgehoben wurden. Ruhm werde es nur bei Erfolg geben, hiess es noch.
Die Hälfte hat nach 18 Monaten genug
Auch dies sind in den Augen Dalios radikale Wahrheiten, welche nur eine ganz besondere Art von Menschen anziehen. Und solche will der Hedgefonds-Manager haben. Schulterzuckend sagt er im Video, dass 40 bis 50 Prozent der Neubeginner bei Bridgewater nach 18 Monaten genug hätten. Der Rest bliebe in der Regel sehr lange.
Einer seiner Manager vergleicht das Regime bei Bridgewater mit Golf: Jeder Golfspieler, der besser werden wolle, suche sich einen Coach, der auf die vorhandenen Schwächen hinweise und helfe, diese ausbügeln. In Unternehmen scheinen dagegen alle Angestellten vor ihren eigenen Schwächen und den möglichen Kritikern zu fliehen.
Wer nur Erfolg haben will, liegt falsch
Leute, die Bridgewater brauchen kann, sind solche, die ihre Schwächen anerkennen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Leute, die Bridgewater nicht brauchen kann, sind solche, die nur Erfolg haben wollen.
Zum Erfolg führt nur der Umweg über sich selber, lautet die Botschaft im erfolgreichsten Hedgefonds. Freiwillig geschieht dies bei Bridgewater aber nicht. Das Regelwerk und die vorgeschriebenen Verhaltensformen überlassen nichts dem Zufall.
Der Fall des ehemaligen Bridgewater-Mitarbeiters ist inzwischen auch beigelegt. Denn Bridgewater-Angestellte verpflichten sich im Arbeitsvertrag, Konflikte immer intern zu lösen.