Der Chef des Schweizer Konzerns DKSH Jörg Wolle schreibt über seine ersten Begegnungen mit dem Financier Ernst Müller-Möhl.

Ein exklusiver Vorabdruck auf finews.ch aus dem Buch «Expedition in fernöstliche Märkte – Die Erfolgsstory des Schweizer Handelspioniers DKSH» von Jörg Wolle.


Ich treffe Ernst Müller-Möhl erstmals im Frühherbst 1999, kurz bevor ich auf eine vierwöchige Asienreise aufbrechen will, die ich im Bewusstsein antrete, dass es meine letzte im Dienste von SiberHegner sein würde.

Innerlich bin ich entschlossen, eines der mir vorliegenden Stellenangebote anzunehmen – insbesondere auch, weil ich nicht mehr daran zu glauben vermag, dass SiberHegner aus der Blockade im Aktionariat herausfinden könnte.


«Ich lerne einen offenen, neugierigen Menschen kennen.»


Es ist zunächst nur ein halbstündiges Gespräch, das aber vieles verändert. Ich lerne einen offenen, neugierigen Menschen kennen, der wissen will, wie es um die Geschäfte steht. Ich lerne einen Financier kennen, dem das Unternehmerische nahesteht, der mir erklärt, warum er in das ehrwürdige Handelshaus investiert hatte.

Asien, sagt er, liege zwar ökonomisch am Boden, aber die ehemals boomende Region werde sich erholen. Davon bin auch ich überzeugt. Insofern sei SiberHegner auch eine gute Story für den Kapitalmarkt, und es sei durchaus denkbar, dass aus dem ehemaligen Familienunternehmen einmal eine echte Publikumsgesellschaft werden könne.

Hinzu komme: Das Handelsgeschäft erwirtschafte zwar nicht gerade exorbitante Margen, aber mit etwas Fantasie lasse sich das hervorragende Beziehungsnetz der Firma in Asien auch für den Aufbau einer sogenannten Private-Equity-Unternehmung nutzen, einer SiberHegner Finance. Der Mann verströmt Energie und Zuversicht, denkt in die Zukunft und an das Potenzial seines Investments.


«Diesmal reden wir zwei Stunden.»

Ich trete meine vierwöchige Asienreise recht nachdenklich an. Ich frage mich, ob Müller-Möhl als neuer und bedeutender Aktionär die Kraft aufbringen würde, den gordischen Knoten der Blockade an der Firmenspitze zu durchtrennen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto stärker wird die Zuversicht.

Zurück in der Schweiz treffe ich Müller-Möhl erneut, diesmal reden wir zwei Stunden lang Klartext. Er hat in der Zwischenzeit zahlreiche Gespräche geführt, mit den Chefs der Sparten, den Controllern, dem Finanzchef. Der von mir beschriebene Veränderungsbedarf sei ihm nun absolut klar geworden. Was es brauche, sei eine unerschrockene Führung, welche die Umgestaltung vorantreibe.

Deshalb, so Ernst Müller-Möhl, müsse ich in der Firma bleiben und als neuer CEO die operative Verantwortung übernehmen; den Verwaltungsrat von diesem Plan zu überzeugen, dies solle ich getrost ihm überlassen. In dem Spitzengremium ist in dieser Zeit ohnehin einiges in Bewegung.

An der ausserordentlichen Generalversammlung vom 5. November 1999 wird Ernst Müller-Möhl als neuer Grossaktionär in den Verwaltungsrat gewählt, ebenso Pietro Supino, Spross der Zürcher Verlegerfamilie Coninx, die unter anderem den Tages-Anzeiger herausgibt.


«Die Firma schreibt Millionenverluste und kämpft im Grunde genommen um das Überleben.»

Der promovierte Jurist vertritt im Verwaltungsrat neu die Familienaktionäre der Hegners. Dieser Platz ist verwaist, nachdem Anton Hegner am 12. Oktober 1999 verstorben war. So kommt vieles zusammen in diesen letzten Monaten des Jahres 1999. Die Firma schreibt Millionenverluste und kämpft im Grunde genommen um das Überleben.

Durch den neuen Aktionär Ernst Müller- Möhl und den Tod des alten Patrons Anton Hegner verschieben sich die Gewichte in Verwaltungsrat und Aktionariat, und es ist noch keineswegs klar, was all dies für Auswirkungen auf das geschwächte Unternehmen haben würde. Es ist der Präsident Peter G. Sulzer, der nun das Zepter in die Hand nimmt und versucht, einen Weg in die Zukunft zu weisen.

Der Verwaltungsrat mit Sulzer an der Spitze beschliesst, eine Task Force einzuberufen, die einen Bericht über den Zustand der Firma verfassen und auch Entwicklungsszenarien formulieren soll – ohne Rücksicht auf bestehende und gewachsene Personalkonstellationen.

Dass der Verwaltungsrat selber angesichts der ernsten Lage keine Tabus mehr scheut, zeigt sich an der Wahl des Chefs dieser ein halbes Dutzend Personen umfassenden Task Force. Die Wahl fällt nicht auf den amtierenden Konzernchef, sondern auf mich als einen der operativ verantwortlichen Spartenchefs.


«So verbringen wir den Milleniumswechsel nicht ausgelassen feiernd.»

Bis im Januar 2000, so lautet die Vorgabe, müsse dieser Bericht fertiggestellt sein, und so verbringen wir den Milleniumswechsel nicht ausgelassen feiernd, sondern hart arbeitend. Für mich ist klar, dass wir statt eines Berichtes einen echten Masterplan für die Transformation eines ehrwürdigen, patronal geführten, in Familienbesitz befindlichen Handelshauses alter Prägung hin zu einem neu zu definierenden, weiterführenden Geschäftsmodell erarbeiten müssen.

Es gilt, auf den über die Jahre entwickelten Stärken aufzubauen und diese zu verstärken, die Schwächen – vor allem die selbstgefällige Bürokratie und Anspruchshaltung innerhalb der Firma – auszumerzen und die Basis des Geschäfts in Bereiche mit höherer Wertschöpfung zu verbreitern. Gelingt dies, so bin ich überzeugt, wird SiberHegner in neuer Vitalität wieder auferstehen.


«In diesem Bewusstsein gehe ich in die entscheidende Verwaltungsratssitzung.»

Die Mitarbeitenden erhalten endlich wieder eine klare Zukunftsperspektive in der Firma. Die Kunden bekommen neues Vertrauen, und dies führt zu neuen Geschäftsmöglichkeiten. Und die Kredit gebenden Banken, die verstärkt Signale der Nervosität aussenden, können bei der Stange gehalten werden. Letzteres ist mittlerweile der Schlüssel zum Überleben.

Das Eigenkapital von SiberHegner ist inzwischen auf bescheidene 17 Prozent abgesackt, und es ist klar: Wenn nur ein einziger Kreditgeber aussteigt, kann dies das definitive Aus bedeuten. Auch unter diesem Aspekt kommt dem Bericht der Task Force eine entscheidende Bedeutung zu.

In diesem Bewusstsein gehe ich in die entscheidende Verwaltungsratssitzung, die kurz nach den Feiertagen stattfindet. Meine Präsentation stellt eine schonungslose Ist-Analyse dar. Es ist ein Bericht über die externen Einflüsse auf unser Geschäft und über die Wachstumschancen; er benennt aber auch Vorschläge zur zukünftigen Strategie und Führungsorganisation. Was ich dem Verwaltungsrat vortrage, ist nur mit Einschränkungen positiv.

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Joerg_Wolle2Jörg Wolle ist ein profunder Kenner der asiatischen Märkte und Honorar-Professor für Interkulturelle Kommunikation an der Fachhochschule Zwickau. Er war CEO von SiberHegner und seit deren Fusion mit Diethelm Keller zu DKSH im Jahre 2002 in derselben Funktion für die gesamte DKSH-Gruppe tätig. Jörg Wolle ist Mitglied des Präsidiums des Ostasiatischen Vereins, des Verbands der deutschsprachigen Asienwirtschaft. Er sass während drei Jahren auch im Verwaltungsrat der UBS. Seinen Rücktritt gab Wolle im letzten März bekannt.