Es war bislang einfach, den Fintech-Standort Schweiz zu kritisieren: Anschluss verloren, wenig Finanzkraft, keinen politischen Support. Dennoch entwickelt sich die Fintech-Szene Schweiz – sieben Belege dafür.

1. Das Geld fliesst

Mit London, wo sich eine Investorenszene für Fintech entwickelt hat, kann sich die Schweiz nicht vergleichen. Aber auch hier fliesst das Geld inzwischen reichlich. Letztes Beispiel ist der Versicherungsmanager Knip: Das junge Unternehmen hat in seiner jüngsten Finanzierungsrunde 15 Millionen Franken eingesammelt.

Es ist die bislang grösste Fintech-Finanzierungsrunde der Schweiz. Prominent die Herkunft des Geldes: Route 66 aus den USA ist einer der grössten Fintech-Investoren weltweit. Creathor Venture ist eines der bekannteren deutschen Private-Equity-Häuser. Internationale Aufmerksamkeit hat auch Advanon, das Startup für Liquiditätsplanung, auf sich gezogen. Im September holte das Zürcher Fintech in einer Finanzierungsrunde Daniel Gutenberg an Bord, wie finews.ch berichtete. Gutenberg war ein früher Facebook-Investor gewesen.

Auch hiesige Grossunternehmen lassen die Muskeln spielen. So übernahm im September Swiss Life die Mehrheit an Sobrado, einer Online-Transaktionsplattform für Broker und Versicherer. Das sind alles mehr als Lebenszeichen – sondern Entwicklungen, die auf eine Etablierung einer Fintech-Branche in der Schweiz schliessen lassen.

2. Die Fintech-Welle schwillt an

Die Zentren für Jungunternehmen in der Finanzbranche sind heute London, New York, Berlin und Singapur. Aber auch die Schweiz hat ihre Zentren: Namentlich Zürich und Genf, aber auch Zug ziehen Fintech-Unternehmen an. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Zahlen einer am Dienstag veröffentlichten Studie des Beratungsunternehmens Roland Berger.

Mehr als die Hälfte der dort befragten 54 Fintech-Unternehmen wurden nämlich in den Jahren 2014 und 2015 gegründet. Die Liste ist lang: Vergangenen Juni brachte der Kioskbetreiber Valora zusammen mit der Glarner Kantonalbank den Online-Konsumkreditvermittler Bob Finance auf den Markt. Im Zahlungsverkehrsbereich hat sich die Bezahl-App Paymit etabliert – eine Kooperation zwischen der SIX, der UBS und der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Im Anlagebereich ging Ende letzten Jahres der Roboadvisor Truewealth an den Start.

3. Die Schweiz ist schon ein Krypto-Hub

Die Schweiz darf sich als Krypto-Hub bezeichnen. So sorgte der Zuzug der kalifornischen Krypto-Firma Xapo nach Zürich hierzulande für Aufsehen. Das Unternehmen bietet eine sichere Bitcoin-Aufbewahrung in einem virtuellen Tresor an. Im kommenden Jahr will die Bitcoin-Börse Ecurex ihren Betrieb aufnehmen.

In Zug haben sich bereits mehrere Krypto-Firmen niedergelassen, wie zum Beispiel der Bitcoin-Händler Bitcoin Suisse, die Transaktionsplattform Monetas oder Ethereum, Betreiber einer dezentralen Plattform. Alle drei Fintech-Startups haben die Blockchain als Grundlage.

Dass sich gerade die Schweiz als Krypto-Hub etablieren kann, ist unter anderem auch der Regulierung zu verdanken. Die Finma war international eine der ersten Behörden, welche die digitale Währung einem Regelwerk unterstellte. Dies manifestiert sich jetzt in einem Wettbewerbsvorteil.

4. Die künftigen Disruptoren sind schon in der Schweiz

Die starke Präsenz von Blockchain-Expertise auf Schweizer Boden bedeutet gleichzeitig, dass der Standort in einem besonders disruptiven Fintech-Zweig stark aufgestellt ist. Die Blockchain ermöglicht Transaktionen auf rein digitaler Basis. Der Effizienzgewinn gegenüber etwa herkömmlichen Börsentransaktion gilt als enorm. Entsprechend wird der Technologie nachgesagt, sie werde die Finanzlandschaft auf den Kopf stellen.

Genau dies haben in der Schweiz etablierte Player früh erkannt. Die Grossbanken UBS und Credit Suisse forschen in seltener Einigkeit gemeinsam an der Blockchain, während der Telekom-Riese Swisscom und der führende Schweizer Banken-IT-Entwickler Avaloq ebenfalls nahmhaft in die Entwicklung der zukunftsträchtigen Technologie investieren. Damit sorgen sie dafür, dass Schweizer Firmen dereinst zu den Disruptoren zählen – anstatt über Nacht obsolet zu werden.

5. Die alten Schweizer Stärken sind die neuen

Das traditionelle Private Banking hat sich immer auf die alten Schweizer Stärken berufen: Politische Stabilität, Rechtssicherheit, die Kultur der Diskretion, eine starke Währung. Diese alten Stärken sind auch nach dem Wegfallen des Bankgeheimnisses vorhanden. Und stellen nun für die Fintech-Szene einen wichtigen Standortvorteil dar.

Denn mehr noch als bei den traditionellen Banken spielen IT, Datenaufbereitung und -aufbewahrung für Fintech-Unternehmen eine tragende Rolle. Es sind meistens rein digitale Player, die ihr Geschäft online oder via App betreiben. Datensicherheit und Persönlichkeitsschutz sind darum herausragende Elemente in der einwandfreien Geschäftsführung und wichtige Faktoren in der Kundenansprache.

Die Schweiz bietet hier im internationalen Vergleich noch immer einen höheren Schutz als andere Länder. Und die politische Glaubwürdigkeit bezüglich Datenschutz und Persönlichkeitsrechte ist – im Gegensatz zu den USA zum Beispiel – nach wie vor intakt. Das sind Anziehungspunkte für Fintech-Unternehmen.

6. Der «Kantönligeist» wie Blockchain

Aus Sicht von Jungfirmen, die sich den Wegzug aus den Fintech-Hochburgen wie den USA überlegen, erscheint die Schweiz nicht nur aufgrund ihrer Stabilität attraktiv. Interessanterweise lockt auch die Eigenart des politischen Systems, wie ausländische Start-up-Unternehmer berichten. Sie sehen etwa im föderalen Aufbau des Schweizer Staatswesens ein Abbild der dezentral organisierten Blockchain.

Aus ihrer Warte ist gerade der oft verspottete «Kantönligeist» ein ideales Umfeld für die Weiterentwicklung jener Technologie. Dies im Gegensatz zum «Versailles am Potomac», wie jene Akteure die US-Regierung in Washington verspotten.

7. Der politische Rückhalt steigt

In der aktuellen Studie von Roland Berger wird ein grosser Kritikpunkt laut: «Ausbaufähig sind vor allem die politische Unterstützung und die regulatorischen Rahmenbedingungen. Diese müssen so gestaltet sein, dass der Finanzplatz Schweiz auch in Zukunft eine bedeutende internationale Rolle spielt und dass der Fintech-Szene keine zusätzlichen Steine in den Weg gelegt werden», stellt das Papier fest.

Dieselbe Kritik ist auch in der Branche immer wieder zu vernehmen. Doch die Dinge sind auch hier in Bewegung geraten: Der jüngste Bericht der Finanzmarktstrategie-Experten der Gruppe Aymo Brunetti äussert sich explizit zu Fintech; derweil erklärte Mark Branson, Direktor der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) das Thema kürzlich zur Chefsache.

Mit behördlicher Unterstützung wird derweil im Kanton Zürich an einem Fintech-Hub gebaut – und frisch gewählten Nationalräte tragen Fintech-Anliegen ins Bundesparlament, wie auch finews.ch berichtete.