Ray Soudah hatte leitende Positionen bei der UBS und anderen Finanzkonzernen inne. Mit finews.ch sprach der Kenner der Szene über die Schweiz und ihre Banken.
Herr Soudah, der Steuerstreit zwischen der UBS und den USA ist beigelegt. Doch welche langfristigen Folgen erwarten Sie für den Schweizer Finanzplatz?
Die Angelegenheit mag aus Sicht der UBS geschlichtet sein, trotzdem sehen sich weiterhin viele Privatpersonen und Behörden im Ausland in ihrer These bestätigt, dass die Schweiz eine Steueroase ist und viele Banken in der Grauzone operieren.
Was ja so auch nicht zutreffend ist.
Natürlich. Aber die öffentliche Wahrnehmung ist halt doch eine Realität. Darum muss sich der Finanzplatz neu positionieren. Solange das nicht geschieht, fliessen weitere Kundengelder ab, und die Erträge sinken. Kommt hinzu, dass nun einzelne Kunden offenbar die UBS juristisch belangen wollen. Ausserdem müssen sich vielleicht auch noch die ehemals Verantwortlichen der Grossbank vor Gericht verantworten.
Kurz- bis mittelfristig zahlt die Schweiz sicherlich einen hohen Preis dafür, dass sie nicht schon vor Jahren selbst die Initiative ergriffen hat. Dann hätten die Eidgenossen nämlich federführend über eine neue Ordnung verhandeln können, anstatt wie jetzt gezwungenermassen einzulenken.
Wie hoch ist dieser Preis?
Schwer zu sagen. Fest steht, dass Veränderungen unumgänglich sind. Bereits sollen sich andere Banken wie die Credit Suisse oder die HSBC in der Schweiz veranlasst sehen, gewissen Kundengruppen vorsorglich mitzuteilen, dass das Bankgeheimnis gegenüber dem Ausland in einigen Fällen nicht mehr gelten könnte. Das verunsichert extrem, und die Reputation der Schweiz als Ganzes leidet darunter.
Wenn Sie eine Diagnose stellen müssten. Wo liegt für Sie das Grundübel der Probleme heute?
Die meisten Akteure auf dem Schweizer Finanzplatz, inklusive Behörden, haben nicht erkannt oder nicht erkennen wollen, dass sich neue politische Realitäten entwickelten, welche das Steuerthema ganz nach oben auf die Prioritätenliste rückten – es ist müssig, darüber zu debattieren, aus welchen Motiven sie das taten. Es war ganz einfach eine politische Tatsache, und die Schweiz war auf diesen «perfekten Sturm», der sich zusammengebraut hat, gänzlich unvorbereitet. Zu diesem Zeitpunkt hatte damit niemand gerechnet.
Was genau wäre denn zu erkennen gewesen?
Das Offshore-Geschäftsmodell der Banken, das dermassen international ausgerichtet ist, kann auf Dauer nicht allein durch nationale Gesetze geschützt werden. Zwar erwies sich das Schweizer Bankgeheimnis seit 1935 als ein sehr wichtiger, wenn nicht gar der wichtigste Wettbewerbsvorteil für viele Schweizer Banken gegenüber ihren Konkurrenten im Ausland. Doch im Verlauf der letzten zehn Jahre wendete sich das Blatt. Die Schweiz war immer weniger eine Insel, je mehr die – sagen wir - «steuerliche Verantwortung» zur multilateralen Herausforderung avancierte. Mit anderen Worten: Die Zeichen waren bereits seit Jahren erkennbar, es mangelte jedoch an Handlungswillen.
Was war die Folge?
Spätestens seit dem G-20-Treffen im vergangenen April in London ist das Schweizer Bankgeheimnis nicht mehr das, was es einmal war. Auf internationalen Druck hin musste die Schweiz die technische und rechtliche Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug bei ausländischen Kunden fallen lassen. Die Schweiz hat fahrlässig gehandelt oder zumindest wenig Voraussicht bewiesen, weil sie auf diese Eventualität nie ausreichend vorbereitet war.
Erstaunt Sie diese Betriebsblindheit?
Das Swiss Banking ist an und für sich ein langfristig angelegtes Geschäft, das auf Sicherheit, Kapitalerhalt und umfassende Serviceleistungen beruht. Hinzu gesellt sich das Bankgeheimnis. In den letzten zwanzig Jahren liessen sich jedoch zahlreiche Finanzinstitute von angelsächsischen Methoden vereinnahmen. Ihre Strategie wurde aggressiver und auf den schnellen Reibach reduziert. Anstatt die Bedürfnisse der Kundschaft abzuklären, hat man munter drauf los produziert und expandiert. Dabei wiegten sich viele Schweizer Institute durch das Bankgeheimnis in einer trügerischen Sicherheit.
Selbst eine grosse UBS hat solche Fehleinschätzungen nicht frühzeitig erkannt. Warum?
Die UBS hat das angelsächsische Modell im Investmentbanking ad absurdum getrieben und Berichten zufolge gleichzeitig für amerikanischen Offshore-Kunden die so genannte Steueroptimierung besonders offensiv betrieben. Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung war möglicherweise die Übernahme des US-Brokers PaineWebber im Jahre 2000.
Das liegt relativ weit zurück. Was ist dann geschehen?
Die UBS wurde dadurch nicht nur sehr gross, sondern auch übermütig. Infolge von hoch gesteckten Expansionszielen hat sie ihr Onshore-Wealth-Management in den USA vermutlich nicht mehr genügend von Offshore-Aktivitäten getrennt, sondern es umso aggressiver ausgebaut. Damit begab sie sich allem Anschein nach in eine Grauzone. Dass ihr die Offshore-Aktivitäten in den USA zum Verhängnis wurden, ist insofern tragisch, als es ein doch vergleichsweise kleines Geschäft war, das diese Konsequenzen nicht wert war.
Nach Ihrer Einschätzung muss die Schweiz mittelfristig unten durch. Wie geht es danach weiter?
Die grössten, im Private Banking tätigen Institute in der Schweiz brauchen ein neues Setup. Sie müssen ihre Stärken neu definieren und daraus ein Geschäftsmodell für die Zukunft ableiten. Dabei sollten sie den Kunden wieder das Gefühl geben können, beratend an ihrer Seite zu stehen und nicht mehr länger bloss Beihilfe zu irgendwelchen Steuertricks zu leisten.
Welche Voraussetzungen sind dazu nötig?
Es braucht einen Sinneswandel – weniger Réduit-Mentalität, dafür mehr Offenheit und Initiativen. Ihren Trumpf – den Status als sicherer Hafen – wird die Schweiz auch in Zukunft im Ärmel haben. Solange im globalen Kontext professionelle Investmentdienste angeboten werden können, besteht kein Grund, weshalb die grossen unabhängigen Schweizer Banken sich nicht erholen und gedeihen sollten.
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Ray Soudah zählt zu den vielseitigsten Bankpersönlichkeiten, die aus der Schweiz heraus international tätig sind. Der gebürtige Zypriote absolvierte die Harvard Business School sowie die Cedep, bevor er Anfang der siebziger Jahre eine lange und steile Karriere in der Finanzwelt einschlug. Er hatte diverse leitende Funktionen bei der Citigroup, bei Montagu und bei mehreren anderen Instituten inne.
Von 1998 bis 2000 arbeitete Ray Soudah als Managing Director im Private Banking der UBS. Dort gründete und leitete er das Team für strategische Unternehmensakquisitionen und Entwicklung und war Mitglied des Executive Board der Private-Banking-Sparte. Im Mai 2000 machte sich Ray Soudah selbständig und gründete die Millenium Associates AG, ein renommiertes Beratungsunternehmen für M&A-Aktivitäten auf globaler Ebene. Dabei konzentriert sich Soudah mit seiner Firma, die heute knapp 40 Mitarbeiter beschäftigt, auf Finanzinstitutionen der Private-Banking-, Vermögensverwaltungs- und Finanzbranche.