Die Enttarnung von Steuersündern führt zu einer permanenten Empörungskommunikation in Deutschland. Das erfolgreiche Selbstanzeigeprogramm gerät in Verruf. Thomas Sutter von der Schweizerischen Bankiervereinigung versachlicht die Debatte.
Die Liste «enttarnter» deutscher Steuerhinterzieher wird immer länger. Gemäss den Gesetzen der Empörungskommunikation sollte die Aufregung darüber eigentlich immer geringer werden. Aber weit gefehlt! Bei Steuerdelikten tritt dieses Gesetz in Deutschland ausser Kraft. Immer die gleichen Leute empören sich in immer den gleichen Sendungen mit immer den gleichen Argumenten. Mainstream statt Dialektik, Empörung statt Lösung und Geschrei statt Vernunft sind die Folgen.
Wo bleiben die besonnenen Stimmen?
Links ruft nach der Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige, und die Mitte sieht plötzlich das Heilmittel im automatischen Informationsaustausch (AIA). Rechts wurde aus dem Bundestag gewählt, ist immer noch geschockt und findet keine passenden Worte. Und wenn sich sogar die für ihre majestätische Raute bekannte Bundeskanzlerin in die hitzige Debatte einbringt, wird es höchste Zeit, unsere hyperventilierenden nördlichen Nachbarn mit ein paar Fakten zu beruhigen:
- 1. Das Recht zur strafbefreienden Selbstanzeige gibt es in ganz Deutschland seit beinahe 100 Jahren. Was so lange Bestand hat, kann wohl kaum so schlecht sein.
- 2. Kein Finanzminister in einem der 16 deutschen Bundesländer (ob rot oder schwarz) fordert die Abschaffung der Selbstanzeige. Wer täglich die Ein- und Ausgaben im Gleichgewicht halten muss, hat nicht den Luxus, sich auf eine überhöhte Moraldebatte im Feuilleton einzulassen.
- 3. In Deutschland gibt es wie in allen Rechtsstaaten das Steuergeheimnis. Es gilt für alle Bürger – auch für reuige Steuersünder. Was für ein Rechtsverständnis legt der deutsche Medienmainstream an den Tag, wenn er mit seinen Enttarnungen dieses Gesetz verletzt?
- 4. Die Schweizer Banken machen mit ihrer Regularisierung ernst. Das zeigen die geschätzten 20'000 deutschen Selbstanzeigen alleine im Jahr 2013. Wo wären diese Gelder wohl hingeflossen, wenn es die Selbstanzeige nicht gäbe?
Demokratie braucht Zeit, aber sie funktioniert
Die Schweizer Banken befürworten einen AIA. Nicht aus Überzeugung, aber aus Notwendigkeit. Nur muss dieser zuerst vorliegen, ein internationaler Standard sein und danach in Kraft gesetzt werden. Liebe Frau Bundeskanzlerin, die Schweiz ist nicht nur für ihre schönen Langlaufloipen bekannt, sondern auch für ihre Demokratie. Der AIA kommt, aber nur rechtsstaatlich einwandfrei verankert.
So viel Demokratieverständnis und Geduld wird eine der jüngsten Demokratien in Europa sicher der ältesten auf diesem Kontinent entgegenbringen können.