Neuer PR-Schlag für Goldman Sachs: Ein Spitzenmann rechnet per offenem Brief ab. Der Titel: «Weshalb ich Goldman Sachs verlasse».
Die Unternehmenskultur sei «so giftig und destruktiv, wie ich es noch nie erlebt habe». Die Interessen der Kunden würden «beiseite gewischt» durch die Art, wie man bei Goldman Sachs übers Geldverdienen denkt.
Der das sagt, müsste es eigentlich wissen: Greg Smith arbeitet seit 12 Jahren für Goldman Sachs – doch in diesen Tagen wird er seinen Job als Leiter Aktienderivate Europa, Nahost und Afrika aufgeben.
Oder genauer: Er schreibt es in der «New York Times». In seinem offenen Brief stellt der scheidende Executive Director fest, dass sich Goldman Sachs in den letzten Jahren massiv verändert habe. Als Smith einst bei der Investmentbank begann, habe noch eine völlig andere Unternehmenskultur geherrscht – mit «Integrität, ein Geist der Bescheidenheit, und dem Wunsch, immer das richtige für unsere Kunden zu tun.»
Er nennt die Verantwortlichen beim Namen
Diese Kultur sei das Geheimnis in der 173jährigen Geschichte von Goldman Sachs gewesen. «Es ging nicht nur darum, Geld zu verdienen; denn dies allein wird eine Firma nie so lange über Wasser halten», so Smith.
Jetzt aber könnte er bei Rekrutierungsanlässen nicht mehr vor Studenten hinstehen und ihnen in die Augen blicken. Er selber habe einige der grössten Hedge Funds, Asset Managers und Staatsfonds dieser Erde beraten, und er sei stolz darauf gewesen, ihnen immer das zu raten, was er als richtig erachtete – auch wenn seine Bank damit auch mal weniger verdiente. Diese Haltung sei zunehmend unpopulär bei Goldman Sachs.
Heute erlebe er Verkaufsmeetings, wo keine einzige Minute darauf verwendet werde, sich zu fragen, wie man den Kunden helfen könne: «Es geht ausschliesslich darum, wie wir am meisten Geld aus ihnen ziehen können.»
Der scheidende Aktienderivate-Chef nennt auch die Hauptverantwortlichen des diagnostizierten Verfalls: CEO Lloyd Blankfein und Verwaltungsrats-Präsident Gary D. Cohn. Sie hätten in den letzten Jahren die Unternehmenskultur aus den Augen verloren. «Ich bin überzeugt, dass der Niedergang bei der Moral die grösste einzelne Bedrohung fürs langfristige Überleben darstellt.»
Wie man bei Goldman Sachs Karriere macht
Das Problem, so Smith, liege darin, dass Goldman Sachs zu sehr in die internationale Finanzwelt integriert sei, um noch lange weiter so handeln zu können.
Smith illustriert das Kultur-Problem, indem er die drei Arten auflistet, wie man bei Goldman Sachs heute Karriere machen kann:
1. Sei gut beim Abholzen (im Original: «execute on the firm's 'axes'»). Konkret: Als erfolgreich gilt ein Goldman-Mann, wenn er die Kunden dazu bringt, in Produkte zu investieren, welche die Bank loswerden will, weil sie im Eigenhandel damit zuwenig verdient.
2. «Jage Elefanten»: Bring die Kunden dazu, jene Produkte zu kaufen, welche Goldman die höchsten Kommissionen einbringen.
3. Suche dir einen Sessel, wo dein Job darin besteht, mit illiquiden und undurchsichtigen Produkten zu handeln, deren Name aus drei Buchstaben besteht.
Am Ende benennt Smith nochmals die Absicht hinter seinem Auftitt in der «New York Times»: Es soll ein «wake-up call» sein. «Macht die Kunden wieder zum Fokus Eures Geschäfts», fordert er seine ehemaligen Kollegen auf. «Denn ohne Kunden werdet ihr kein Geld verdienen. Ihr werdet nicht existieren. Schmeisst die moralisch bankrotten Leute raus, ganz gleich, wieviel Geld sie jetzt für die Firma machen.»
• Greg Smith, «Why I am Leaving Goldman Sachs», «New York Times», 14. März 2012.