Die Zürcher Privatbank hat nach vergangenen Skandalen ihre Compliance reformiert und will die am meisten bewunderte Vermögensverwalterin werden. Doch nun fällt der Name von Julius Bär in Zusammenhang mit Steuerdelikten, Geldwäscherei und angeblichem Betrug. Was ist los?
Millionären muss bei der Lektüre ein kalter Schauer über den Rücken laufen. «Wie ein Ehepaar in der Schweiz in einem mutmasslichen Bankenbetrug ein Vermögen verlor»: So titelt ein umfangreicher Artikel, in dem die «Financial Times» (Artikel bezahlpflichtig) berichtet, wie ein russischstämmiges Paar von ihrem Banker und späteren Berater mutmasslich um 22 Millionen Franken erleichtert wurde.
Der Fall, findet das britische Blatt, offenbare die Risiken in der «undurchsichtigen Welt der Zürcher Vermögensverwalter». Prominent in der Story figuriert auch eine Bank: Das Traditionshaus Julius Bär, für das der angebliche Betrüger einst tätig war und welches die Gelder der Eheleute verwahrte.
An die Finma gelangt
Dem Bericht zufolge hat das Paar eine Schadenersatzklage gegen das Institut eingereicht und die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) aufgefordert, die Bank wegen Compliance-Mängeln zu untersuchen. Die Ex-Kunden werfen Julius Bär vor, dem Treiben des Beraters jahrelang zugesehen zu haben.
Das ist «Publicity», auf die Julius Bär wohl gerne verzichtet. Die Bankengruppe hat nämlich vor, bis ins Jahr 2030 die verwalteten Vermögen auf 1’000 Milliarden Franken mehr als zu verdoppeln. Millionärskunden wie das Ehepaar werden dazu vermutlich den Löwenanteil beisteuern. Noch unangenehmer ist, dass der Name der selbsternannten «Pure play»-Privatbank in den vergangenen Tagen und Wochen gleich mehrmals in Zusammenhang mit Steuerbetrug, Geldwäsche und Veruntreuung öffentlich genannt wurde.
Hunderte Millionen verheimlicht
So gab der einstige Formel-1-Manager Bernie Ecclestone vergangene Woche zu, Gelder im Umfang von 400 Millionen Pfund vor der britischen Steuerbehörde verheimlicht zu haben; die Summe lag bei Julius Bär in Singapur. Letzten Monat wurde berichtet, dass die Polizei im asiatischen Stadtstaat bei der Privatbank umgerechnet rund 21 Millionen Franken blockiert hat; die Vermögen werden einem riesigen Geldwäschereiskandal zugerechnet, der Singapur gegenwärtig erschüttert.
Ebenfalls im September ergab die Auswertung von Daten aus einem Hack, dass Julius Bär zu den Banken zählte, welche Gelder eines ehemaligen russischen Ministers aufbewahrte. Laut einem international anerkannten Gericht soll dieser sich nach der Jahrtausendwende an Staatsvermögen bereichert haben.
Aufsicht muss auf relevante Hinweise reagieren
Eine Bankensprecherin sagt zu finews.ch, Julius Bär könne aus bekannten Gründen zu tatsächlichen und vermeintlichen Ereignissen respektive generellen Vorwürfen nicht im Einzelnen Stellung nehmen. Das Unternehmen halte sich in seiner Geschäftstätigkeit an die jeweils geltenden Vorschriften und passe seine umfangreichen Kontrollen und Prozesse zur Einhaltung dieser Vorschriften laufend den Entwicklungen an.
Und weiter: «Bei entsprechenden Fragestellungen kooperiert Julius Bär mit den zuständigen Behörden, um eine effiziente Klärung im Sinne aller beteiligten Parteien sicherzustellen.»
Bei der Finma wiederum heisst es auf Anfrage, die Aufsicht äussere sich nicht zu Einzelheiten ihrer Aufsichtstätigkeit oder zu einzelnen Medienberichten. Allerdings hielt die Behörde zum generellen Vorgehen fest: «Wenn die Finma Hinweise auf Sachverhalte hat, die aufsichtsrechtlich relevant sein können, geht sie diesen nach.»
Alles Zufall?
Tatsächlich mag es teils Zufall sein, dass alle diese Verstrickungen gegenwärtig ans Tageslicht gelangen. Die Vorgänge sind untereinander verschieden und reichen in ihrem Ursprung zuweilen in die Nullerjahre zurück – entsprechend kann trotz der aktuellen Häufung von Einzelfällen die Rede sein.
Ebenfalls unterscheiden sie sich in der juristischen Perspektive: Die Forderungen des Ehepaars spielen im Bereich des Zivilrechts, während der Geldwäschereiskandal in Singapur ein Fall für die Regulatoren ist. Dennoch passen die Vorfälle schlecht zu einer Bank, die sich nach der Verwicklung in eine internationale Geldwäschereiaffäre und der Sanktionierung durch die Finma ein Saubermann-Image verpasst hat.
Missbrauch schneller aufdecken
Dazu hatte Julius Bär in einem mehrjährigen Prozess, dem Programm «Atlas», seine internen Risikokontrollen reformiert. 2020 propagierte Bär-Chef Philipp Rickenbacher einen Kulturwandel und das Ziel, der «am meisten bewunderte globale Vermögensverwalter» zu werden.
Zur Agentur «Reuters» sagte Rickenbacher nun kürzlich in einem TV-Interview, er sei zuversichtlich, dass die aktuelle Risikoorganisation die richtige Grundlage sei, um das künftige Wachstum auf höchstem Niveau zu unterstützen und zu erhalten. Dennoch mahnte der CEO, dass es sich beim Banking um ein Risikogeschäft handle. «Es immer wieder Personen geben, die versuchen, das Finanzsystem zu missbrauchen.»
Was sich aber grundlegend verändere, sei die Geschwindigkeit, mit der die Bank Missbrauch aufdecke, sowie die Fähigkeit und das Tempo, Abhilfe zu schaffen. Diese Entwicklung sei noch nicht zu Ende, so der Bankchef. Denn: «Wir investieren weiter in die Geldwäschebekämpfung, um das Verhalten unserer Kunden zu verstehen, und das wird uns in den kommenden Jahren beschäftigen.»
Urteil Anfang Jahr
Die Berichterstattung der «Financial Times» steht nun im Kontrast zu solchen Beteuerungen. Wie sich aber zeigt, hatte die «Aargauer Zeitung» (Artikel bezahlpflichtig) bereits vergangenen März bereits zum angeblichen Betrug berichtet. Damals war der Banker-Berater des Ehepaars vor dem Zürcher Handelsgericht zu 18 Monaten Haft verurteilt worden sowie zur Rückerstattung von 13 Millionen Franken an die Kunden. Der Beklagte ist seither in Berufung gegangen; das Verdikt ist demnach nicht rechtskräftig.
Julius Bär war nicht Teil jenes Verfahrens. Depotbanken sind in der Schweiz auch nicht verpflichtet, dass Vorgehen von unabhängigen Vermögensverwaltern zu überwachen; oftmals ist es sogar so, dass Kunden ihren Beratern umfangreiche Handlungsvollmachten ausstellen. Doch das schützt die Bank nun nicht davor, wegen angeblicher Compliance-Mängel am medialen Pranger zu stehen.
Auch beim Steuerbetrug-Verfahren gegen Rennsport-Legende Ecclestone figurieren die «Bären» nicht als Partei. Je nach Jurisdiktion und Regulation können sich Banken auf den Standpunkt stellen, dass die Steuerehrlichkeit von Kunden nicht abschliessend zu überprüfen ist. Wenn bekannte oder exponierte Personen und hohe Summen im Spiel sind, müsste aber besondere Vorsicht geboten sein.
Unberechenbares Russen-Banking
Was den Geldwäschereiskandal in Singapur betrifft, sind auch bei diversen einheimischen Instituten und der Grossbank Credit Suisse grosse Vermögen eingefroren worden. Ob und wie die örtlichen Behörden die Geldhäuser deswegen zur Rechenschaft ziehen, ist ungewiss; in der Korruptions-Affäre um den malaysischen Staatsfonds 1MDB zeigte sich allerdings, dass der Stadtstaat durchaus in der Lage ist, bei Geldhäusern hart durchzugreifen.
Noch unberechenbarer sind schliesslich die Enthüllungen über (einstige) Russengelder bei der Privatbank. Die Daten mögen aus einem für sich genommen kriminellen Hack stammen und auf Vorgänge weit in der Zeit vor dem Ukraine-Krieg zurückreichen. Dennoch steigen die Reputationsrisiken für den Schweizer Bankenplatz wegen seiner unklaren Linie im Russen-Banking. Der Druck aus den USA etwa, der jetzt schon gut spürbar ist, kann jederzeit sprunghaft zunehmen.
Julius Bär erklärt zum Russland-Komplex, die Gruppe habe die Geschäftspolitik rasch den Ereignissen angepasst: «Dazu gehören die Schliessung der lokalen Geschäftsstelle, der Stopp der Neuaufnahme und die Beendigung von Beziehungen mit Kunden mit Domizil Russland.»
Eine alte Lektion
Wie auch die Berichterstattung der «Financial Times» nahelegt, reicht es für den Ruf des Schweizer Bankenplatzes nicht, dass sich dessen Institute darauf berufen, geltende Regeln einzuhalten. Diese Lektion sollte die Branche seit Beginn der «Weissgeld-Ära» und dem faktischen Ende des Bankkundengeheimnisses gelernt haben.
Umso mehr muss es Besorgnis erregen, wenn sich Vorwürfe gegen einzelne Banken wieder zu häufen beginnen – denn das könnte darauf hindeuten, dass sich ein systemisches Problem für das Metier abzeichnet.