Weit weg von den Turbulenzen, welche die Credit Suisse nördlich des Gotthards heimsuchen, erzählt Marzio Grassi finews.ch, wie die Bank mit den Kunden im Tessin umgeht und was der Schlüssel zu guten Geschäftsbeziehungen ist.
Das Management am Hauptsitz der Credit Suisse (CS) in Zürich hat Mühe, die Bedenken der Mitarbeitenden und Anleger zu zerstreuen, solange über die Sanierungspläne der Bank, die sie Ende des Monats bekannt geben wird, heftig spekuliert wird.
Auch der Tessiner Regionalleiter Marzio Grassi weiss nicht, wie die neue Strategie aussehen wird. Er scheint sich aber des guten Rufs der Bank in der Tessiner Geschäftswelt sicher zu sein. Die Credit Suisse beschäftigt in der Südschweiz ungefähr 560 Mitarbeitende.
Vielfältiger Wirtschaftsteppich
Eine Erklärung dafür könnte die Art der Kunden sein, die die Bank dort hat. Viele von ihnen sind Familienunternehmen in traditionellen Branchen wie der Landwirtschaft, dem Tourismus und dem Granitabbau, welche die 110-jährige Präsenz der Bank im Kanton schätzen.
Doch Grassi hat auch Unternehmen in moderneren Sektoren im Blick, wie Pharmaunternehmen, Medizintechnikfirmen und technologiebasierte Startups, die sich stetig in den vielfältigen Wirtschaftsteppich der Region einweben.
«One Bank» funktioniert
Diese Firmen sind auf dem Vormarsch und dürften – zusammen mit den Exporten der Region ins benachbarte Italien – in den kommenden Jahren für das Wachstum des Tessins sorgen.
Kleinunternehmen und Startups sind erstklassige «One Bank»-Kunden. So kann die Bank, den Unternehmer als Private-Banking-Kunde gewinnen, nachdem sie sein Geschäft gewonnen hat, oder umgekehrt.
Obwohl die bevorstehende strategische Überprüfung der CS dazu führen könnte, dass das «One Bank»-Modell ersetzt wird, da das Investmentbanking ausserhalb der Schweiz eingeschränkt werden dürfte, hat sich das Modell im Tessin bewährt.
«Die Zusammenarbeit zwischen dem Firmenkundengeschäft und der Privatbank hat in den vergangenen Jahren besonders gut funktioniert», sagt Grassi im Gesüräch mit finews.ch und fügt hinzu, dass «wir hier nicht nur auf dem Papier eine Bank sind.»
Kürzere Wege
Seit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels vor zwei Jahren hat sich Grassis Arbeitsalltag deutlich verbessert, da er nun im Kanton schneller unterwegs ist. «Es ist erstaunlich, ich kann in 30 Minuten in Locarno sein. Mit dem Auto ist das unmöglich», unterstreicht der CS-Manager.
Der Ceneri-Tunnel verkürzt auch die Fahrzeit von Zürich nach Lugano auf zwei Stunden, was die Region für Berufstätige attraktiv macht, die anderswo wohnen, aus der Ferne arbeiten können und auf der Suche nach einer besseren Lebensqualität sind.
Zwar ist die Nachfrage nach Immobilien in diesem Jahr aufgrund höherer Zinssätze und strengerer Anforderungen an die Hypothekenvergabe zurückgegangen. Doch die Neuzuzüger tragen dazu bei, dem demografischen Rückgang entgegenzuwirken, von dem die Region in den letzten Jahren betroffen war.
Feingefühl hilft weiter
Die Erfahrung, welche die CS in ihrer langen Geschichte in der Region gesammelt hat, ist auch bei der Nachfolgeplanung von Nutzen. Das schätzen die Familienunternehmen, zumal viele von ihnen gerade dabei sind, ihre Firma an die nächste Generation zu übergeben.
Nachdem die Bank diese Generationenwechsel zu technisch angegangen war, stellte sie fest, dass Emotionen eine grosse Rolle spielen. «Stellen Sie sich vor, Sie geben von einem Tag auf den anderen alles auf», sagt Grassi.
Geschäftsinhaber, deren Selbstverständnis eng mit ihrem Unternehmen verbunden ist, müssen sich dieser Zäsur bewusst werden. Sonst sind sie möglicherweise nicht in der Lage, die Firma in letzter Minute zu übergeben.
Unabhängig von der neuen Strategie
Doch nicht nur der Eigentümer braucht dieses Feingefühl. Jede Verwaltungsrat muss individuell angehört werden, auch wenn alles vorher in Sitzungen abgesprochen wurde, erklärt Grassi. «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Familien- oder Vorstandsmitglieder ihre Wünsche nur ungern vor anderen äussern», so der CS-Manager.
In den 38 Jahren, in denen Grassi bei der CS in der Region tätig ist, hat er gelernt, mit solchen Situationen umzugehen und führt mit jedem Mitglied des jeweiligen Verwaltungsrats ein persönliches Gespräch. So wird er es aller Voraussicht beibehalten – unabhängig vom Ergebnis für Ende Monat angekündigten Strategieüberprüfung der Grossbank.