Von wegen Gründerbewegung: die Szene hat in diesem Jahr bereits rekordhohe Summen angezogen, wie neue Daten zeigen. Fintechs und Finanzkonzerne begegnen sich auf Augenhöhe.

Ist da ein Hauch von Torschlusspanik spürbar? Im letzten Halbjahr kletterten die Investitionen in Fintechs weltweit auf 98 Milliarden Dollar. Dies ergibt sich aus den Berechnungen der Beratungsfirma KPMG, die dazu Übernahmen, Privatmarkt-Investitionen und Wagniskapital aufaddierte.

Im Vergleich zum vom Ausbruch der Coronakrise gezeichneten 2020 fand damit ein «Rekordstart» statt, wie die Berater in der Studie feststellten – im gesamten Vorjahr waren der Fintech-Szene 121,5 Milliarden Dollar zugeflossen. Richtiggehend geklotzt wurde nicht zuletzt vonseiten der etablierten Grossunternehmen, wie auch Transaktionen in der Schweiz zeigen.

Eine Herde von Einhörnern

Angesichts der sprudelnden Milliarden ist es wenig verwunderlich, dass die Bewertungen der Startups im Segment nochmals kräftig anzogen. 163 neue «Einhörner» erblickten so im vergangenen Semester das Licht der Welt – also Firmen, deren Bewertung 1 Milliarde Dollar überschritten hat.

«Fintechs sind ein extrem heisses Investment-Thema, und das wird sich der zunehmenden Zahl an Hubs und den immer grösseren Deals so schnell nicht ändern», prophezeit der KMPG-Report.

Tempo mit Folgen

Als entscheidender Treiber erwiesen sich dabei die Zukäufe von etablierten Konzernen, wie die Studie weiter feststellt. Der Druck zur Transformation hat auch im Finanzwesen in der Coronakrise nochmals zugenommen, und bei den grossen Akteuren sickert die Erkenntnis durch: Digitalisierung geht schneller, wenn man sich das Know-how von aussen einkauft oder sich die richtigen Partner unter den wendigen Startups sucht. Insgesamt flossen Fintechs durch Übernahmen im letzten Halbjahr 21 Milliarden Dollar zu, verteilt über rund 600 Deals weltweit.

Zu aufsehenerregenden Transaktionen kam es auch hierzulande. Ende letzten Juni verkauften die Eigner der in Zürich und Zug beheimateten Crypto Finance Gruppe an die Deutsche Börse; der Kaufpreis wurde auf mehr als 200 Millionen Franken geschätzt.

Doppelter Geldsegen für Krypto-Szene

Die Deutsche Börse erhofft sich mit der einen direkten Einstiegspunkt für Investitionen im Bereich digitaler Assets, einschliesslich Nachhandels-Dienstleistungen wie der Verwahrung, hiess es damals. Weltweit flossen Krypto- und Blockchain-Fintechs im vergangenen Halbjahr 8,7 Milliarden Dollar zu. Das sind doppelt so viel wie im Jahr zuvor.

Während Krypto-Anlagen weiterhin ein Nischenthema sind, ist es der Zahlungsverkehr keineswegs. Dies ist in der Fintech-Zweig, der am besten etabliert ist, und hier waren bis vergangenen Juni auch die grössten Summen im Spiel: Über 19 Milliarden Dollar zogen Payment-Startups an, wobei die US-Firma SoFi für 2,4 Milliarden Dollar über den Tisch ging, während die auch in der Schweiz aktive schwedische Shopping-App Klarna 1,9 Milliarden Dollar frisches Kapital einsammelte.

Die Stunde der Super Apps

Das viele Geld erlaubt es den Akteuren, gross zu denken. So sieht KPMG einen verstärkte Konsolidierung unter den grössten Anbietern sowie ein Trend hin zu «Super Apps» mit einem Angebot, das weit übers blosse Zahlen herausreicht. Europäische Neobanken, die mit Zahlungen gross geworden sind, partnern derweil auf Augenhöhe mit etablierten US-Banken.

Nicht zu verstecken brauchen sich auch die Insurtechs, welche die Welt der Versicherungen zu digitalisieren suchen. Laut dem Report sammelte sie insgesamt 7,1 Milliarden Dollar bei diversen Investoren ein, wobei ein in der Schweiz domiziliertes Startup ebenfalls von sich reden machte: Das 2015 hierzulande gegründete Insurtech Wefox konnte vergangenen Juni Kapital im Umfang von 650 Millionen Dollar aufnehmen.

Google spannt mit Grossbanken zusammen

Für die internationale Strahlkraft des Startups mit Berliner Hauptsitz spricht dabei die Herkunft der Geldgeber in der letzten Kapitalrunde. Zu den Sponsoren zählte etwa die Zuger Vermögensverwalterin Partners Group sowie Lightrock, die Wagniskapital-Gesellschaft der Liechtensteiner Fürstenbank LGT, aber auch internationale Grössen wie Mubadala, der Staatsfonds aus dem Emirat Abu Dhabi.

Mittlerweile finden sich etablierte Finanzakteure auch schon in der Rolle von Junior-Partnern. Um sein digitales Konto-Angebot Google Plex voranzubringen, sicherte sich der kalifornische Tech-Riese die Dienste von Grossbanken wie Citigroup, BBVA und Bank of Montreal.