Die Corona-Pandemie gilt als Katalysator der digitalen Transformation des Schweizer Bankenplatzes. Aber so einfach ist das nicht: Die Banken müssen die finanziellen Folgen von Corona tragen – und die strategischen Ressourcen freisetzen, um den Wandel zu schaffen.
Es klingt so wunderbar: Schweizer Banken und Finanzunternehmen haben den Corona-Schock hervorragend gemeistert. Mehr als das, die Pandemie hat diesen Frühling gezeigt, dass der Finanzplatz den digitalen Wandel ganz ordentlich mitmacht. Schliesslich konnten die Mitarbeiter alle wichtigen Funktionen auch «remote» aus dem Home-Office erfüllen – und tun das zum grossen Teil weiterhin.
Aber die Schweizer Banken können sich auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen. Denn erstens ist die erfolgreiche Verlagerung der Angestellten aus den Büros der Banken ins Home-Office nicht mit digitaler Transformation gleichzusetzen.
Corona: Zusätzliche Ressourcen und Geld
Zweitens schafft die Corona-Pandemie im Schweizer Banking neue Realitäten. Deren Bewältigung wird Ressourcen und Geld verschlingen, die für Investitionen in den Wandel benötigt würden. Mit anderen Worten: Die Corona-Pandemie erleichtert die Transformation der Banken nicht, sie erschwert sie. Das zeigt sich anhand des «Schweizer Banken Report 2020» des Beratungsunternehmens Oliver Wyman.
Darin stellen die Autoren zwar ebenfalls fest, dass die Schweizer Banken die Herausforderungen von Corona recht gut gemeistert haben. Die Institute hätten einen guten Job bei der Sicherstellung des Betriebes gemacht, die digitalen Kundenangebote rasch und intensiv ausgebaut und auf die rapide gestiegenen Cyber- und Conduct-Risiken reagiert. Auch ertragsmässig seien die Banken im ersten Halbjahr 2020 nicht abgefallen.
Ins Mark getroffen
Dennoch, so halten die Autoren dramatisch fest, treffe die Corona-Pandemie die Schweizer Inlandbanken ins Mark.
Die Aussage basiert auf einer Kumulation von Faktoren und Entwicklungen. Der Faktor, den Corona direkt beisteuert, sind massiv gestiegene Kreditsrisiken. Oliver Wyman rechnet bis ins Jahr 2022 mit Gesamtrückstellungen von 3 bis 4,6 Milliarden Franken. Der Anteil notleidender Kredite werde im selben Zeitraum von derzeit 0,6 Prozent auf 2,4 oder sogar 3,5 Prozent steigen – abhängig davon, ob es zu einem zweiten Lockdown kommt.
Dieses Kreditrisiko- und Bilanzproblem ist sozusagen das Sahnehäubchen auf den strukturellen Problemen, welche die Schweizer Banken ohnehin plagen: Ein stagnierender Heimmarkt, sinkende Margen im Zins- und Hypothekargeschäft, steigende Konkurrenz durch Challengerbanken, Plattformen und Portale. Oliver Wyman geht davon aus, dass dieser mittelfristige Trend den Inlandbanken 5 bis 15 Prozent ihrer Erträge wegfressen wird.
Sicherung der Profitabilität genügt nicht
Die unmittelbaren operativen Herausforderungen, die sich aufgrund der Corona-Risiken und des strukturellen Ertragsschwunds stellen, sind vielfältig. Mit Kosteneinsparungen zur Sicherung der Profitabilität und bilanziellen Massnahmen ist es nicht getan.
Im Kreditgeschäft muss das Risikomanagement nicht nur auf der Vergabe verstärkt werden. Auch Know-How und Fähigkeiten für die Kredit- und Asset-Recovery bedürfen einer Stärkung. Die Compliance muss weiter verbessert werden, um den Dauerzustand Home Office nicht doch zum Risikoherd werden zu lassen. Nicht zu vergessen sind organisatorische, betriebliche und kommunikative Massnahmen, die notwendig werden, um eine Unternehmenskultur aufrecht zu erhalten.
Dies summiert Oliver Wyman unter notwendigen «Management Actions», damit Banken für die kommenden zwölf bis 18 Monate Bilanzfähigkeit und Profitabilität gewährleisten können.
Transformation beschleunigen
Währenddessen macht der transformative Wandel der gesamten Finanzindustrie keine Pause. Sprich: Ist das Management einer Bank durch diese «Actions» bereits absorbiert, könnten Ressourcen und Kapazitäten fehlen, die richtigen Schalthebel für die nächsten drei bis fünf Jahre umzulegen. Für Oliver Wyman ist klar: Banken müssen jetzt Weichen stellen und die strategische Transformationsagenda beschleunigen.
Im Grundsatz müssen Banken sich konsequent auf die Erwartungen des Kunden ausrichten, immer mit dem Fokus und dem Ziel einer besseren Profitabilität. Da genügt es nicht, aus digitalen Kanälen oder hybriden Geschäftsstellen die Kundenbedürfnisse abzudecken. Profitabler wird eine Bank nur, wenn sie entlang ihrer Wertschöpfungs-Kette «front to back» digitalisiert. Das bedeutet, dass in IT-Strukturen investiert und Kernbanken-Systeme erneuert werden müssen.
Abschreibungsbedarf auf «Legacy»-Systemen
Die Kosten sind oftmals weniger der Hinderungsgrund als der massive Abschreibungsbedarf, der sich dadurch auf den alten «Legacy»-Systemen ergäbe.
Fazit: Die Schweizer Inlandbanken stehen vor einer doppelten Herausforderung. Das Meistern der finanziellen und operativen Folgen der Corona-Pandemie – zusätzlich zur strategischen Notwendigkeit, die strategische Transformation zu beschleunigen.