Das Zürcher Fintech-Unternehmen Additiv zeigt, wie Disruption in der Finanzbranche funktionieren kann. «Banking aus der Steckdose» ist auch ein logischer Schritt.
Wie finews.ch am Montag berichtete, geht das Zürcher Fintech Additiv mit Orange Business Services, dem IT-Dienstleistungs-Arm des französischen Telekom-Konzerns eine Zusammenarbeit ein. Dies mit dem Ziel, Banking aus der Cloud anzubieten. Orange stellt dafür zunächst weltweit elf Datenzentren zur Verfügung, und Additiv liefert die Wealth-Management-Software.
«Wir nennen unser Angebot ‚Digital Finance as a Service‘», erklärt Additiv-CEO Michael Stemmle (Bild unten) gegenüber finews.ch. «Der Kunde erhält quasi per Knopfdruck umfassende Wealth-Management-Dienstleistungen, welche die ganze Wertschöpfung abdecken und in der jeweiligen Jurisdiktion compliant sind.»
Modulares Banking aus der Cloud
Es ist die Vision, «Banking aus der Steckdose», die Stemmle zusammen mit Orange verfolgt. Anstatt, dass Finanzinstitute ihr Datenmanagement an einen Cloud-Anbieter wie Orange auslagern, beziehen sie modulare Bank-Dienstleistungen aus der Cloud.
Zielgruppe sind laut Stemmle Wealth Manager und Privatbanken, «die ihre Services mit einem Robo-Advisor ergänzen oder auch ihre gesamte IT im Zuge des Digitalisierungsdrucks erneuern müssen.»
Ein dynamischer Markt
Additiv, ein zwar etabliertes und doch relativ überschaubares Fintech-Unternehmen mit Sitz in Zürich, tätigt somit einen aus mehrfacher Sicht radikalen Schritt. Mit der geplanten Dienstleistung drängt das 1998 von Stemmle mitgegründete Unternehmen in einen dynamischen Markt, in dem einerseits Banken selber grosse und mit hohem finanziellen Einsatz verbundene Digitalisierungsanstrengungen unternehmen.
Andererseits tummeln sich darin bereits Hunderte von Robo-Advisor- und anderen Fintech-Anbietern mit ihren Banking-Produkten und -Dienstleistungen. Darunter ist auch Additiv, deren Digital Finance Suite schon bei Banken unter anderem in der Schweiz, Deutschland, Grossbritannien, Singapur, Indonesien und Malaysia erprobt ist.
Banking per Abonnement
Radikal ist darum die Änderung des eigenen Geschäftsmodells vom Produkte- und Lizenzanbieter zum Anbieter von «Software-as-a-Service» – oder eben «Digital Finance as a Service». Banking per Knopfdruck, wie es Stemmle verspricht, wird im Abonnement abgerechnet. Der Kunde kann aus einer Palette von Banking-Modulen wählen und bezahlt dafür eine monatliche Gebühr.
Auch zur Überbrückung dieser Geschäftstransformation und zum Aufbau der Orange-Kooperation hat Additiv vor gut einem Jahr eine Kapitalerhöhung durchgeführt und den Schwyzer Financier Martin Ebner als Investor an Bord geholt.
Aggressives Pricing
Radikal besser und radikal günstiger muss das Additiv-Angebot sein, um Banken als Cloud-Kunden gewinnen zu können. Im Gespräch lässt Stemmle durchblicken, dass das Additiv-Pricing auf Skaleneffekte baut und beispielsweise die monatlichen Kosten einer Bank, ihren eigenen Robo-Advisor zu betreiben, unterbietet.
«Unsere bisherigen Erfahrungen im Kundenkontakt zeigen, dass der Markt für eine solche Dienstleistung absolut bereit ist», sagt Stemmle.
Profitieren vom agilen Fintech
Dank den globalen Datenzentren von Orange kann Additiv die Banking-Lösungen in praktisch allen Jurisdiktionen compliant anbieten. Ein nicht unwichtiger Faktor, um Kunden zu überzeugen. Zudem ist Orange punkto Technologie und Sicherheit einer der führenden Cloud-Anbieter weltweit und ein etablierter Finanzdienstleister.
Martin Kull (Bild unten), Chef Orange Business Centers in der Schweiz, erklärt den Gewinn einer Kooperation mit dem Fintech-KMU Additiv für den globalen Milliardenkonzern Orange so: «Wir können uns als globaler Service Provider durch den verstärkten Eintritt in die Finanzindustrie von Mitbewerbern differenzieren.»
Zudem stecke die gesamte Finanzbranche in einer Transformation. «Wir können von einem agilen Fintech viel lernen», so Kull.
Geschulte Vertriebsspezialisten
Orange will die zunächst elf Datenzentren für Additiv rasch aufbauen und auch den Vertrieb der Dienstleistung übernehmen. Dies werde sicherlich zu einer Herausforderung, ist Kull realistisch.
Orange Business Services verfüge bereits weltweit über gute Beziehungen zu Banken. Doch der Schritt ins Wealth Management ist absolut neu. «Wir werden ein Team von Spezialisten zusammenstellen, die Additiv schulen wird», sagt Kull.
Über 100 Kunden pro Datenzentrum
Im Gespräch mit finews.ch lassen Stemmle und Kull durchblicken, dass es bei den elf Rechenzentren nicht bleiben soll. Die Pläne klingen zwar äusserst ambitioniert. Doch liesse sich angesichts der globalen Entwicklungen im Banking, im IT-Dienstleistungsbereich und des steigenden Digitalisierungsdrucks durchaus sagen: Das Angebot von Additiv und Orange hat etwas Bestechendes.
Das Aufnahmepotenzial von möglichen Kunden ist jedenfalls erklecklich: Ein Orange-Datenzentren könnte theoretisch über 100 Finanzinstitute als «Digital Finance»-Kunden aufnehmen.
Additiv steht damit wahrlich vor einem globalen Quantensprung – den es zu bewältigen gilt. «Die Herausforderung für Additiv wird sein, den absehbaren Wachstumsschub zu meistern. Darauf bereiten wir uns seit über einem Jahr intensiv vor», sagt CEO Stemmle.