Das klassische Kreditgeschäft der Banken gerät unter Druck. Digitale Disruptoren erorbern den Markt. Was ist davon zu halten?
Das Kreditgeschäft, einstmals eine Paradedisziplin im Schweizer Bankwesen, existiert zwar weiterhin. Aber seit die Digitalisierung auch in der Finanzbranche unaufhaltsam voranschreitet, sorgen neue Anbieter für Furore. Damit hat sich am Montagabend der «Finance Circle» befasst, eine Veranstaltungsreihe der Zürcher School of Management and Law (ZHAW) und des Zürcher Bankenverbands (ZBV).
Trotz des hochsommerlichen Wetters nahmen 400 Bankangestellte an der Informations- und Lehrveranstaltung teil, was das Interesse an diesem Thema unterstreicht. Die Entwicklung im Kreditgeschäft ist insofern spannend, als sich dabei vor allem zwei Fragen stellen:
- Wie kommen Angebot und Nachfrage künftig zusammen respektive wie viel Beratung braucht es dabei noch?
- Wie weit kommt dabei die Bilanz einer Bank noch zum Einsatz?
Die Alternative zum klassischen Kreditgeschäft sind Online-Plattformen, wo Anbieter und Nachfrager (die «Crowd») zusammenkommen. Allein in den vergangenen zwei Jahren haben solche digitalen Marktplätze weltweit einen enormen Auftrieb erlebt. Führend ist auf diesem Gebiet China, wo allein das Crowdfunding-Volumen jährlich schon mehr als 100 Milliarden Franken ausmacht.
Unterschiedliches Wachstum
In der Schweiz waren es 2016 rund 128,2 Millionen Franken (+362 Prozent gegenüber dem Vorjahr), womit unser Land international gesehen im Mittelfeld liegt. Allerdings ist dieser Betrag nach wie vor bescheiden, verglichen mit dem gesamten Volumen an Inlandkrediten von Schweizer Banken, das derzeit 1'109 Milliarden Franken ausmacht, aber nur noch wenig wächst – 2016 waren es 0,012 Prozent.
Doch die unterschiedlichen Wachstumsquoten (+362 Prozent gegenüber 0,012 Prozent) signalisieren klar, wohin sich der Markt bewegt. Dies bestätigte Stefan Mühlemann, der Gründer und CEO von Loanboox, einem Unternehmen, das erst vor neun Monaten an den Start gegangen ist und eine Geld- und Kapitalmarkt-Plattform für Kantone, Gemeinden sowie institutionelle Kapitalgeber und Banken betreibt.
Schnell, transparent, günstig und sicher
In der kurzen Zeit konnte Loanboox bereits ein Finanzierungsvolumen von 3 Milliarden Franken generieren – zumeist Beträge im zweistelligen und – eher selten – im dreistelligen Millionenbereich, die von rund 100 Kapitalgebern kamen, darunter 29 Banken, ansonsten Pensionskassen und andere institutionelle Anleger.
Für Mühlemann gibt es vier Gründe, weshalb Crowdlending-Plattformen eine Zukunft haben. Sie funktionieren, erstens, schneller als eine herkömmliche Kreditbeschaffung. Die Angebote sind, zweitens, auf der Plattform miteinander vergleichbar, also transparent. Drittens sind solche Kredite zumeist günstiger, und, viertens, sind sie sicher, zumal Loanboox die Anforderungen der Finma an die Daten-Software erfüllt und die Daten selber in einem Schweizer Datencenter gespeichert sind.
Sicher in der Schweiz
Mühlemann verriet auch, dass sein Unternehmen unmittelbar vor einer Expansion nach Deutschland stehe, wo es die potenziellen Kunden durchaus geschätzt hätten, dass die entsprechenden Daten in der Schweiz und nicht in Deutschland gespeichert würden.
Grundsätzlich versteht man sich bei Loanboox nicht als direkte Konkurrenz zu Banken, sondern ist in einer Nische tätig, die von vielen grossen Finanzinstituten schlicht nicht ausgenützt wird, wie Mühlemann weiter ausführte.
Mehr als 1'500 Projekte finanziert
Ähnlich sieht dies Michael Borter, Mitgründer und CEO des Online-Kreditvermittlers Cashare, ein Zuger Unternehmen, das man kaum mehr als Startup bezeichnen kann, existiert es doch bereits seit 2008. Es bietet einen Kreditmarktplatz (P2P) in der Schweiz an, der Private, kleine und mittlere Unternehmen KMU) sowie Anlagemöglichkeiten für Investoren zusammenbringt.
Seit der Gründung wurden über die Plattform mehr als 1'500 Projekte mit rund 300 Millionen Franken finanziert. Solche Kredite eignen sich offenbar zunehmend auch für Privatinvestoren, die angesichts der tiefen Zinsen nach alternativen Anlagen Ausschau halten, wie Borter betonte. Der nominale Zinssatz liegt im Durchschnitt bei 7,1 Prozent, die Ausfallquote beträgt rund 1 Prozent.
Pilotprojekt mit ABN Amro
Borter erklärte weiter, dass Cashare 80 bis 90 Prozent aller eingehenden Kreditgesuche aus Risikoüberlegungen abschlägig behandle. Im Durchschnitt würden die Kredite in einer Bandbreite zwischen 80'000 Franken und 500'000 Franken liegen. Als nächstes plant das Unternehmen einen «Pilot» für Kredite über die holländischen Bank ABN Amro.
Trotz des enormen Elans und der beachtlichen Wachstumsperspektiven steckt das Peer-to-Peer-Lending, das gut zwei Dutzend meist junge Unternehmen hierzulande anbieten, noch in den Kinderschuhen. Das veranschaulichte Steven Himmelsbach, Leiter der Firmenkunden in der Region Zürich bei der Credit Suisse (CS), allein mit der Feststellung, dass das Kreditbuch der CS rund 60 Milliarden Franken betrage.
Am Puls der Szene
Für komplexe Finanzierungen und Beratungen werde es auch in Zukunft eine persönliche Betreuung brauchen, betonte Himmelsbach. Er wies aber auch darauf hin, dass die CS über Partnerschaften (etwa mit Axion oder Venturelab) und weiteren Kooperationen durchaus am Puls der Fintech-Szene sei, und dass es für die Finanzierung von Startups eindeutig andere Modelle brauche als den klassischen Firmenkredit.
Dem pflichtete Loanboox-Gründer Mühlemann bei, der die oft kolportierte Annahme, wonach Fintech-Firmen schon in wenigen Jahren die Banken verdrängen würden, relativierte. Er sieht eher ein Miteinander von Banken und Fintechs, um den Bedürfnissen der jeweiligen (Firmen-)Klientel zu entsprechen.
Grosse Herausforderungen
Tatsache bleibt auch, dass es einer grösseren Bank jederzeit möglich ist, ein vielversprechendes Fintech zu übernehmen, sollte es ein Geschäftsmodell betreiben, das in der Angebotspalette eines klassischen Finanzinstituts fehlt.
Auch im Crowdlending-Bereich darf die in der Fintech-Branche übliche Euphorie nicht darüber hinwegtäuschen, dass es noch einige Herausforderungen für diese junge «Industrie» gibt, wie Roland Hofmann, Dozent an der ZHAW, feststellte.
Unbekannte Marktreaktionen
Für die Rentabilisierung eines Geschäftsmodells brauche es hohe Volumen, was die Schweiz mit ihrem kleinen Marktpotenzial nicht unbedingt biete. Ausserdem erschwere die «nationale» Regulierung alle grenzüberschreitenden Aktivitäten, betonte Hofmann weiter. Unklar sei zudem, wie der Grundauftrag «Regulierung» technologieneutral bewerkstelligt werden könne, und ob Besteuerungsfragen im Zusammenhang mit Peer-to-peer-Modellen möglicherweise eine Achillesferse darstellten.
Last but not least habe die Fintech-Branche in den vergangenen Jahren von einem Tief- oder gar Negativzins-Umfeld profitiert, so dass Marktreaktionen bei einem allfälligen Zinsanstieg völlig unbekannt und unberechenbar seien. Vor diesem Hintergrund hätten sich die meisten Plattformen und Anbieter in «Problemfällen» bisher noch nie bewähren können, sagte Hofman.