In einer Serie unterhalten sich Christian Katz, CEO der SIX Swiss Exchange, und Claude Baumann von finews.ch über brisante Themen aus der Finanzwelt.
Herr Katz, die Börsenkurse tauchen wieder einmal massiv. Als Reaktion darauf haben Spanien und Italien seit dieser Woche die Leerverkäufe an der Börse verboten. Nützt eine solche Massnahme etwas?
Nein. Es ist ein Irrglaube, dass man mit solchen Verboten eine negative Kurstendenz aufhalten kann. Im Gegenteil, es gibt viel wissenschaftliche Evidenz, dass solche Massnahmen zum weiteren Abwärtstrend beitragen.
Warum führen die Behörden dann trotzdem solche Verbote ein?
Der Markt sendet immer wichtige Signale durch die Preise, die am Markt gemacht werden. Oder anders formuliert: Sinkende Kurse signalisieren eben auch sich verschlechternde Erwartungen.
«Wir sind mit einer Vertrauenskrise konfrontiert»
Aktuell befürchten ausländische Anleger, dass Spanien schlechter dastehen könnte, als bislang kommuniziert wurde, das heisst dass selbst Spanien möglicherweise unter den EU-Rettungsschirm müsste. Mit einer öffentlichkeitswirksamen Aktion zur Eindämmung fallender Kurse wollen die Behörden dem Paroli bieten.
Ist dies nicht ein Spiel mit dem Feuer?
Inzwischen sind wir nicht nur mit einer realen Wirtschaftskrise konfrontiert, sondern vor allem auch noch mit einer Vertrauenskrise – darum reagieren die Kurse so stark. Das Verbot von nota bene gedeckten Leerverkäufen ist eine der noch wenigen verbleibenden Massnahmen, um zu versuchen, diese negative Stimmung an den Finanzmärkten zu dämpfen.
Ist ein solches Verbot auch in der Schweiz denkbar?
Denkbar schon. Bereits im Herbst 2008, als einige US-Investmentbanken in eixtenzielle Schwierigkeiten gerieten und die Märkte einbrachen, wurden ungedeckte Leerverkäufe an unserer Londoner Tochtergesellschaft Virt-X und an der damaligen SWX verboten. Heute gilt, dass ungedeckte Leerverkäufe in allen Wertpapieren «intraday» erlaubt sind, jedoch bei Handelsschluss die Leerverkäufe gedeckt sein müssen. .
Braucht es überhaupt Leerverkäufe an der Börse?
Ja, absolut, weil sie ein ganz wichtiger Faktor für die Preisfindung an den öffentlichen Märkten sind. Im Finanz-ABC ist es von der berühmten Call-Put-Parität her klar, dass ein Call und ein Put, eine Long- und eine Short- Position quasi dasselbe sind und ineinander überführt werden können.
«Ohne Leerverkäufe fehlt ein Element des freien Marktes»
In der Praxis bedeutet dies, dass Short gehen nicht einfach nur leer verkaufen ist, sondern dies meistens die Kehrseite eines Long-Geschäfts im selben Wertpapier oder einem verwandten Wertpapier ist. Ohne Leerverkäufe fehlt ein Element des freien Marktes.
Bei fallenden Kursen bietet traditionellerweise Gold einen «sicheren Hafen». Wie wirkt sich dieser Trend an der Schweizer Börse aus?
Im europäischen Kontext bietet die SIX Swiss Exhange eine einmalige Palette an Goldprodukten. Wir haben zahlreiche ETFs auf Gold, ETPs auf Gold, Strukturierte Produkte mit Gold und last but not least ist Gold bei uns auch eine Handelswährung.
«Der Dollar legte gegenüber allen wichtigen Währungen zu»
Wir haben zweifelsohne die international attraktivste Palette in diesem Bereich. Seit einigen Jahren verzeichnen wir eine anhaltende Volumenzunahme in diesen Produkten. Allein im 1. Halbjahr 2012 ist der Umsatz mit Gold-ETFs und -ETPs gegenüber dem Vorjahr um ein Drittel gestiegen. Im Juni und Juli ist der Umsatz mit Gold-Produkten aber nicht übermässig angestiegen.
Ist das nicht erstaunlich?
Nicht unbedingt. Seit Anfang Juni 2012, als der «Grexit» zum Tagesgespräch avancierte, legte der Schweizer Aktienmarkt gemessen am SMI um gut 7 Prozent zu; der Goldpreis in Dollar blieb in diesem Zeitraum mehr oder weniger unverändert. Gleichzeitig legte der Dollar gegenüber allen wichtigen Währungen zu.
«Die Dollar-Hausse hat den Goldpreis geämpft»
Zum Schweizer Franken nähern wir uns nun sogar der Parität – letztmals flirtete der Greenback im Dezember 2010 mit der Ein-Franken-Grenze. Kurzum: Die Dollar-Hausse hat den Goldpreis in jüngster Zeit eindeutig gedämpft.
Was lässt sich daraus ableiten?
Die Anleger flüchten nicht mehr ins Gold, sondern in die wichtigste Reservewährung der Welt. Das lässt auf ein Umdenken bei den Investoren schliessen: Aus einer akuten Risikoaversion heraus bevorzugen sie kurzfristig den Dollar, anstatt langfristig auf Gold als «sicheren Hafen» zu setzen.
Geht damit die in den letzten zehn Jahren viel zitierte Goldhausse zu Ende?
Dazu habe ich zwei Antworten: Fundamental befinden wir uns weiterhin in einer Zeit, in der Realwerte, zu denen Gold gehört, attraktiv sind, und zwar solange die Notenbanken die Geldmenge massiv ausweiten. Vom Timing her gesehen hat sich der Goldpreis aber in den letzten fünf Jahren auf Schweizer-Franken-Basis schon verdoppelt.
«Jeder Investor muss selbst optimieren»
Der Markt hat also schon vieles vorweggenommen. Den eigenen Zeithorizont und den entprechenden Timing-Entscheid muss jede Investorin und jeder Investor selbst optimieren.
Christian Katz leitet innerhalb der SIX Gruppe den Geschäftsbereich Swiss Exchange. Dieser betreibt die Schweizer Börse SIX Swiss Exchange sowie das Joint-Venture Scoach, die europaweit erste spezialisierte Börsenorganisation für strukturierte Produkte. Zudem verantwortet er den europäisch führenden Indexanbieter STOXX, sowie die Swiss Fund Data.
Vor seinem Eintritt Anfang 2009 führte der 44-jährige Christian Katz das Representative Office von Goldman Sachs in der Schweiz, wo er sich auf das institutionelle Aktien- und Aktienderivatgeschäft fokussierte. Zuvor war er acht Jahre für J.P. Morgan Chase tätig.