Der Wirtschaftsprotektionismus seit dem Krisenbeginn vor fünf Jahren grassiert wie nie in den letzten Jahrzehnten, schreibt Martin Hess von der Bankiervereinigung.
Von Martin Hess, Leiter Wirtschaftspolitik, Schweizerische Bankiervereinigung
«Der Handel blühe und gedeihe». So zitierte die «Neue Zürcher Zeitung» letzte Woche unter dem Titel «Prosperierender Welthandel» die jüngste Handelsstudie des World Economic Forum (WEF). Diese positive Aussage täuscht stark darüber hinweg, dass der Wirtschaftsprotektionismus seit dem Krisenbeginn vor fünf Jahren grassiert wie nie in den letzten Jahrzehnten.
Die WEF-Studie weist nämlich aus, dass sich der Marktzugang für Handelsgüter und Dienstleistungen in den meisten Ländern seit der letzten Erhebung vor zwei Jahren verschlechtert hat. Erst im April hat das International Chamber of Commerce in ihrer Studie zur Handelsfinanzierung aufgezeigt, dass in den letzten drei Jahren 916 protektionistische Massnahmen für Handelsgüter in 110 Ländern neu eingeführt wurden.
Ein Ende dieser schädlichen Praxis, die kurzfristig vermeintlichen Schutz bietet, langfristig aber die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes mindert, ist nicht absehbar.
Leider haben Abschottungsmassnahmen auch die Finanzmärkte erfasst. Besonders in Europa muss die immer engere Bindung von Banken an zunehmend protektionistischere Staaten mit Sorge betrachtet werden. Die Finanztransaktionssteuer, das finanzmarktspezifische Pendant zu tarifären Handelshemmnissen, wird vom französischen Präsidenten Hollande wiederbelebt. Vive la démondialisation!
Bei den nichttarifären Hemmnissen stecken namentlich hinter der Abkürzung MiFID II einschneidende protektionistische Auflagen. Unter dem Vorwand des Konsumentenschutzes sollen Finanzdienstleistungen aus Drittländern wie der Schweiz nur über Zweigniederlassungen in einem EU-Land erbracht werden können. Voraussetzung für solche Niederlassungen sind aufwändige und politisierte Tests zur Feststellung der Gleichwertigkeit mit den EU-Bestimmungen.
Nicht zu übersehen ist auch die Tatsache, dass sich Marktteilnehmer gleich selbst ent-europäisieren. In grossem Stil haben Finanzinstitute vor dem Hintergrund der Krise ihre Risiken gegenüber Europa substanziell reduziert. Banken misstrauen sich gegenseitig und regulatorische Brandmauern tun das Ihrige.
In der Schweiz als kleine, offene Volkswirtschaft hängt die Entwicklung des Wohlstands mehr in anderen Ländern von offenen Grenzen ab. Protektionistische Tendenzen im Ausland sowohl im Handel wie auch bei den Dienstleistungen treffen uns deshalb auch mehr als andere Länder, und sind als wirtschaftspolitische Massnahme vehement abzulehnen.
Ich hoffe, dass sich die Krise nicht derart verschärfen wird, dass auch dem Bundesrat nichts anderes übrig bleibt, als protektionistische Massnahmen (zum Beispiel Kapitalverkehrskontrollen) einzuführen.