Die rasante Entwicklung des Sprachroboters ChatGPT führt der Finanzbranche das Potenzial von Künstlicher Intelligenz vor Augen. Wie Recherchen von finews.ch zeigen, bietet sich gerade für kleine Anbieter ein Fenster für grosse Sprünge.
Selbst Sergio Ermotti nimmt dieser Tage das K-Wort in den Mund. An einem Branchentreffen von vergangener Woche referierte der CEO der UBS, der eigentlich voll mit der Integration der Credit Suisse absorbiert ist, auch zum Potenzial von Künstlicher Intelligenz (KI).
Allerdings blieb der Chef des bald 5-Billionen-Dollar-schweren Vermögensverwaltung-Giganten dabei recht vage. Man setze die Technologie ein, um eine bessere Service-Qualität für die Kunden zu liefern, erklärte der 62-jährige Grossbanker.
Deutlicher wird da Reto Ringger, seines Zeichens Chef der auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Schweizer Vermögensverwaltungsbank Globalance. «KI wird disruptiv für unsere Branche werden», zeigt sich Ringger im Gespräch mit finews.ch überzeugt. Schon heute seien so genannte Plugins zu ChatGPT in der Lage, innert Sekunden individuelle Anlage-Portefeuilles aufzustellen. «Diese Technologie wird sich rasch verbessern, und wer will dann noch seiner Bank 100 Basispunkte für denselben Dienst zahlen?», fragt sich der Bankmanager.
Globana ist erst der Anfang
Entsprechend will er nicht abwarten, bis die Kunden darauf ihre eigene Antwort gefunden haben. CEO Ringger hat bereits bankintern die Losung ausgegeben, dass sich jede Sparte des Unternehmens mit dem Potenzial der neuen Technologie auseinandersetzen muss.
Mit einer ersten Anwendung hat sich Globalance bereits vorgewagt: Das Institut hat die «KI-Mitarbeiterin Globana» aufgeschaltet, ein Avatar, der in kurzen Videos Auskunft zum Potenzial der Technologie aus Anlegersicht erteilt. Dass dies eher eine Spielerei ist, gibt Ringger unumwunden zu. Er sei aber selber überrascht gewesen, wie schnell und zu welch geringen Kosten Globana «live» gegangen sei. Jetzt denkt er bereits über einen Ausbau nach. So könnte die KI-Mitarbeiterin Kunden künftig gemäss deren individuellen Interessen informieren, hofft der CEO.
Ganz generell sieht der gestandene Banker kleinere Akteure bei KI-Anwendungen im Vorteil. Die Umsetzungsgeschwindigkeit sei viel höher, bei gleichzeitig sinkenden Kosten für diese Technologien, sagt Ringger. Beides hilft, um bei der rasanten Entwicklung der Technologie mitzuhalten.
Zwei Lager
Enthusiasmus hüben, Zurückhaltung drüben: Im Schweizer Finanzwesen gebe es derzeit verschiedene Lager, beobachten Sandro Schmid und Nourdine Abderrahmane, Partner der Technologie-Beratungsfirma LPA. «Es gibt eine Fraktion, die den neuen Möglichkeiten wirklich sehr positiv gegenübersteht: Man sieht Chancen, via KI die Kosten zu reduzieren und das Nutzererlebnis zu verbessern», sagt Abderrahmane. Die generative KI sei auch ein wunderbares Tool, um der Fülle der Daten in der Geldanlage besser Herr zu werden.
Doch natürlich gebe es Skeptiker. Diese betonten, dass das Verhältnis im Private Banking insbesondere auf persönlichen Kundenbeziehungen beruht, berichtet der Berater.
«Wir glauben, dass sich beide Standpunkte nicht ausschliessen. KI ist ideal geeignet, um dem menschlichen Berater zuzuarbeiten. Diesem Hilfsmittel sollte man sich aus Instituts-Sicht nicht voreilig verschliessen», sagt sein Kollege Schmid. Dies umso mehr, als die Thematik auch bei Behörden wie der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) an Bedeutung gewinne. «Diese sind daran interessiert, dass Banken sich der Thematik offen widmen. Für die Schweiz wäre es fatal, die Möglichkeiten nicht zu nutzen», so Schmid.
Es fehlt an Schweizer Daten
Dieser Vorwurf lässt sich Selma Finance, am hiesigen Finanzplatz eine digitale Vermögensverwalterin der ersten Stunde, jedenfalls nicht machen. Vergangenen Juni hat das Fintech vermittels Schwarmfinanzierung rund 1,3 Millionen Franken eingesammelt. Dies auch mit dem Ziel, die digitale Beratung fit für die Ära von ChatGPT zu machen.
Wie Selma-Chef Patrik Schär auf Anfrage erklärt, ist die Jungfirma derzeit daran, Anwendungsfälle für die Technologie zu testen. So könnte KI beispielsweise ermitteln, wie sich die private Vorsorge in der Säule 3a mit anderen Anlagezielen kombinieren lassen. In der digitalen Finanzberatung sei KI generell ein «riesiges Thema», weiss Schär.
Doch es gilt auch, Hürden zu nehmen. So fehle es etwa an zugänglichen Daten zum Vorsorgewesen in der Schweiz, von denen eine smarte Maschine lernen könnte. Und eine KI-Anwendung selber und ohne bestehende Plugins zu bauen, sei aufwändig, erklärt der Fintech-Unternehmer.
Fertig mit «One size fits all»
Die ersten Anwendungen von KI werde es im Banking nicht in der Vermögensverwaltung geben, sondern im Bereich der Compliance, erwarten die beiden LPA-Partner Schmid und Abderrahmane. Hier seien entsprechende Tools schon heute im Einsatz, etwa bei der Geldwäscherei-Bekämpfung und KYC-Anwendungen. Auch der Riskmanagement-Bereich sei eine wichtige Spielwiese für die Technologie, sowie die Prozessautomatisierung.
Bessere Prozesse kämen auch dem Kunden zugute, finden die Berater. Zudem würden die Algorithmen helfen, gezieltere Ansprachen zu tätigen. Das steigere die Bindung zwischen Kunden und Institut – die Banken könnten sich dank KI vom «One size fits all»-Ansatz verabschieden.
Bei der Geldanlage schliesslich sehen Abderrahmane und Schmid grosse Chancen in der Portfolio-Optimierung. «Die Modelle werden immer besser, und gleichzeitig kann schlicht eine viel grössere Anzahl an Daten zugänglich gemacht werden und für den Berater sinnvoll nutzbar aufbereitet werden», erwarten sie.
Nächtlicher Risiko-Check
Sinnigerweise sind bei der Marktführerin UBS solche Ansätze schon seit Jahren in Anwendung, ohne dass die Grossbank gross mit KI-Fähigkeiten trommeln würde. Zu denken ist etwa an «UBS Advice», ein im Mandatbereich eingesetztes Instrument, das jede Nacht die Anlageportefeuilles auf Risiken überprüft und den Kundinnen und Kunden danach Vorschläge macht.
Jünger ist der Ansatz «Next Best Action», welcher bei der UBS Schweiz seit 2021 in Betrieb ist: Damit wird das Kundenverhalten analysiert und in Empfehlungen ungemünzt, die dann wiederum die Bankberater zur Kundschaft tragen. Dem Vernehmen nach handelt es sich aber um ein relativ einfaches Modell, bei der nur am Rande maschinelles Lernen zum Einsatz kommt.
Effizienz im Blick
Nicht von ungefähr führt die Grossbank ihre Bemühungen in diesem Gebiet unter der Rubrik «KI und Automatisierung»: Wenn überhaupt in smarte Maschinen investiert wird, dann mit dem Ziel, Prozesse für Kunden und Mitarbeitende effizienter zu gestalten und grossen Datenmengen nutzbar zu machen.
Wird bedacht, dass die kombinierte UBS bis 2027 rund 8 Milliarden Dollar einsparen muss, bei erwarteten Integrationskosten von bis zu 10 Milliarden Dollar, dann liegt auf der Hand, dass der Spielraum für KI-Experimente eher begrenzt sein dürfte.