Nach dem Entscheid der Briten zum Austritt aus der EU beben die Börsen – und die Finanzexperten ringen um Antworten. finews.ch hat die prägnantesten Einschätzungen zusammengetragen.

Vom «Franc Zapper» – in Anspielung auf den Rockmusiker Frank Zappa – sprach die britische «Financial Times» im September 2011, als die Schweizerische Nationalbank die Mindestgrenze zum Euro einführte.

Knapp ein halbes Jahrzehnt später ist mit Blick auf das Pfund nun vom «Pound Zapper» zu sprechen. Nach dem «Brexit», dem Austritt Grossbritanniens aus der EU, und dem angekündigten Rücktritt von Premierminister David Cameron fiel die britische Landeswährung zum Franken am Freitag um zweitweilig mehr als 6 Prozent, gegenüber dem Dollar gar um 11 Prozent.

Den roten Faden suchen

Noch heftiger erwischte es allerdings die Schweizer Finanzwerte, allen voran die Grossbanken. Die Aktien der Credit Suisse (CS) verloren im Handel kurzzeitig mehr 11,5 Prozent an Wert, die UBS-Titel mehr als 10 Prozent.

Angesichts der Verwerfungen hat die Stunde der Finanzexperten geschlagen. Sie sind nun gefordert, den roten Faden zu finden, an dem sich die Investoren und Bankkunden aus Labyrinth der Marktverwerfungen hinaustasten können. Das sind die prägnantesten Stimmen – angefangen mit den nun so wüst gebeutelten Schweizer Grossbanken.

UBS, Dominik Studer, CIO Office

«Der Austritt Grossbritanniens könnte gefährliche Zentrifugal-Kräfte in der EU in Gang setzen – insbesondere wenn diese Austrittsdiskussionen in einem Kernland der Eurozone geführt werden. Dies könnte das immer noch verletzliche Banksystem der Eurozone wieder unter Druck setzen.»

Credit Suisse, Michael Strobaek, CIO

«Anleger und Pensionskassen werden sich mit noch niedrigeren Renditen konfrontiert sehen. Schweizer Immobilien dürften profitieren. Bei Aktien dürften sich defensive Sektoren wie Basiskonsumgüter und Pharmazeutika als robust erweisen, wohingegen Banktitel unter Druck geraten.»

IG Bank, Andreas Ruhlmann, Marktanalyst

«Die EU wird es Grossbritannien in den Austrittsverhandlungen wahrscheinlich nicht einfach machen, um andere Austrittswillige zu entmutigen. Das heisst, dass sowohl Unsicherheit als auch Volatilität zumindest in den kommenden Monaten hoch bleiben wird.»

Aquila, Giovanni Miccoli, Chefökom

«Wir erwarten, dass die US-Notenbank ihren Zinsentscheid auf nach den Sommerferien verschieben wird, um die fragile US-Wirtschaft nicht zu gefährden. Die Schweizerische Nationalbank wird sich vor einer weiteren Reduktion der Negativzinsen vorerst noch hüten. Wir kaufen zur Zeit selektiv Titel in der Schweiz und vor allem in Europa. Wir bevorzugen Pharma und Consumer Staples, die über vier bis fünf Prozent korrigiert haben.»

M1, Konrad Hummler, Inhaber

«Den ehemaligen Wegelin-Banker und heutigen Leiter des Thinktanks M1 interessiert vor allem die politische Botschaft des britischen Plebiszits an die Schweiz. Für ihn ist klar, das der Bundesart nun einen «Plan B» aus der Schublade ziehen kann: Diese müsste sich «irgendwo zwischen EFTA und EWR bewegen, das heisst Freihandel als oberste Maxime bezwecken und gemeinsam gepflegte politische Macht als akzessorisches Mittel zum Zweck akzeptieren.»

Bank of Singapore, Richard Jerram, Chefökonom

«Was positiv ist: Der Brexit sendet eine starke Botschaft an die Institutionen der EU, was Reformen anstossen könne. Allerdings werden diese viel langsamer vonstatten gehen als das weitere Aufkommen nationalistischer Tendenzen in einigen EU-Ländern.»

Mizuho Bank, Vishnu Varathan, Ökonom

«Die Hölle ist losgebrochen. Zu raten ist nur: Yen, US-Staatsanleihen und Gold kaufen – und stillhalten.»

Morgan Stanley, Hans Redeker, Stratege

«Wir denken, dass die europäischen Aktienmärkte bis zu 15 Prozent nachgeben könnten.»

Nordea, Anders Schelde, CIO Pensions

«In unserem Brexit-Szenario gibt es sehr wohl auch Kaufgelegenheiten. Wir beobachten heute Freitag die Märkte und schauen dann, was geschieht.»

Neue Helvetische Bank

«Wir denken, dass es in dieser Situation Opportunitäten geben wird, Qualitätsaktien zu vorteilhaften Preisen zu kaufen. Wir sehen insbesondere nicht, warum global ausgerichtete Weltkonzerne unter diesem Entscheid nachhaltig leiden sollten.»

Oldenburgische Landesbank, Patrick Tessmann, Vorstandsvorsitzender

«Wir haben diese Entscheidung unaufgeregt zur Kenntnis genommen. Wir sind auf alle Szenarien eingestellt. Es kommt jetzt darauf an, dass die Politik in der EU und in Grossbritannien die durch den Brexit entstehenden Risse in den Handels- und Finanzbeziehungen bestmöglich wieder schliesst.»

Bank of England, Mark Carney, Governor

«Diese Widerstandsfähigkeit (des Finanzsystems) ist durch die Liquidität der Bank of England in Sterling und Auslandswährungen gestützt (rund 250 Milliarden Pfund). Sämtliche dieser Mittel werden bei kurzfristischen Schwankungen das Funktionieren der Märkte sicherstellen.»

Schweizerische Nationalbank

«Der Franken ist im Zuge des Brexit unter Aufwertungsdruck geraten. Mit Interventionen auf dem Devisenmarkt hat die Schweizerische Nationalbank stabilisierend eingegriffen und bleibt am Markt aktiv.»