Wer glaubt, bald setze die wirtschaftliche Erholung ein, der träumt. Der Ökonom Walter Wittmann malt ein düsteres Bild der nächsten Zeit.

Walter Wittmann ist emeritierter Professor der Universität Freiburg. Der Finanz-Wissenschaftler wurde breiter bekannt durch wirtschaftspolitische Schriften. Zuletzt machte er von sich reden, weil er in mehreren Schriften vor der jetzigen Krise warnte – etwa im Buch «Der nächste Crash kommt bestimmt», erschienen im Juni 2007. Nun erschien sein neues Buch: «Finanzkrisen. Woher sie kommen, wohin sie führen, wie sie zu vermeiden sind» (Verlag Orell Füssli).

Herr Wittmann, als ärgste Bedrohung der Wirtschaft erachten Sie eine Dollarkrise, im neuen Buch schreiben Sie: «Der Kollaps der globalen Finanzsysteme wäre dann nicht mehr abwendbar.» Doch wie gross ist die Gefahr einer ernsthaften Dollarkrise?
Momentan ist sie nicht akut, die Chinesen und Japaner haben kein Interesse, ihre Dollar auf den Markt zu werfen. Aber das Problem kommt, wenn sich die Geldmengen in absehbarer Zeit erweitern und dies zu Inflation führt – und wenn die USA immer mehr Geld drucken, was das Vertrauen schwinden lässt.

Die erste Gefahrenstufe heisst also: verschärfte Inflation.
Ja, aber auch das ist noch kein Thema. Die Vorlaufindikatoren deuten keine Inflation an. Das kommt erst später. Ein Problem ist dabei, dass die langfristigen Zinsen anziehen, weil der Staat so viele Anleihen benötigt. Die Sätze der zehnjährigen Treasuries sind ja schon erheblich gestiegen. Doch dieser Trend ist schlecht für den Hypothekarmarkt und für die Gesamtwirtschaft. Es liegen also noch viele Bomben herum. Ich will keine Katastrophen-Stimmung wecken, aber die Euphorie, die momentan um sich greift, ist reines Wunschdenken. Wir haben keine normale Rezession.

Wie sehen Sie da die Zukunft der Bankbranche?
Die Banken müssen noch weiter Schrottpapiere abschreiben, sie benötigen auch noch Geldspritzen, ihre Kapitaldecke muss weiter verstärkt werden. Denn nun nehmen die konjunkturbedingten Ausfälle von Krediten stark zu. Es gibt Hochrechnungen, wonach es etwa 12 bis 13 Milliarden Franken Abschreibungsbedarf für die UBS bedeutet, wenn die Kredite in der Schweiz um 4 Prozent abgeschrieben werden müssen. Dann würde die UBS wieder Geld benötigen. Und die Raiffeisenbanken haben circa 380 Millionen Rückstellungen gebildet – sie bräuchten in diesem Fall aber 4 Milliarden. Das Problem ist also noch überhaupt nicht gelöst.

Und strukturell? Viele erwarten ja, dass beispielsweise eine Credit Suisse am Ende als Gewinnerin dastehen könnte, weil andere Institute jetzt aus dem Markt gedrängt werden.
Klar, wer überlebt, hat am Ende eine bessere Position. Aber die Glanzzeiten der Finanzbranche sind vorbei. Und man kann gar nicht wünschen, dass diese Zeiten wiederkehren: Denn die Grossbanken erwiesen sich als Riesen-Klumpenrisiko für die Schweiz. Sie müssen entflochten werden. Investmentbanking können sie ja trotzdem betreiben – im traditionellen Rahmen. Zum Beispiel, indem sie Firmen an die Börse bringen.

Dies ist ja eine grosse Forderung von Ihnen: keine Firmenübernahmen mehr mit Krediten.
Ja. Vor jedem Crash gab es eine Manie mit Übernahmen, die auf Kredit finanziert wurden. Und was passiert dann jeweils? Ein Teil der Firmen, die da über den Tisch gingen, müssen zu Niedrigstpreisen wieder verkauft werden. Zudem ist nachgewiesen, dass die erdrückende Mehrheit der Firmenübernahmen floppen. Fusionen können die Unternehmen ja trotzdem machen, dafür benötigt man nämlich keine Kredite. Es geht einfach darum, dieses Casino drum herum endlich zu schliessen.

Das heisst aber massive staatliche Eingriffe im Bereich der Firmenübernahmen.
Selbstverständlich. Wir benötigen marktwirtschaftliche Regeln. Wildwest-Wirtschaft ist keine Marktwirtschaft.

Mit der Folge, dass Hedge Funds, Investmentbanken und Private-Equity-Firmen nur noch ein Schatten ihres heutigen Zustands wären.
Natürlich. Sie dürfen schon weitermachen – aber ohne Kredithebel. Wir brauchen doch nicht diesen Leverage, bis alles platzt. Man kann doch nicht ernsthaft vertreten, dass das noch einmal passieren soll.

Wo liegen in der Finanzbranche noch berufliche Wachstumsfelder? Wo haben Banker noch eine Zukunft?
Vielleicht müssen die Leute ihre Zukunft in anderen Branchen suchen. Es ist einfach so: Wir können die Zustände nicht so weiterlaufen lassen. Ich will den Angestellten nichts vorwerfen, es gibt gute Banker, und die Täter sitzen ganz oben. Aber es ist klar, dass redimensioniert werden muss, und folglich müssen Leute ausscheiden.

Wer in einer Bank arbeitet und in die Zukunft denkt: Wo kann er noch langfristig Potential sichten? Immer noch in der Vermögensverwaltung? Im Retailbanking?
Ja, hier gibt es sicher noch eine Zukunft; wer in diesen Bereichen ist, hat in Prinzip nichts zu befürchten. Auch nicht, dass sein Arbeitgeber bankrott geht oder Staatshilfe benötigt. Hätten die Schweizer Banken ihre Stärken gepflegt und hätten sie auf vieles im Investmentbanking verzichtet, so wäre ihnen praktisch nichts passiert.

Doch im Grunde heisst das auch, dass ein kleines Land wie die Schweiz auf Global Player im Banking verzichten muss.
Jedenfalls im Investmentbanking. Die Banken können Niederlassungen im Ausland haben, etwa um die Exportwirtschaft zu begleiten. Aber mehr braucht es wirklich nicht. Per saldo haben die beiden Grossbanken im Investmentbanking nie Geld verdient. Credit Suisse hätte First Boston bleiben lassen können, und was die UBS da verloren hat, schlägt sowieso jedem Fass den Deckel aus.

Insgesamt zeichnen Sie in Ihrem Buch ein sehr pessimistisches Bild: Uns droht eine zehn- bis fünfzehnjährige Phase der Stagnation und Rezession. Was lässt sich dagegen tun?
Ich habe mehrere Szenarien verfolgt. Eines ging davon aus, dass es ab Herbst in den USA konjunkturell besser gehen könnte; mit einer halb- bis ganzjährigen Verzögerung würde die Erholung auch die Schweiz erreichen. Aber rasche Erholungen folgen normalerweise nur nach kurzen und scharfen Rezessionen – und so etwas haben wir derzeit nicht. Ein weiteres Szenario rechnet mit einer Bodenbildung und einer langsamen Erholung. Das ist die Konsensmeinung,


«Jetzt muss es dann eine Börsen-Korrektur geben. Und wenn diese Korrektur einsetzt, läuft sie bis in den Juli hinein.»


vor allem in den USA. Denn die Konsumenten haben einfach nicht mehr die Möglichkeit, so zu konsumieren wie in früheren Zyklen. Sie sind zu hoch verschuldet, und die Immobilienkrise ist noch nicht vorüber. Ein weiteres Szenario schliesslich erklärt sich aus dem Kondratjeff-Zyklus – also aus den ganz langen Wellen. Danach wäre jetzt eine Aufschwungphase zuende gegangen; sie hätte in den USA die Jahre 1982 bis 2007 umfasst. Nach dem klassischen Kondratjeff-Muster gäbe es jetzt nochmals eine Erholung, aber dann kämen 10 bis 15 schwere Jahre.

Wie wahrscheinlich ist dies?
Ich halte das Szenario jedenfalls für möglich. Es hängt davon ab, welche Fortschritte wir bei der Bewältigung der Finanzkrise machen. Meine Hauptvariante ist die, dass wir – wenn sich denn einmal Boden gebildet hat – mit einer längeren Stagnation rechnen müssen.

Das heisst: Der jüngste Aufschwung an den Börsen ist ein Strohfeuer.
Ja. In der Regel hat die Börse zur Realwirtschaft rund ein halbes Jahr Vorlauf. Die Aktienerholung begann im März, also müsste die Wirtschaft ab Herbst schon wieder aufstreben, doch das liegt nicht drin. Man spekuliert momentan einfach auf jede positive Nachricht – es ist Wunschdenken. Der MACD-Index war in der ersten Märzwoche unten, jetzt ist er wieder oben. Laut den technischen Indikatoren muss es nun bald eine Korrektur geben, wenn auch nicht eine Katastrophe. Und falls diese Korrektur jetzt dann einsetzt, läuft sie bis in den Juli hinein.