Skurrile Notierungen an der Börse alarmierten chinesische Zensoren. Handelte es sich dabei um einen unterschwelligen Protest gegen Sprech- und Denkverbote?
Am 4. Juni, dem Jahrestag als Panzer der Volksbefreiungsarmee vor 23 Jahren die Studentenproteste auf dem Tiananmen-Platz niederwalzten, scheuen Chinas staatliche Zensoren jeweils keine Anstrengungen. Die staatlichen Behörden verschweigen Jahr für Jahr, was damals passierte und patrouillieren zu diesem Zweck auch online im Internet.
Im Web waren das Datum «4.6.» und die Zahl «23» gesperrt. Und dann passierte das Ungeheuerliche, wie die «Süddeutsche Zeitung» berichtet: Der Leitindex eröffnete am Montag mit einer verbotenen Zahlenkombination. Der SSE Composite Index eröffnete mit 2346,98 Zählern – den diesjährigen Schlüsselzahlen.
Zensoren tatkräftig am Werk
Doch damit nicht genug: Am Ende des Tages notierte der Index in Shanghai 64,89 Punkte niedriger als am Vortag und zeigte zum zweiten Mal eine «verbotene» Zahlenkombination an.
Steckt hinter der bedeutungsschweren Indexzahl eine besonders geschickte Form des unterschwelligen Protests gegen Sprech- und Denkverbote? Auf chinesischen Internetseiten wie dem Kurznachrichtendienst «Weibo», das ähnlich funktioniert wie Twitter, wurde das Thema sofort heftig diskutiert.
Mit entsprechender Reaktion der staatlichen Zensoren: Sie liessen die Wortkombination «Börse Shanghai» nun auch zensieren und löschten ausserdem unzählige Kommentare.
Irrflugstatistik oder Manipulation?
Ob die Zahlenkombinationen an der Shanghaier Börse letztlich Zufall waren oder die Tat eines gewieften Manipulators, wird wahrscheinlich nie geklärt werden können. Aber selbst wenn es ein Kunstgriff war, so dürfte dies westliche Marktteilnehmer – insbesondere Derivate-Investoren – nur vorbehältlich freuen. Denn es würde bedeuten, dass nicht der Markt über Chinas Aktienkurse entscheidet, sondern dass irgendwelche unbekannten Mächte eingreifen können.
Auf jeden Fall wurde mit diesem Kuriosum die bekannte «Random-Walk-Theorie», die den zeitlichen Verlauf von Marktpreisen als Zufallsprozesse beschreiben soll und aus der Markteffizienz-Theorie abzuleiten ist, arg strapaziert.