Der frühere Schweiz-Chef der Deutschen Bank verantwortet nun die grösste Wachstumsregion des Konzerns. Aber auch in seinem neuen Job spielt die Schweiz eine wichtige Rolle, wie Marco Pagliara im Gespräch mit finews.ch feststellt. Durch das Ende der Credit Suisse würden die Karten neu gemischt.

Seit rund einem Jahr ist Marco Pagliara in Singapur stationiert, von wo er als Head of Emerging Markets für das Private Banking der Deutschen Bank drei weit auseinanderliegende Märkte verantwortet: Asien, den Nahen Osten und Lateinamerika mit insgesamt mehr als 1'300 Mitarbeitenden. Damit zählt der Italiener zu den wichtigsten Führungskräften im Team von Claudio de Sanctis, dem globalen Wealth-Management-Chef der Deutschen Bank.

Pagliaras Wechsel nach Asien kam überraschend. Der frühere McKinsey-Berater hatte zunächst viele Jahre bei Goldman Sachs gearbeitet, bevor er 2019 zur Deutschen Bank stiess, wo er von Zürich aus das Private-Banking-Geschäft für die Märkte Europa, Middle East und Afrika (EMEA) leitete und darüber hinaus noch Schweiz-Chef war.

Überraschende Wechsel

Dabei wäre es geblieben, wenn in Singapur nicht Jin Yee Young zur UBS gewechselt hätte. Die langjährige Private Bankerin der Credit Suisse (CS) war Ende 2023 im Zuge des Niedergangs der Schweizer Grossbank zur Deutschen Bank gestossen, hatte diese aber nach nur sechs Monaten überraschend wieder verlassen, nachdem sie von der UBS eine offenbar sehr attraktive Konkurrenzofferte erhalten hatte. So gelangte Pagliara ebenfalls überraschend nach Asien, wie er im Gespräch mit finews.ch rückblickend feststellt.

Die Umstellung mag enorm sein, Pagliara ist sich indessen bewusst, in seiner Karriere als Banker nun eine Jahrhundertchance erhalten zu haben. Denn in seiner heutigen Funktion verantwortet er für einen Global Player wie die Deutsche Bank die drei wichtigsten Wachstumsmärkte der Welt – Regionen, in denen aufgrund der dort vielen ansässigen Familien und Unternehmern der Bedarf an individualisierten Finanzlösungen und umfassender Vermögensverwaltung besonders gross ist.

Tektonische Verschiebungen

Und vor dem Hintergrund geradezu tektonischer Verschiebungen in der Finanzbranche bieten sich Pagliara einzigartige Möglichkeiten, das Geschäft in der sich rasch wandelnden Welt von morgen weiterzuentwickeln, wie er im Gespräch weiter ausführt.

Dabei wirken mittlerweile zahlreiche Faktoren auf die Entwicklung im Wealth Management ein: Seit den Erfahrungen der Covid-Pandemie und der damit verbundenen Ungewissheit in vielerlei Belangen ist unter der vermögenden Klientel der Wunsch nach Sicherheit – gerade in finanziellen Angelegenheiten – enorm gestiegen, verbunden mit der Bereitschaft, viele Bankgeschäfte mittlerweile digital abzuwickeln.

Grösse zählt

Das führt einerseits zu einer weiteren Verengung der Margen, andererseits aber auch zur Chance, die Kundinnen und Kunden individueller zu betreuen, gerade angesichts der Zinswende an den Finanzmärkten. Dies wiederum schafft Voraussetzungen, um die Dienstleistungs- und Kommissions-Erträge (Share of Wallet) zu steigern.

Wie Pagliara erklärt, erlebt die Finanzwelt derzeit grosse Veränderungen, da nicht mehr alle Banken in der Lage sind, den veränderten Herausforderungen, namentlich in der Regulation, Rechnung zu tragen. In diesem Kontext fokussiert sich die Deutsche Bank darauf, organisch zu wachsen, hat aber in der jüngeren Vergangenheit eine ganze Reihe von ehemaligen Credit-Suisse-Kaderleuten engagiert, namentlich im Nahen Osten und in Asien. Denn Grösse ist in Pagliaras Einzugsgebiet ein zentraler Wettbewerbsfaktor, der auch für andere, global tätige Banken wie die UBS, J.P. Morgan oder auch chinesische Institut im Mittelpunkt steht.

Scharf beobachtete Konflikte

Die geopolitischen Veränderungen insbesondere zwischen China und den USA führen zusätzlich dazu, dass wohlhabende Familien und Institutionen ihre Vermögen auf mehrere Banken verteilen – und US-Institute dabei nicht mehr zwingend erste Wahl sind, wie Pagliara feststellt, sondern sich die Deutsche Bank als valable Option profilieren kann.

Diese Beobachtung gilt nicht nur für Asien, wo die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen China und den USA sehr genau beobachtet werden, sondern auch für den Nahen Osten, besonders seit der Konflikt zwischen Israel und Teilen der arabischen Welt immer weiter eskaliert.

Mehr als 20 Leute von der Credit Suisse geholt

Vor diesem Hintergrund strebt Pagliara engere Geschäftsbeziehungen und vor allem weitere Synergien zwischen Singapur und Dubai an, handelt es sich dabei doch um die zwei derzeit am stärksten prosperierenden Finanzplätze auf der Welt. An beiden Standorten ist die Deutsche Bank mit ihrer gesamten Angebotspalette vertreten, insbesondere auch mit ihrem Investmentbanking, da sehr vermögende Familien ähnliche Finanzbedürfnisse haben wie institutionelle Kundinnen und Kunden.

Im Kampf um Talente hat die Deutsche Bank in Pagliaras Marktregion mehrfach auf sich aufmerksam gemacht. Sie gehört, wie es in der Branche heisst, zu den aggressivsten Abwerbern und konnte dabei einige Spitzenkräfte von der CS für sich gewinnen, namentlich im Nahen Osten rund 20 Leute unter der Ägide des regionalen Chefs Saad Osseiran, wie auch finews.ch berichtete.

Karten neu gemischt

Für Pagliara ist klar, dass mit der Integration der CS in die UBS zwar ein neuer, Mega-Konkurrent entsteht, gleichzeitig aber auch die Karten im globalen Wealth Management neu gemischt werden. Denn viele wohlhabende Kundinnen und Kunden überdenken ihre Situation, einerseits aus wirtschafts- oder geopolitischen Gründen oder andererseits aufgrund der verschärften Konsolidierung in der internationalen Bankbranche.

In den jüngsten Ergebnissen für das zweite Quartal 2024 meldete die Deutsche Bank diese Woche einen weiteren Anstieg der verwalteten Vermögen der Privatbank um 7 Milliarden Euro auf 613 Milliarden Euro und ist damit die führende Vermögensverwalterin in der Eurozone. Der Bereich «Wealth Management & Private Banking» steigerte seine Nettoerträge im Berichtsquartal um 3 Prozent auf 1 Milliarde Euro, wobei dieses Wachstum vor allem durch Anlageprodukten in Europa und den Schwellenländern erzielt wurde.