Der erfahrene Risikomanager und Berater Sandro Schmid war einst selber für die Credit Suisse tätig. Er spricht sich für einen Erhalt der Schweizer Einheit der Grossbank aus: Die UBS sollte sich gut überlegen, ob sie bei der Integration den Shareholder-Value über alles stellt, sagt Schmid zu finews.ch.
Herr Schmid, nach dem Untergang der Credit Suisse wird die Schuldfrage inzwischen immer lauter gestellt. Sie wirkten lange im Riskomanagement von Banken und beraten heute die Finanzbranche – woran ist die Grossbank wirklich zugrunde gegangen?
Ich finde es spannend, dass oftmals primär dem Risikomanagement der Credit Suisse die Schuld gegeben wird.
Wieso?
Ein Risiko ist immer erst das Ergebnis eines Geschäfts. Ein Geschäftsmodell wird geführt aufgrund einer Strategie, einer Kultur, Anreizen und natürlich Menschen. Daraus entstehen Risiken, die zu verstehen und zu managen sind. Beispielsweise wurde im Fall Archegos eine Position von 24 Milliarden Dollar aufgebaut; dies entsprach mehr als der Hälfte des Eigenkapitals der Credit Suisse Gruppe. Insofern finde ich Diskussionen in Zusammenhang mit dem Geschäftsmodel aufschlussreicher als die einseitige Betrachtung der Risiken.
Was heisst das im Fall der Credit Suisse?
Wenn man in der Zeit zurückgeht, so hat man bei der Bank in der Ära von Ex-Präsident Rainer Gut entschieden, gross ins Investmentbanking einzusteigen. Dort brockte sich das Geldhaus dann auch die grössten Probleme ein, während etwa das traditionelle Schweizer Geschäft durchwegs stabil und attraktiv blieb. Die letzten Vorfälle traten dann im Asset Management auf, wo die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma dann auch grosse Mängel im Risikomanagement feststellte. Dennoch, im Risikomanagement war nicht alles schlecht, und man hat auch Verlustgefahren frühzeitig identifiziert und kommuniziert. Das lässt sich heute partiell aus den Berichten der Aufsicht herauslesen...
...aber?
Aber Entscheide fielen zugunsten erhoffter Erträgen aus, und nicht zur Reduktion von Risiken.
Sie haben die Anreize erwähnt – zu denken ist an die exorbitanten Boni des Ex-Credit-Suisse-Chefs Brady Dougan. Haben die Sondervergütungen die Banker blind für das Risiko gemacht?
Die Bonuskultur spielte sicherlich eine latente Rolle. Man ging hohe Risiken ein, um seinen eigenen Bonus zu sichern – man wollte schlicht noch mehr Geld verdienen. Die Führung, sogar jene im Finanzbereich, muss sich vorwerfen lassen, das Geschäftsmodell auf hohe Boni hin getunt zu haben und dieses dann am Ende nicht mehr im Griff gehabt zu haben.
«Niemand ist so gescheit, als dass er oder sie mehrere Millionen im Jahr verdienen sollten»
Allerdings: zugrundegegangen ist die Credit Suisse schliesslich an einem Bank Run. Das ist eine Gefahr, die normalerweise nicht unter den Top-Ten im Risikomanagement einer Bank vorkommt.
Doch diese Bonuskultur wird ja bei der kombinierten UBS fortgeschrieben werden, oder?
Man muss davon ausgehen, dass das bei der UBS weiterhin vergleichbar sein wird. Die Vergütungsstrukturen der Grossbanken sind ähnlich, Geschäftsleitung-Mitgliedern und auch den Managing Director bei der UBS werden hohe Löhne und Boni gezahlt. Meiner Meinung nach ist das ungesund. Niemand ist so gescheit, als dass er oder sie mehrere Millionen im Jahr verdienen sollten, auch nicht im Banking. Die Finma hat jedoch reagiert und kürzlich der UBS und der CS neue Vorgaben auferlegt hat, um diesen Anreizproblem risikobasiert entgegenzuwirken.
Auch bei der UBS wird gerne argumentiert, dass sich die besten Talente nur mit entsprechend hohen Löhnen an das Unternehmen binden lassen.
Wer den Vergleich mit dem internationalen Lohnniveau zieht, sollte sich fragen, ob das Argument angesichts der heutigen Vorfälle noch stichhaltig ist. Ich möchte festhalten, dass es diese Bonuskultur in der Schweiz früher nicht gab, bevor sie aus den USA importiert worden ist. Die Banken hatten zuvor durchaus gut gelebt, und auch heute finden kleinere und mittlere Schweizer Banken ohne exzessive Boni gute Leute. Es waren dies Zeiten, als ein Banker in der Gesellschaft noch angesehen war.
Die Credit Suisse, respektive die Privatbank Clariden Leu, gehört auch zu Ihren Karrierestationen. Sie haben die Kultur der Grossbank – oder eben die Unkultur – selber erlebt. War wirklich alles so schlimm?
Natürlich nicht. Meine Zeit bei der Credit Suisse und Clariden Leu war sehr schön. Doch die Kultur von damals lässt sich kaum mehr mit derjenigen der letzten Jahre vergleichen. Ich mag mich aber noch an den Zeitpunkt erinnern, als die Bonuskultur eingeführt wurde.
«Aus der Sicht des Risikomanagements ist eine Bank nie per se zu gross»
Sie müssen wissen, dass den Angestellten zuvor bloss ein dreizehnter Monatslohn überwiesen wurde. Es wurde auch kaum jemand entlassen. Wer die Erwartungen nicht erfüllte, wurde ausgebildet oder intern versetzt. Die Fluktuation war minim, und die Mitarbeitenden zufrieden, ohne Angst auf Jobverlust.
Das scheint sehr weit zurückzuliegen…
Die Kultur hat sich in den vergangenen 20 Jahren extrem verändert. Allerdings hat es nie eine einzige Kultur gegeben, sondern je nach Sparte – Investmentbanking, Private Banking, Firmenkundengeschäft und so weiter – wurde die Kultur der Credit Suisse verschieden gelebt. Zusammenfassend würde ich sagen, dass die Kultur nicht per se schlecht war, sondern unterschiedlich geprägt und starken Veränderungen unterworfen.
Nun entsteht aus der Kombination von UBS und Credit Suisse eine nochmals viel grössere Bank – eine Bank, die gemessen an den Risiken für die Schweiz und ihren Finanzplatz zu gross ist?
Aus der Sicht des Risikomanagements ist eine Bank nie per se zu gross. Sie wäre es nur, wenn der Risikoappetit der Schweiz nicht gross genug ist. Und wie es um diesen Appetit steht, wissen wir nicht so genau. Auch ist das Verhältnis der UBS-Bilanzsumme zum Schweizer BIP nicht zwingend sehr aussagekräftig. Was aber unbedingt diskutiert werden sollte…
…das wäre?
Das ist die Frage, wer den die kombinierte UBS rettet, wenn diese erneut in Schwierigkeiten geraten sollte. Bei der Credit Suisse hat sich im vergangenen März gezeigt, dass der Staat, der 2008 die UBS rettete, sich nicht mehr zutraute, die Credit Suisse alleine zu stabilisieren. Dazu verpflichtete er die UBS. Doch auch diese Grossbank wird nie frei von Risiken sein.
Das ist die Preisfrage: Wer rettet dereinst die kombinierte UBS?
Das Szenario einer Schieflage der UBS ist leider nicht vollständig auszuschliessen. Zu bedenken ist auch, dass der Staat einer UBS als privatwirtschaftlichem Unternehmen nicht vorschreiben darf, wie sie geschäften soll. Was, wenn das Institut in fünf Jahren zum Schluss gelangt, dass im Investmentbanking doch mehr Geld zu verdienen ist?
«Uns kann es ähnlich ergehen wie Island in seiner Bankenkrise»
Sollte es dann grosse Probleme geben, fände sich kein Gefäss mehr, wohin sich das solide Geschäft verlagern liesse. Denn wenn nun die UBS die Credit Suisse vollständig integriert, wie es Ende August der Fall sein könnte, wird eine Rettung, wie wir sie mit der Credit Suisse erleben mussten, kaum noch möglich sein. Nicht nur aus diesem Grund sollte sich die UBS gut überlegen, ob sie die Plattform der Credit Suisse abschalten will.
Wie meinen Sie das?
Die Frage, wie man die kombinierte UBS ‹recovern› könnte, halte ich für zentral. Wenn die Schweiz ihre grösste Bank nicht mehr retten kann, dann kann es uns ähnlich ergehen wie Island in seiner Bankenkrise. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen: die UBS ist heute substanziell stabiler aufgestellt als noch 2008. Dies auch dank dem Rückbau der Investmentbank und einem höchst professionellem Risiko- und Compliance Management. Insofern erscheint das Risiko einer neuerlichen Schieflage mit dem aktuellen Geschäftsmodell sehr gering.
Aber es besteht?
Frühere Bankenkrisen haben gezeigt, dass die Gefahr selten von dort kommt, wo man sie vermutet hätte. Neue Grossrisiken frühzeitig zu identifizieren, ist die grosse Kür im Riskmanagement.
Die Credit Suisse ist ein Bank Run von zum Verhängnis geworden. Insofern ist auch das Private Banking nicht ganz so risikolos, oder?
Es waren die reichen Privatkunden, die institutionellen Investoren, aber auch die externen Vermögensverwalter, die bei der Credit Suisse sehr schnell sehr viel Geld abgezogen haben. Ein Bank Run könnte auch die kombinierte UBS in die Knie zwingen.
Sie sagen, der Erhalt der Credit Suisse Schweiz würde hier im Notfall Abhilfe schaffen?
Zumindest würden die UBS und die Schweiz über zusätzliche Manövriermasse in der Krise verfügen. Was ebenfalls noch kaum diskutiert wird, ist die Frage nach der IT.
Weshalb wäre das wichtig?
Grossbanken-Systeme lassen sich nicht einfach abschalten oder übertragen. Es handelt sich um Systeme vergleichbar mit neuronalen Netzwerken mit zahlreichen Schichten. Wenn daran nur etwas verändert wird, kann dies zu ungeahnten Folgen führen.
«Am sichersten wäre es wohl, die IT der UBS und der Credit Suisse nebeneinander her laufen zu lassen»
Nicht von ungefähr führen Grossbanken ihre Systeme vereinfacht ausgedrückt in dreifacher Ausführung, nebst dem Backup: Eine Version läuft, eine wird weiterentwickelt, und an einer wird getestet.
Ein Transfer von der einen Grossbanken-IT der Credit Suisse zu jener der UBS ist unmöglich?
Ein Aufgabe diesen Ausmasses wurde zumindest noch nie durchexerziert. Für den Transfer von hunderttausenden Kunden bräuchte es technische Lösungen – auch das ist Neuland und unglaublich komplex, denn ein Kernbanken-System dieser Grössenordnung ist gar nicht mehr beschreibbar. Gerade das Schweizer Retailgeschäft ist stark automatisiert. Da kann es fast teurer werden, einen einzelne Kunden zu integrieren, als auf die Kunden und deren Erträge zu verzichten. Bei einem Transfer wären die Risiken und die Kosten denn auch enorm. Wenn die UBS dies innerhalb von vier Jahren schafft, wäre ich sehr erstaunt.
Was wäre die Alternative?
Am sichersten wäre es wohl, die IT der UBS und der Credit Suisse weiter nebeneinander her laufen zu lassen. Doch das würde viel höhere Kosten bedeuten, aber auch Arbeitsplätze behalten. Da stellt sich schnell die Effizienzfrage. Die UBS-Aktionäre werden das nicht wollen.
Alles wartet wie gebannt auf Ende August, wenn der Entscheid über die Zukunft der CS Schweiz fallen soll. Eine Vollintegration in die UBS gilt als wahrscheinlichstes Szenario. Doch was wären die Risiken?
Wie gesagt, schon nur wegen der IT halte ich die Integration – das heisst, das Rechensystem der Credit Suisse abschalten und alle Kunden bei der UBS buchen – für risikoreich und extrem teuer. Dabei ist der einzige Grund, der für eine Integration spricht, die Effizienzsteigerung – und damit die Aussicht auf mehr Gewinn. Der Schweiz fehlt dann aber ein System für eine Bad Bank. Die UBS, die ja bereits einmal vom Staat gerettet wurde, sollte sich meiner Meinung nach gut überlegen, ob sie den Shareholder-Value im Umgang mit der CS Schweiz über alles stellt. Derjenige, der diese Integration verantworten muss, steht von einer unglaublich komplexen Angelegenheit.
UBS-Chef Sergio Ermotti muss diesen Entscheid fällen.
Das ist richtig. Und wie er und sein Team sich auch entscheiden – Übertragung der Systeme oder paralleler Betrieb – die Folgen sind noch über Jahre hinaus nicht abschätzbar. Ich möchte in dem Moment nicht in seiner Haut stecken.
Sandro Schmid ist Partner und Geschäftsleitungs-Mitglied der Beratungsfirma LPA in Zürich. Er gilt sowohl als Experte für den Einsatz von Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz wie auch für das Risikomanagement, letzteres auch als Vorstand der Swiss Risk Association. Schmid hat in seiner breitgefächerten Karriere rund 15 Jahre bei der Credit Suisse respektive deren ehemaligen Privatbanken-Tochter Clariden Leu zugebracht.