Axel Lehmann soll der oberste Risikoaufseher der Credit Suisse werden und Debakel wie Archegos verhindern. Das wird eine Herkulesaufgabe, wie finews.ch feststellt. Wichtige Lehren stehen gar nicht im jüngsten Untersuchungsbericht.
Eine der ersten Aufgaben von Axel Lehmann als Vorsitzender des Risiko-Ausschusses im Verwaltungsrat der Credit Suisse (CS) wird die Überarbeitung des sogenannten Risk Committee Charter sein. Dieses Pflichtenheft hat der CS-Verwaltungsrat letztmals im Dezember 2020 abgesegnet.
Die Durchsicht zeigt, dass die Pflichten und Verantwortlichkeiten des Risiko-Komitees zwar die Aufsicht und Kontrolle über ein knappes Dutzend verschiedener für die Grossbank relevanter Risiken beinhalten – nicht aber das Counterparty Risk, also das Gegenpartei-Risiko.
Die sträfliche Vernachlässigung des Gegenpartei-Risikos, das die New Yorker Finanzfirma Archegos Capital über Jahre ungehindert aufgebaut hatte, führte Ende vergangenen März zum katastrophalen Verlust von über 5 Milliarden Franken für die CS.
Im Anhang auf Seite 47
Was Wunder, hat der so genannte Paul Weiss Report vom vergangenen Juli grosses Gewicht auf die fehlenden Kontrollen und Mechanismen im Umgang mit solchen Gegenpartei-Risiken gelegt. Die CS sei schlicht nicht fähig gewesen, das Gegenpartei-Risiko von Archegos und seine möglichen Konsequenzen zu erkennen (die CS hat inzwischen eine Funktion extra dafür geschaffen sowie die Methode verbessert, dieses zu bemessen).
Bei der Lektüre des Reports muss es einem Risikoexperten wie Lehmann mulmig werden. Der CS-Verwaltungsrat und sein Risiko-Ausschuss (damals noch unter Andreas Gottschling), so legt das Papier nahe, konnten die Archegos-Risiken gar nicht erkennen. Archegos, so heisst es an einer Stelle, hätte dem Verwaltungsrat nur einmal ins Bewusstsein dringen können: Der Prime-Brokerage-Kunde sei im Anhang des Group Risk Reports auf Seite 47 anlässlich der Sitzung vom 10. Dezember vergangenen Jahres erwähnt worden.
Nie eine höhere Stufe erreicht
Auch in Materialien für das Risiko-Komitee sei Archegos beiläufig auf überfüllten Powerpoint-Seiten aufgeführt gewesen, zusammen mit zahlreichen anderen Gegenparteien. Gemäss Sitzungsprotokoll habe keine Diskussion zu Archegos stattgefunden.
Zu diesem Zeitpunkt hatte das Archegos-Portfolio eine Grösse von 10 Milliarden Dollar erreicht, war zu über 93 Prozent von der CS finanziert und galt als hoch konzentriert und illiquide. Diese Informationen erreichten allerdings nie eine höhere Management-Stufe und schon gar nicht den CS-Verwaltungsrat. Sichtbar waren solche Informationen auch sonst nicht bei der CS; es fehlte an einem System, das solche Kennzahlen transparent gemacht hätte.
Mehr als 800 Überschreitungen
Wichtig für Lehmann ist eine weitere Passage im Paul Weiss Report. Die CS hatte im Jahr zuvor mit dem Hedgefonds-Kunden Malachite einen Verlust von 214 Millionen erlitten; auch dieser war kollabiert, was den Verwaltungsrat damals aufgescheucht hatte. Wie Archegos hatte Malachite seine Kreditlinien bei der Bank massiv überzogen, was ohne Konsequenzen geblieben war.
Der CS-Verwaltungsrat verlangte im Anschluss eine Untersuchung: Diese förderte 180 aktive Kunden zutage, welche ihre Limiten während durchschnittlich 47 Tagen aufgrund ihrer Handelsaktivitäten überschritten hatten. Weiter identifizierte der damalige Bericht 824 Kunden, bei denen die Limiten während durchschnittlich 100 aufgrund von Marktbewegungen gebrochen wurden.
Es fehle an einem verlässlichen Kontrollsystem, kam der Report zum Schluss – und dies ist nur eine der Lehren, welche der CS-Verwaltungsrat an der Spitze der Bank ziehen muss. Drei weitere gibt es zu bedenken:
1. Bei der Performance packen
Das Branchen-Portal «Risk.net» hatte schon vergangenen Mai ans Licht gebracht, was dann der offizielle Untersuchungsbericht der CS im Juli feststellte: Die Grossbank verdiente, gemessen an den gewaltigen Risiken, kaum etwas am Kunden Archegos. So hatten sich die Einkünfte im Jahr 2018 auf 15,6 Millionen Dollar belaufen, 8,5 Millionen Dollar waren es 2019, und 2020 insgesamt 17,4 Millionen Dollar. Mit Malachite hatte die CS während rund sechs Jahren nur 6,9 Millionen Dollar erzielt. Viel zu wenig, um die Kapitalkosten für die Bank zu decken. Ein Risiko-Komitee in der Investmentbank hatte dies im Herbst 2020 auch thematisiert, aber ein mögliches Vorgehen vertagt.
Im Nachhinein einer der zahlreichen Patzer mit Archegos – und ein Punkt, auf den auch die Bankenrisiko-Cracks bei der Zürcher Beratungsfirma Orbit36 dringen. In einem Blog-Beitrag kamen sie unlängst zum Schluss, das ein striktes Performance-Management ein wichtiges Werkzeug sei, um eine Bank vor teuren Fehlinvestitionen zu bewahren. Die Experten finden, dass die Messsysteme dafür bei der CS unzulänglich gewesen sein müssen. Was wiederum Banker an der Front animierte, auch unrentable Geschäfte zu machen.
Dem Performance-Management kommt innerhalb der Führung von Grossbanken eine immer wichtigere Rolle zu, und die CS kann es sich nicht leisten, dort zurückzufallen. Zumal es sich um eine Messgrösse handelt, die in den verschiedensten Geschäftsbereichen eingesetzt und vom Kundenberater bis zum Verwaltungsrat von allen verstanden werden kann. Wenn der Archegos-Bericht nun vor allem den Risikoappetit thematisiert, beleuchtet er nur eine Seite der Medaille.
2. Die Verteidigungslinien sind löchrig
Auch bei der CS ist das «Three Lines of Defense»-Modell im Einsatz, das auf die 1990er-Jahre zurückgeht und von Experten inzwischen als untauglich bis fahrlässig eingestuft wird, wie auch finews.ch berichtete. Die Schweizer Banken haben dabei aber nur begrenzte Wahl, da die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) gewisse Elemente des in die Jahre gekommenen Modells fest vorschreibt. Auch der Bericht zu Archegos kommt wieder darauf zurück: Die erste Verteidigungslinie, die Kundenfront also, sei zu stärken, lautet eine Empfehlung. Doch dass sich die Geschäftemacher selber kontrollieren sollen, ist ein Widerspruch.
Moderne, normierte Management-Modelle unterstreichen hingegen die Rolle der Verwaltungsräte wie Lehmann bei der CS. Sie sind die Instanz, die über allem thront, und an die sich Compliance- und Frontleute direkt wenden müssen. Eine wichtige Aufgabe für das Gremium bei der Bank ist es deshalb, den Weg zu ihm selber zu ebnen.
3. Verwaltungsräte brauchen ein neues Cockpit
Bevor einzelne Angestellte Alarm schlagen, müsste der Verwaltungsrat eigentlich schon selber Warnlampen blinken sehen. Doch überladene Powerpoint-Präsentationen taugen, wie der Untersuchungsbericht festhält, nicht dazu.
Und selbst etablierte Kennzahlen sind trügerisch, wie sich im Fall Archegos zeigte. So funktionierten lokale Stresstests als Frühwarnsystem nicht richtig, weil die Positionen in anderen Rechtseinheiten gebucht wurden. Aufgrund der Swap-Konstruktion gaben auch gängige Kennzahlen fürs Marktrisiko wie die Risikogewichteten Aktiven (RWA) und Value-at-risk (VAR) kaum Grund zur Besorgnis.
Entsprechend muss ein Cockpit her, dass dem Verwaltungsrat bei der Zuteilung des Risikos auf die verschiedenen Bankgeschäfte eine echte Hilfe ist. Entscheidend ist, und das hält auch der Untersuchungsbericht fest: interne Stresstests, Performance-Management oder die Beurteilung der Gegenpartei müssen ganzheitlich angewandt werden.
Ebenfalls sollen Rückschläge wie mit dem Malachite-Hedgefonds 2020 und natürlich mit Greensill und Archegos im letzten Frühling nicht als peinliche Patzer rasch verdrängt, sondern quer durch die Bank als Exempel diskutiert werden.