Ein italienischer Finanzkonzern will von der Schweiz aus ein europäisches Private-Banking-Imperium aufbauen.
So unscheinbar die Nachricht gewesen sein mag, sie hat eine grössere Bedeutung. Vergangene Woche gab die Genfer Bank Reyl bekannt, sich mit 40 Prozent am ebenfalls in der Rhonestadt ansässigen, unabhängigen Vermögensverwalter 1875 Finance zu beteiligen, wie auch finews.ch berichtete.
Hinter dieser Ankündigung verbirgt sich ein wesentlich grösserer Plan in der weiteren Konsolidierung der Schweizer Bankbranche. Und dahinter wiederum steckt ein italienisches Finanzinstitut.
Langfristiger Plan
Doch der Reihe nach: Vor genau zehn Jahren sagte Paolo Molesini (Bild oben) gegenüber finews.ch, der italienische Finanzkonzern Intesa Sanpaolo halte Ausschau nach einer Privatbank in der Schweiz. Molesini war damals CEO der Private-Banking-Sparte Fideuram Intesa Sanpaolo Private Banking (ISPB), heute ist er deren Verwaltungsratspräsident. Und inzwischen hat er seine Absicht bereits zu einem grossen Teil verwirklicht – vielleicht sogar mehr als das.
Denn 2017 übernahm Fideuram ISPB die Genfer Privatbank Morval und fusionierte sie mit den eigenen Aktivitäten in der Schweiz. Und im vergangenen Jahr beteiligten sich die Italiener mit 69 Prozent an Reyl. Die Ankündigung von vergangener Woche, wonach Reyl sich an 1875 Finance beteiligt, ist tatsächlich ein weiterer Schritt, die Konsolidierung im Schweizer Private Banking voranzutreiben, wie Paul Kohler (Bild unten), CEO von 1875 Finance in einem Interview mit der Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» (Artikel kostenpflichtig) vergangene Woche erklärte.
Anlaufstelle für unabhängige Vermögensverwalter
Der Intesa-Konzern, hinter der Unicredit Italiens zweitgrösstes Finanzinstitut und im Private Banking sogar die Nummer eins, hat sich zum Ziel gesetzt, in den nächsten Jahren zu den fünf wichtigsten Vermögensverwaltungsbanken in Europa zu gehören. Dabei dient die Bank Reyl seit vergangenem Herbst als Zentrale für das internationale Private Banking; ihr sind mittlerweile auch die Aktivitäten von Fideuram ISPB in Lugano, Luxemburg und London unterstellt. Die Übernahme weiterer Finanzinstitute ist geplant.
Die Firma 1875 Finance wiederum, die selber rund 11 Milliarden Franken an Kundengeldern verwaltet, soll als Anlaufstelle für die Akquisition unabhängiger Vermögensverwalter fortan dienen, wie Kohler im Interview mit «Le Temps» weiter ausführte.
Unter eigenem Namen
Ursprünglich habe Fideuram ISPB 1875 Finance via Reyl vollständig übernehmen wollen. Doch die vier Gründungspartner von 1875 Finance hätten die Italiener davon überzeugen können, dass wenn sie als Aktionäre an Bord blieben, die Akquisitionschancen hierzulande grösser seien. Gesucht werden unabhängige Vermögensverwalter ab einer Milliarde Franken an Kundendepots, idealerweise aber mit rund 3 Milliarden Franken, erklärte Kohler.
Unter diesen Prämissen wird es auch nicht zu einer Fusion von Reyl und 1875 Finance kommen, wie weiter zu erfahren. Beide Institute soll unter ihrem eigenen Namen agieren und entsprechende Übernahmen tätigen, die insgesamt dazu beitragen sollen, dass Fideuram ISPB mit seiner Zentrale in der in der Schweiz schon bald zu den Top-Fünf-Vermögensverwaltungsadressen in Europa gehört. Aktuell verwaltet Fideuram ISPB rund 260 Milliarden Euro (rund 286 Milliarden Franken).
Vergleichbar mit der UBS
Der Plan mutet vielleicht etwas ambitioniert an, doch der Intesa-Konzern hat durchaus die Kapazitäten dafür. Das in Turin ansässige Institut, wobei das Private Banking in Mailand domiziliert ist, meisterte die Finanzkrise von 2008/09 ausserordentlich gut und konnte seither einen ehrgeizigen Wachstumsplan verfolgen, dessen Etappenziele immer wieder übertroffen wurden, wie das jüngst bei der Bekanntgabe der Semesterzahlen 2021 erneut der Fall war.
Intesa Sanpaolo ist an der Mailänder Börse kotiert und Bestandteil des EuroStoxx 50. Das Unternehmen verfügt über eine Bilanzsumme (umgerechnet rund 900 Milliarden Franken), die mit derjenigen der UBS (rund 1 Billion Franken) vergleichbar ist und hat somit auch die Mittel, um einerseits im Firmenkundengeschäft/Investmentbanking eine Rolle zu spielen und andererseits weitere Übernahmen zu tätigen.
Auf Umwegen nach Zürich
Im vergangenen Frühjahr suchte Fideuram ISPB auch Personal für einen Standort in Zürich, wie Recherchen von finews.ch seinerzeit ergeben hatten. Ein Sprecher dementierte damals diese Pläne jedoch, sagte aber auch, man solle nie nie sagen. Inzwischen dürfte sich dieser Plan tatsächlich zerschlagen haben, denn mit der Bank Reyl haben die Italiener nun eine starke Präsenz in der Schweiz, die auch bis nach Zürich reicht.