Jahrzehntelang waren Private Banker die erste Anlaufstelle für sehr vermögende Leute. Doch das ist immer weniger der Fall. Jetzt gehen die Superreichen zuerst zu ihrem Anwalt. Warum ist das so?
Noch nie hat sich so viel Wohlstand auf so wenige Individuen auf dieser Welt konzentriert. Nach dieser Klientel – aufstrebende Unternehmer, schwerreiche Erben und Milliardäre – lechzen die Schweizer Privatbanken und Wealth Manager, seit die Tage des einfachen Geldverdienens mit unversteuerten Offshore-Vermögen gezählt sind.
Diese anspruchsvolle Kundschaft sucht Dienstleistungen, die besondere Kompetenzen erfordern: angefangen von der reinen Empathie zuhören zu können bis zum buchstabenfesten Expertentum im internationalen Stiftungs-, Steuer- und Erbschaftsrecht.
Expertenteams statt Kundenberater
Die seit der Finanzkrise rasante Vermögenskonzentration geht einher mit der wachsenden Komplexität im Wealth Management: Die nicht enden wollende Regulierungsflut und die zunehmende Internationalisierung der UHNW-Kundschaft sind die Treiber. Privatbanken sind gezwungen, ihre auf individuelle Kundenberater und den Verkauf von Produkten ausgerichteten Organisationen umzubauen: auf interdisziplinäre Expertenteams.
Trotzdem treffen die Vermögensverwalter auf ein grosses Problem: Je vermögender ein Privatkunde ist, desto höher sind die Hürden, dass ihn ein Private Banker überhaupt je zu Gesicht bekommt.
Die allererste Ansprechperson
Denn zumeist steht eine Person – oder vielmehr ein ganzes Team – dazwischen: Das kann der CEO oder Finanzchef des Family Offices sein – viel öfters aber ist es ein Anwalt. Er ist die erste Bezugsperson für jeden sehr vermögenden Kunden wenn es um Geld geht – und längst nicht mehr der Berater bei einer Bank.
«Es ist heute sicher so, dass Anwaltskanzleien deutlich näher am Kunden sind als Banker», bestätigt Ariel Sergio Goekmen-Davidoff im Gespräch mit finews.ch. Er kennt beide Seiten: Er war in der Geschäftsleitung der Schroders & Co Bank und CEO von Kaiser Partner, wo er sich um die Ultra-High-Net-Worth-Kunden (UHNWI) und Family Offices kümmerte.
Seit kurzem jedoch hat Goekmen-Davidoff die Fronten gewechselt und ist Partner bei Lindemann Rechtsanwälte in Zürich . «Dies führt zu einem Wissensvorsprung», erklärt er weiter, «weil die Klientschaft zuerst über die rechtliche Seite vermögenstechnischer Vorgänge sprechen will.»
Private Wealth ein Wachstumsbereich unter Anwälten
Karriereschritte oder «Seitenwechsel», wie ihn Goekmen-Davidoff vollzogen hat, kommen auf dem Schweizer Finanzplatz immer häufiger vor. Kaum ein Verwaltungsrat einer Schweizer Privatbank kommt heute noch ohne Wirtschaftsanwalt aus. Manche Institute, wie Bergos Berenberg in Zürich, haben mit einer Rechtsanwältin wie Patricia Guerra auch gleich ein bestehendes Kundenbeziehungsnetz in den Verwaltungsrat geholt. Guerra ist Partnerin der Kanzlei Meyerlustenberger Lachenal. Zudem geniesst sie einen internationalen Ruf als Beraterin reicher Privatkunden und Familien.
Kaum ein anderer Bereich ist in der Wirtschaft-Jurisprudenz in den vergangenen 20 Jahren dermassen angewachsen wie die Beratung reicher Privat- und Unternehmerkunden. Die Rolle der Anwälte in der «holistischen» Vermögensberatung der Ultrareichen hat in einem Mass zugenommen, dass die Besten ihres Fachs inzwischen an Wealth-Award-Veranstaltungen in London, New York oder Singapur neben den besten Privatbanken oder Vermögensverwaltern in einer eigenen Kategorie Auszeichnungen gewinnen.
Anwälte sind das, was Private Banker nicht (mehr) sind
Kurzum: Anwälte sind die neuen Private Banker. Im Prinzip sind sie geeigneter, um heutzutage vermögende Kunden zu beraten. Sie verfügen über die erforderliche Expertise. Sie sind vertrauenswürdig. Sie sind beständig, frei von Interessenkonflikten, und sie sind bezüglich ihrer Kosten absolut transparent.
Im Gegenzug kämpfen viele Banken mit Reputationsproblemen. Und weil sie in ihrem Wesen schlichte Verkaufsorganisationen sind, können sie weder objektiv beraten noch sind ihre Gebührenstrukturen wirklich transparent.
Banker beraten das, was sie verkaufen können
Olga Boltenko, Managing Partnerin und Gründerin von Boltenko Law, sagte gegenüber finews.ch, ihre Dienstleistungen würden einem Kunden Zusatzkosten verursachen, da diese –auf Beratungsbasis – direkt verrechnet würden. «Bei den Banken scheinen viele Beratungsdienstleistungen umsonst zu sein. Doch die Gebühren dafür fallen beim Produkt an.»
«Banker wollen, dass das Geld in ihrem Haus bleibt, und sie beraten das, was sie verkaufen können», bestätigt ein Anwalt, der schon lange im Geschäft ist, die obige Feststellung.
Zugegeben, die grösseren Schweizer Wealth Manager wie UBS, Credit Suisse oder Julius Bär haben massiv in ihre Rechts-, Steuer- und Stiftungs-Desks investiert. Doch sind und bleiben die Anwaltskanzleien wichtige Kooperationspartner, «auch auf dem Thema Finanzierungen, Escrow und Börsen», wie Goekmen-Davidoff betont.
«Gatekeeper» für Neukunden
Viele Private Banker erkennen inzwischen in den Anwälten mehr als blosse Kooperationspartner. Vielmehr bieten sie den direkten Kontakt zu neuen Kunden. Eine Anwältin bezeichnet Banker gar als «Klinkenputzer«, die laufend um einen Termin bei ihr anfragen würden, um ihre Bankdienstleistungen zu präsentieren.
«Jeder sucht die Nähe zur vermögenden Kundschaft, und Anwälte agieren als ‹Gatekeeper›», beobachtet Boltenko. Und Goekmen-Davidoff ergänzt: «Meiner Erfahrung nach versuchen Private Banker, mit ihren Dienstleistungen bei Anwaltskanzleien zu 'pitchen', um an Neukunden zu gelangen.»
Selten im Mittelpunkt
Aber die Welt in den Kanzleien ist eine ganz andere als in den Banken, wie Goekmen-Davidoff inzwischen bestens weiss. Mit der Klientel würden – in Kanzleien – strukturelle oder organisatorische Themen diskutiert, wie eine M&A-Transaktion oder ein Escrow.
«Was eine Bank bieten kann, also Beratung in der Vermögensverwaltung, steht dagegen sehr selten im Mittelpunkt», stellt Goekmen-Davidoff fest.