In Genf brodelt die Gerüchteküche derzeit gehörig. Sollten sich die Spekulationen als wahr erweisen, hätten sie weitreichende Konsequenzen für die Schweizer Privatbank Lombard Odier.

Mit einer erstaunlichen Hartnäckigkeit halten sich die Gerüchte rund um die Genfer Privatbank Lombard Odier. Zum einen soll sie angeblich von der Zürcher Konkurrentin Julius Bär ganz oder in Teilen übernommen werden, zum andern könnte Julius-Bär-Chef Boris Collardi (Bild unten) als neuer Teilhaber zu dem Institut stossen.

Erhärten konnte finews.ch diese Vermutungen nicht, zumal die Sprecher der beiden Institute keine Stellung nehmen wollten. Zu den Partnerspekulationen liess ein Sprecher von Lombard Odier ausrichten: «Sie wissen doch, dass wir uns NIE zu Personalspekulationen äussern, egal wie abwegig sie sein mögen.» Und zu den Verkaufsgerüchten erklärte er: «Klare Aussage: Unsinn!»

Den Hof machen

Boris Collardi Keystone 500

Das hindert indessen niemanden daran, Gedanken darüber anzustellen, aus welchen Gründen Lombard Odier einem Banker wie Collardi den Hof machen könnte, und was dessen Motive für einen Wechsel sein könnten.

Tatsächlich befindet sich die 220-jährige Bank Lombard Odier im Umbruch oder positiv ausgedrückt in einer Phase der Neubesinnung und des Generationenwechsels. An der Spitze besteht ein gewisses Vakuum. Das führt dazu, dass nicht wenige Beobachter und Mitarbeiter die mittelfristigen Wachstums- und Entwicklungsperspektiven bei dem Institut vermissen.

Mehrere gewichtige Abgänge

Nach dem jähen Hinschied von Bernard Droux Anfang 2015 und dem altersbedingten Abgang von Thierry Lombard besteht das oberste Partnergremium gerade noch aus sechs Personen. Kommt hinzu, dass Anne-Marie de Weck, die Grande Dame des Hauses und des Schweizer Privatbanken-Wesens, über kurz oder lang ebenfalls aus dem obersten Gremium austreten wird.

Gleichzeitig haben verschiedene Kaderleute wie Olivier Collombin, Jean-Jacques Hamel oder Alexis Lombard die Bank verlassen. Sie hätten alle das Format gehabt nachzurücken.

Während es die beiden jüngeren Teilhaber, Frédéric Rochat (41) und Hubert Keller (48) bis heute kaum geschafft haben, als Führungspersönlichkeiten Strahlkraft zu entwickeln. Rochat gilt intern als wenig einflussreich, und Keller geht das Profil einer Integrationsfigur ab.

Auf der Suche

Primus inter pares auf der Chefetage von Lombard Odier ist bis heute der 61-jährige Patrick Odier (Bild unten). Noch bis im nächsten September präsidiert er die Schweizerische Bankiervereinigung. Wie es in Genfer Finanzkreisen heisst, hätte er dieses Amt gerne weiter geführt. Doch angeblich sei er von seinen Mit-Teilhabern gedrängt worden, sich wieder vermehrt der Bank zu widmen, zumal sich diese in einem tiefgreifenden Erneuerungsprozess befindet.

Patrick Odier 502

Zu diesem Unterfangen gehört auch eine geordnete Nachfolgeregelungen respektive die Bestellung neuer Führungspersönlichkeiten. Dafür engagierte die Bank unter anderem die internationale Headhunter-Firma Heads!, die bei diversen Bankmanagern in der Schweiz vorstellig wurde, wie Recherchen von finews.ch ergaben. Allerdings blieb diesen Aktivitäten der erhoffte Erfolg bislang versagt. Dass in diesem Kontext der Name «Collardi» fällt, ist nicht ganz abwegig.

Nicht verbandelt

Der 41-jährige Boris Collardi gilt als ausgewiesener Private-Banking-Experte, der bei Kunden höchstes Ansehen geniesst. Er ist weder mit der Familie Lombard noch mit derjenigen Odiers verbandelt, und nach seiner siebenjährigen Führungserfahrung an der operativen Spitze von Julius Bär besitzt er zweifelsohne die Kompetenz, im Top-Gremium einer Bank wie Lombard Odier die erste Geige zu spielen.

Ausserdem spricht er als Romand aus dem waadtländischen Nyon nicht nur fliessend Französisch, was vermutlich die wichtigste Voraussetzung ist, um sich bei Lombard Odier überhaupt Gehör zu verschaffen, sondern er bringt auch eine umfassende internationale Expertise mit, die ihn in wichtigen Funktionen bis nach Asien führte – er ist auch mit einer früheren Bankerin aus Singapur verheiratet.

Staatsmännisches Profil

Als Sohn eines italienischen Einwanderers in die Schweiz und einer Mutter, die als Journalistin tätig war, kann er zwar nicht behaupten, vom noblen Erbe calvinistischer Dynastien wie Lombard, Odier oder Pictet in Genf abzustammen.

Dafür bringt er ein ungemein breites berufliches Rüstzeug mit, das Restrukturierungs-Know-how, Krisen-Management, Expansions-Erfahrung und jene «Leadership» umfasst, um ein kotiertes Blue-Chip-Unternehmen zu führen.

Dass er sich zunehmend auch eine Art staatsmännisches Profil zulegt, bewies Collardi unlängst wieder in einem Interview mit dem Leitblatt der Schweizer Wirtschaft. In der «Neuen Zürcher Zeitung» äusserte er sich zur Wettbewerbsfähigkeit des Landes, zur Immigration und zum Verhältnis zur EU.

Gleichzeitig engagiert er sich für die Belange seiner Zunft, indem er die Vereinigung Schweizerischer Assetmanagement- und Vermögensverwaltungsbanken (VAV) präsidiert oder in der Bankiervereinigung den Ausschuss «Private Banking» leitet.

Stürmische Zeiten vorbei

Collardi steht nun seit gut sieben Jahren an der Spitze von Julius Bär. Das ist in etwa die durchschnittliche Amtszeit für einen CEO-Posten bevor man zu neuen Ufern aufbricht. Bei Julius Bär deutet einiges darauf hin, dass die Bank ihre stürmischen Zeiten allmählich hinter sich hat und in eine Phase der Konsolidierung einschwenkt.

Gerade dies könnte den rastlosen Collardi möglicherweise langweilen, so dass er sich nach einer neuen Herausforderung umsehen könnte. Und mit seinem Profil wäre er geradezu prädestiniert, eine weitreichende Rolle in den betuchten Kreisen der Genfer Privatbanken-Szene zu übernehmen.

Im Vergleich zu anderen grossen Bankchefs wie Sergio Ermotti, Tidjane Thiam oder Jacques de Saussure, Senior Partner von Pictet, mutet der 41-jährige Collardi zwar nach wie vor wie ein «Youngster» an. Doch gerade dieses Kriterium könnte, verbunden mit seiner Erfahrung, ausschlaggebend sein für die dringende Erneuerung im Hause und an der Spitze von Lombard Odier.

Fehlende Kenntnisse

Collardi blieb stets verschwiegen was seine nächsten Karriereschritte anbelangt. Periodisch sagt man ihm nach, Ambitionen auf den CEO-Titel bei einer der beiden Schweizer Grossbanken zu haben. Doch beide Posten würden Kenntnisse voraussetzen, etwa im Investmentbanking oder im Risikomanagement, die er möglicherweise nicht hätte. Kommt hinzu, dass die beiden Chefsessel bis auf weiteres besetzt sind.

Trotz aller Kritik sitzt CS-Chef Thiam fest im Sattel und geniesst das Vertrauen der Grossaktionäre; das Gleiche gilt für Ermotti: Bei der UBS gäbe es überdies genügend andere Kandidaten, wie Jürg Zeltner oder neuerdings Martin Blessing, die Ermotti mittelfristig beerben könnten.

Sehr amüsiert

Alles in Allem wäre eine Führungsrolle mitsamt Kapitalbeteiligung bei Lombard Odier ein durchaus attraktiver Karriereschritt für Collardi. Das erforderliche Kapital, das er dafür einschiessen müsste, sollte für ihn, als einen der höchst bezahltesten Privatbank-Chefs der letzten Jahre, kein Problem sein.

C’est à suivre, heisst es in Genfer Finanzkreisen mit Blick auf Lombard Odier, während die Bank selber zu den erwähnten Kolportagen gegenüber finews.ch verlauten lässt: «Ganz ehrlich, wir haben uns über die Gerüchte sehr amüsiert.»