Der Bankensoftware-Hersteller Temenos tut ganz vorne in der Schweizer Fintech-Szene mit. Doch nun verweist dessen Chefstratege den Fintech-Hype in seine Schranken.
Lange stand Temenos am Schweizer Finanzplatz im Schatten von Konkurrenten wie Avaloq oder Finnova. Doch in den letzten Monaten hat sich die Westschweizer Banken-Software-Schmiede ihren festen Platz im Rampenlicht zurückerobert: Einmal mit dem Zuschlag für die Erneuerung der veralteten IT-Plattform der Zürcher Privatbank Julius Bär; zum anderen mit ihrem viel beachteten Engagement als Sponsor von Fusion in Genf, dem ersten Fintech-Inkubator der Schweiz.
Entsprechend hat man bei Temenos eine recht klare Vorstellung darüber, welche Quantensprünge digitale Innovation im Banking zu leisten vermag – aber auch, woran sie scheitert.
Grossen Würfe bleiben aus
Genau Letzteres brachte nun der Chefstratege von Temenos, Ben Robinson (Bild unten), kürzlich in einem Blog-Beitrag auf den Punkt. Dabei zeigte er sich durchaus bewusst, dass er sich auf heikles Terrain vorwagte. «Ich werde dafür wohl reichlich negative Kommentare zu hören bekommen», schreibt der Temenos-Stratege. Dennoch sei Fakt: «Fintech hat es bisher nicht geschafft, wirklich grosse Würfe zu landen», so Robinson.
Dies, obwohl zahlreiche Akteure an die disruptive Kraft von digitalen Finanz-Lösung glaubten, die Zahl der weltweiten Fintech-Firmen auf 12'000 angestiegen sei und der Sektor in den letzten zwölf Monaten Investitionen von 14 Milliarden Dollar angezogen habe. «Aber wenn ich mir die 25 Firmen mit dem grössten disruptiven Potenzial anschaue,» so Robinson, «dann sind das immer noch in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannte Namen».
Auf ausgetretenen Pfaden
Und Robinson, der sich auf für das Marketing von Temenons verantwortlich zeichnet, glaubt auch zu wissen, warum.
- Fintech Startups konzentrierten sich bisher zu sehr auf traditionelle Bankdienstleistungen wie etwa die Kreditvergabe. Dort gerieten sie jedoch in direkte Konkurrenz zu den Banken, so Robinson, welche sowohl die nötigen Skaleneffekte mitbringen wie auch die strengen regulatorischen Vorgaben bewältigen können.
- In vielen Fällen wollten Fintech-Firmen den Status Quo gar nicht überwinden, sondern verstärkten ihn noch. Etwa, indem sie die Verbreitung von Kreditkarten-Diensten bei Händlern förderten.
- Noch sei es für Banken relativ einfach, Innovationen von Fintech-Jungfirmen zu kopieren oder diese in Partnerschaften für sich arbeiten zu lassen, so Robinson. Der Temenos-Mann nennt dabei etwa die Übernahme von FutureAdvsior durch den Vermögensverwaltungs-Giganten Blackrock oder die eigene Lending-Plattform der US-Grossbank Goldman Sachs.
Doch Ben Robinson sieht auch Chancen zur Etablierungen eines Finanz-Ökosystems, dass weitgehend ohne Banken auskommen könnte.
- Schiere Grösse: Danke schnellem Wachstum werde es Firmen wie etwa der amerikanischen Lending Club gelingen, über kurz oder lang zu nennenswerten Marktanteilen zu gelangen und so Umwälzungen herbeizuführen, so der Temenos-Stratege.
- Ausweitung der Dienstleistungen: Durch zusätzliche wertsteigernde Angebote und den Eintritt in neue Märkte wie etwa Handelsfinanzierung oder Risiko-Management können Fintech-Firmen ihre Position weiter ausbauen.
- Vorstoss in nachgelagerte Bereiche: In der vertikalen Ausdehnung ins Middle- und Backoffice des heutigen Banking sieht Robinson ebenfalls eine Möglichkeit für Fintech-Akteure, an Marktkraft zu gewinnen.
Am weitaus wichtigsten ist laut dem Temenos-Mann jedoch die Zusammenarbeit. Wenn agile Startups und etablierte Player mit ihrer Marktmacht zusammenspannen würden, dann könnten beide Seiten nur gewinnen, ist er sich sicher.
Woher die wirkliche Gefahr droht
Allerdings verlangt dieses Vorgehen beiden Seiten auch Opfer: Von den Fintech-Firmen, weil sie ihre disruptiven Pläne begraben müssen. Und von den Banken, weil sie sich auf Augenhöhe mit den viel kleineren Jungfirmen herablassen müssen.
Doch auch für die Banken sei dies am Ende das kleinere Übel – denn ihnen drohe Gefahr von einer ganz anderen Seite. «Mit der Digitalisierung der Dienstleistungen wird der Vertrieb und damit der Kontakt zum Kunden zum eigentlichen Schlachtfeld», stellt er fest. Und Robinson hält es hier für «sehr wahrscheinlich», das heutige IT-Giganten wie Apple oder Amazon einmal den Vertrieb von Bankprodukten kontrollieren werden.