Ein Ereignis wie Russlands Angriffskrieg in der Ukraine bringen liebgewonnene Beziehungen auf unserer Welt durcheinander. So sprechen die USA plötzlich mit Erzfeinden, während Putin-Versteher im Westen schwer unter Druck geraten, wie finews.ch beobachtet.
Im Bemühen, den Preis für die Aggression gegen die Ukraine schrittweise zu erhöhen und die russische Regierung zumindest an den Verhandlungstisch zu zwingen, dreht die Koalition von EU, USA und ihren Verbündeten schrittweise an der Sanktions-Schraube. In der Anfangsphase der Invasion wurde dem Ausschluss von russischen Banken aus dem Swift-Kommunikationssystem der Status der grösstmöglichen Sanktion zuerkannt. Diesen geniesst mittlerweile das Öl- und Gasembargo.
Während der Swift-Ausschluss von russischen Banken trotz seiner Bedeutung im Handel «nur» eine partielle Wirkung zu entfalten vermag, würde ein Öl- und Gasembargo wohl für alle ziemlich sofort spürbar. Selbst der Vorbote in Form von stark steigenden Benzinpreisen vermag das Wachstumspotenzial zu reduzieren und die jüngste Drohung Russlands, bei einem Ölembargo die Gaslieferungen zu drosseln zeigt (Artikel der «Times» hinter Bezahlschranke), dass die Verwundbarkeit gerade der westlichen Volkswirtschaften in diesem Bereich sehr hoch ist.
Gemeinsame Feinde schmieden die Banden
Die Vorbereitung eines Öl- und Gasembargos bringen nun einige erstaunliche Verwerfungen in der internationalen Politik mit sich, wie auch die deutsche «FAZ» schreibt. Dass ein grosser Feind eine einigende Wirkung haben kann, zeigte sich ja schon sehr bald nach dem 24. Februar in Europa. Vor gerade mal drei Wochen flogen in der EU noch die Fetzen, nachdem der Europäische Gerichtshof entschieden hatte, dass die Kommission Gelder für Staaten zurückbehalten darf, die gegen den Rechtsstaats-Mechanismus verstossen.
Die zwei Staaten, um die es bei dieser Entscheidung ging – Ungarn und Polen mit ihren rechtsnationalistischen Regierungen –, stehen nun an der neuen Frontlinie im Ukraine-Krieg und erhalten alle Hilfe der EU, die sie sich wünschen. So hat sich selbst Viktor Orban, der ungarische Rechtsausleger und Putin-Versteher, faktisch hinter sämtliche Massnahmen gegen den Aggressor im Osten gestellt.
Pech für diejenigen, welche sich zwar ebenfalls für die Politik Putins erwärmen konnten, aber eben nicht die Verantwortung ihr Land tragen. Zu denken ist etwa an an die Rechtsaussen-Politikerin Marine Le Pen, den früheren britischen Oppositionsführer Jeremy Corbyn, der italienische Ex-Minister Matteo Salvini oder in Deutschland die AfD und Teile der Linken.
Volte gegenüber Venezuela
Besondere Konjunktur haben nun auch einige Staaten, die aus verschiedensten Gründen aussen vor waren (und immer noch sind), aber auf einem Rohstoffschatz sitzen. Die wohl aufregendste Volte ist in Nord- und Mittelamerika zu beobachten. Wie verschiedene Medienhäuser berichten, haben sich hochrangige Vertreter der USA nach Caracas in Venezuela begeben, um mit der Regierung von Nicolas Maduro über Energiefragen zu sprechen, wie der «Deutschlandfunk» bestätigt.
Zur Erinnerung: Die USA und die EU hatten die Wiederwahl Maduros im Dezember 2020 nicht anerkannt und Maduro wegen Geldwäscherei und Drogenhandel angeklagt. Jetzt spricht die US-Regierung unter Präsident Joe Biden mit einer von ihr nicht anerkannten Regierung über Öllieferungen, und dies erst noch in aller Offenheit.
Iran-Deal mit russischer Hilfe
Auch mit einem anderen ölreichen Land sieht es nicht mehr ganz so schlecht aus wie ehedem. So scheint ein Deal mit dem Iran kurz vor dem Durchbruch, auch wenn die Gemengelage sehr komplex ist, wie der britischen Zeitung «Guardian» zu entnehmen ist. Nach monatelangen Vorarbeiten ausgerechnet durch den russischen Vertreter bei der IAEA in Wien könnte das Nuklearabkommen wieder in Kraft treten.
So würde das Erdöl Irans wieder in den legalen Kreislauf gelangen und Druck von den Märkten nehmen. Allerdings hat sich Russlands Aussenminister Sergei Lawrow jetzt eingeschaltet in der offensichtlichen Bemühung, diesem Deal einen Riegel vorzuschieben.
Fehlt bald nur noch Nordkorea
Ein weiteres Puzzle-Teilchen, wohl das wichtigste von allen, ist die Beziehung Präsident Bidens zum Regime in Saudi-Arabien. Beim Amtsantritt hat Biden noch erkennen lassen, dass er zu Mohammed bin Salman, dem Thronfolger und faktischen Herrscher im Ölimperium, auf Distanz gehen will. Dieser hatte sich bekanntlich in Menschenrechtsfragen eine äusserst fragwürdige Reputation erarbeitet. Aber, gemäss «FAZ», haben jetzt andere Aspekte Konjunktur. Und das ist der Ölreichtum des saudischen Königreichs. Darum plant Biden offenbar, Riad noch in diesem Frühjahr zu besuchen.
Venezuela, Iran, Saudi-Arabien: Die westlichen Staaten gehen mit dem neuen Schmusekurs ein Risiko ein. Zwar dienen diese Beziehungen realpolitisch gesehen dem eigenen Überleben und Stärken der demokratischen Welt. Gleichzeitig verliert der Westen aber auch den moralischen Hebel gegenüber der Welt der Potentaten.