Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank geht Interview mit finews.ch mit den Notenbanken hart ins Gericht: Die Geldschwemme bringe die Volkswirtschaft nicht weiter, die Unabhängigkeit der Währungshüter sei in Frage gestellt.


Herr Gitzel, in der Bewältigung der Pandemie spielen die Notenbanken eine zentrale Rolle. Gibt es eine Verwischung zwischen geldpolitischen und fiskalpolitischen Massnahmen?

Ja und Nein. Eine Verwischung von Fiskal- und Geldpolitik ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Die Notenbanken versuchen derzeit, ein Austrocknen von Liquidität im Banken- und Unternehmenssektor zu verhindern. Die Regierungen wiederum unterstützen ihrerseits private Haushalte und Unternehmen mit direkten finanziellen Hilfen und Garantien. Eine Trennung ist also zunächst durchaus sichtbar.

Aber?

Schaut man allerdings etwas genauer hin, stellt sich die Frage, ob die Notenbanken nicht ihr geldpolitisches Mandat überschreiten. Eigentlich ist es der US-Notenbank Fed nicht erlaubt, Unternehmensanleihen zu kaufen.

«Kreditvergabe ist eigentlich die Aufgabe des Privatsektors, also der Banken»

Technisch bedient sich die Fed nun spezieller Kreditrahmen, Special Purpose Vehicle (SPV), um diese Hürde zu überspringen. Die Fed leiht dem SPV Geld, das dann wiederum Anleihen kauft. Die US-Notenbank finanziert damit über einen Umweg also doch Unternehmen.

Und was ist mit der Europäischen Zentralbank?

Die EZB hat diese Probleme nicht und kann direkt Unternehmensanleihen kaufen. Darüber hinaus erwerben Fed und EZB nahezu unlimitiert Anleihen der öffentlichen Hand und garantieren damit eine reibungslose Finanzierung des Staatssäckels. Damit schlüpfen die Währungshüter also in eine Rolle, die durchaus fragwürdig ist. Die Zentralbanken werden zum wichtigsten Finanzier. Kreditvergabe ist aber eigentlich Aufgabe des Privatsektors, also der Banken und nicht der Notenbanken.

Wie beurteilen Sie diesbezüglich die Konzepte in der Eurozone, den USA und der Schweiz?

Die Notenbanken versuchen den jeweiligen regionalen Gegebenheiten auf ihre Art gerecht zu werden. In den USA ist die kapitalmarktbasierte Unternehmensfinanzierung mittels Anleihen von herausragender Bedeutung. In Europa wiederum, bedienen sich die Unternehmen noch immer zu 80 Prozent des klassischen Bankkredits.

«Die EZB päppelt Banken auf, damit sie den Corona-Sturm besser überstehen»

Die Fed versucht also, mittels ihrer vielfältigen Kreditprogramme, dem Markt für Unternehmensanleihen Hilfe zukommen zu lassen. Die EZB wiederum macht dem Bankensektor mit den gezielten langfristigen Refinanzierungsgeschäften ein grosses Geschenk. Wer bei den gezielten langfristigen Refinanzierungsgeschäften zugreift, bekommt bis zu einem Prozent von der EZB bezahlt. Die EZB päppelt also gewissermassen Banken auf, damit sie den Corona-Sturm besser überstehen.

Und die Schweizer Kollegen bei der SNB?

Die SNB gibt derweil den Unternehmen Schützenhilfe, indem sie mittels Devisenmarktinterventionen eine weitere Aufwertung des Franken verhindert. Die Massnahmen mögen derzeit Schlimmeres verhindern, doch wie wir wissen: Alles hat seinen Preis.

Wer wird denn diesen Preis bezahlen müssen?

Die Notenbanken halten mit ihren geldpolitischen Aktionen auch Unternehmen am Leben, die es unter normalen Gegebenheiten nicht mehr geben würde. Damit kommt es aber zu einer Fehlallokation von Kapital. In der Folge fehlt das Geld an anderer Stelle.

«Liquidität verabreichen ist Pflicht und Aufgabe der Notenbanken»

Leidtragende können junge innovative Unternehmen sein. In der Summe kann sich damit eine Volkswirtschaft nicht weiterentwickeln und der Selbstreinigungsprozess der Wirtschaft findet nicht statt. Das kostet langfristig Wachstumspotenzial und schadet den langfristigen Beschäftigungsaussichten.

Inwieweit ist ein Anwerfen der Geldpresse in einer Ausnahmesituation wie der jetzigen überhaupt problematisch?

Wenn Notenbanken in Krisenzeiten Liquidität verabreichen, um ein Austrocknen der Geldmärkte zu verhindern, so ist das nicht mehr als deren Pflicht und Aufgabe. Tatsächlich kam es Mitte März zu massiven Liquiditätsverspannungen. Banken misstrauten sich und horteten Liquidität.

Dabei gibt es Parallelen zur Klopapierknappheit zu Beginn der Corona-Welle. Klopapier war eigentlich für alle genügend vorhanden. Die Menschen fürchteten jedoch, dass es irgendwann einmal knapp werden könnte und fingen an zu horten. Schliesslich waren die Regale leer. Wenn nun aber der Supermarktleiter vor Ort glaubhaft hätte versichern können, dass jeder Kunde zu jeder Zeit Klopapier bekommen kann, wäre das Horten ausgeblieben.

«Alleine die Tatsache, dass eine Zentralbank Staatsanleihen kauft, nährt den Verdacht, dass sie nicht unabhängig handelt»

Nichts anderes haben die Notenbanken mit den Liquiditätsmassnahmen gemacht. Sie haben glaubhaft versichert, dass es zu keiner Liquiditätsknappheit kommen kann. Damit hat sich die Lage an den Geldmärkten deutlich entspannt. Die Refinanzierung der Banken war und ist gesichert. Das ist begrüssenswert.

Ich höre auch hier ein Aber anklingen?

Gegen liquiditätszuführende Massnahmen ist nichts einzuwenden, wenn sie nun aber in grossem Stil Wertpapiere kaufen und damit Staaten oder auch Unternehmen finanzieren, ist die rechtliche Legitimation dieses Handelns fragwürdig. Nicht umsonst landen die Wertpapierkäufe der EZB regelmässig vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht.

Die Frage, ob die Währungshüter dadurch faktisch ihre Unabhängigkeit verlieren, muss gar nicht beantwortet werden. Alleine die Tatsache, dass eine Zentralbank Staatsanleihen kauft, nährt den Verdacht, dass sie nicht unabhängig handelt. Sie kann das Gegenteil nicht glaubhaft ausräumen.

In der Schweiz hat sich in den vergangenen Jahren eine Tendenz herausgebildet, die Überschüsse der SNB anzapfen zu wollen, wann immer eine Lücke im Haushalt aufgeht – AHV, Pensionskassen, Corona-Schulden. Können Sie dies aus Ihrer Sicht kommentieren?

Die SNB konnte für das Jahr 2019 immerhin 4 Milliarden Franken an Bund und Kantone verteilen. Das war doppelt so viel wie ursprünglich vorgesehen und weckt Begehrlichkeiten und Erwartungen. Doch Gewinne können sich auch schnell in Verluste wandeln.

Es sollte also nicht davon ausgegangen werden, dass in den kommenden Jahren ähnlich viel Geld aus der SNB fliessen wird. Gerade deshalb sollte die Gewinnausschüttung für Einmalausgaben verwendet werden. Es drängt sich in der gegenwärtigen Situation regelrecht auf, die Gelder für die Folgen der Corona-Krise zu verwenden.


Thomas Gitzel ist Chefökonom im Investment Research Team der VP Bank Gruppe. Er halt einen Dr.oec. der Universtität Stuttgart-Hohenheim. Sein volkswirtschaftliches Studium absolvierte er an der Universität Tubingen und der University of Massachusetts, Boston. Seine Karriere begann der Volkswirt bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) in Stuttgart. Dort arbeitete er als Senior Economist und engagierte sich besonders im Bereich von Unternehmenskunden. Herr Gitzel wechselte im Anschluss daran zur damaligen Tognum AG nach Friedrichshafen, wo er als Konzern-Volkswirt tätig war. 2011 erfolgte dann der Wechsel zur VP Bank Bank Gruppe.